Oswald Henke (22.09.2012)

Interview mit Oswald Henke

Literatopia: Hallo Oswald! Schön, wieder einmal mit Dir zu sprechen. Kürzlich ist im Culex-Verlag Dein Gedichtband „Zwischengeist“ erschienen – was bedeutet der Titel für Dich? Wie kamst Du ausgerechnet auf „Zwischengeist“?

Oswald Henke: Ich mag Worte, die nicht auf eine Ebene begrenzt sind und für etwas Vielschichtiges stehen. „Geist“ allein kann man schon unterschiedlichst deuten, „Geist“ als Synonym für „Gespenst“ oder als „Gedanke“ bzw. „Bewusstsein“. „Zwischen“ ist mein Lebensstatus, ich bin immer „irgendwo dazwischen“ ... Mich bzw. meine kreative Arbeit lässt sich nicht in vorhandene Schubladen einsortieren, ich bin zwischen „allem“ und somit eigenständig. Darüber hinaus gefällt mir das Gedankenspiel zwischen klaren Gedanken; dann, wenn man anfängt seine Phantasie gleiten zu lassen.

Literatopia: Was sind die großen Leitthemen in „Zwischengeist“? Hast Du die Werke entsprechend den Kapiteln entworfen oder haben sie sich quasi von selbst zu sinnverwandten Gruppen zusammengefunden?

Oswald Henke: Es gibt kein direktes Leitthema und ich habe die Texte erst nachträglich den Kapiteln zugeordnet, viele der Texte hätten auch in anderen Kapiteln ihren Platz finden können, aber irgendwann dachte ich mir: so passen sie am besten zusammen. Manche Dinge ergeben sich ohne großes Nachdenken von selbst. Ich schreibe auch die Gedichte selbst in wenigen Minuten, denn dann fassen sie ein erlebtes Gefühl am besten in Worte. Ich halte nichts von lyrischen Konstrukten, die zusammengebaut werden. Auch achte ich beim Schreiben nicht auf die Form, für mich ist der Inhalt und der Ausdruck wichtig; wie beschreiben Worte am treffendsten das, was ich ausdrücken möchte, was in mir brennt und ausgesprochen bzw. gesagt werden muss.

Literatopia: Kannst Du Dir vorstellen, eines oder mehrere der Gedichte in „Zwischengeist“ zu vertonen? Oder sind diese Werke einfach nicht dafür geschaffen, leben als Text für sich allein?

Oswald Henke: Viele Texte sind bereits mit HENKE vertont worden und auch mit fetisch:Mensch habe ich Texte vertont. Aber nicht jeder Text funktioniert als Musiktext. Auf dem HENKE Album „Seelenfütterung“ sind einige Titel des ersten Kapitels vertont worden, andere Texte wurden für das 2. HENKE Album „Maskenball der Nackten“ vertont, die kann man im Oktober live hören und ab Frühjahr auch vertont als Album kaufen.

Literatopia: Inwiefern unterschieden sich die lyrischen Werke in „Zwischengeist“ von Deinen Liedtexten?

Oswald Henke: Es gibt keinen Unterschied, außer, dass nicht jeder Text als Liedtext vertont wird.
Aber im Prinzip sehe ich auch hier kaum eine Grenze. Generell ist alles möglich, aber manches eben nicht dienlich. Ich mache nichts zum Selbstzweck, es muss Sinn machen, einen Text auch zu vertonen. Fakt ist aber, nackte Worte wirken oftmals viel tiefer, als wenn sie in Musik gepackt werden. Das merke ich immer wieder bei Lesungen, hier wirken die Worte oftmals noch verstörender, brutaler und dann auch ehrlicher, als wenn sie eben durch musikalische Türen gereicht werden.

Literatopia: „Zwischengeist“ kommt in den Genuss einer aufwändigen Gestaltung als komplett farbiges Hardcover. Isst das Auge einfach mit? Inwiefern hast Du an der optischen Umsetzung mitgewirkt?

Oswald Henke: Ich stand für die Fotos Modell und habe ansonsten Ulrike und Felix freie Hand gelassen, wie sie die Texte optisch im Buch inszenieren. Ich gab die Kapitel und die Textfolge vor, aber grafisch habe ich mich nur eingemischt, wenn mir etwas ganz und gar nicht gefallen hat, was letztlich nie der Fall war, es ging immer mehr um Korrekturen, damit die Texte verständlich bleiben und nicht durch die grafische Aufarbeitung schwerer zu lesen sind.

Literatopia: Findest Du, dass im Gegensatz zu „Zwischengeist“ viele Lyrikbände viel zu lieblos präsentiert werden?

Oswald Henke: Nein, denn am Ende geht es um die Texte, die Präsentation auf „Zwischengeist“ ist reiner Luxus, der nur funktioniert, da Ulrike und Felix das Buch mit sehr viel Herzblut umgesetzt haben und der Verlag den Mut besaß, das ganze so aufwändig umzusetzen. Ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich und ich bin sehr stolz auf das jüngste Kind meiner Veröffentlichungsreihe. Wirtschaftlich gesehen ist das Buch ein Kopfschuss, denn bei einer Auflage von 1000 Büchern kann man sich denken, dass im Prinzip keiner etwas verdient, aber manche Dinge macht man eben, weil sie gemacht werden müssen und man sich dann am Ergebnis erfreut.

Literatopia: Wortneuschöpfungen sind eine wahre Leidenschaft von Dir, entsprechend finden sich auch in „Zwischengeist“ einige. Welcher Deiner Neologismen gefällt Dir am besten, sofern Du das überhaupt sagen kannst? Was macht einen guten Neologismus aus, damit der Leser ihn sofort versteht?

Oswald Henke: Ich mag viele Worte und ich werde dann zum Wortschöpfer, wenn mir der vorhandene Wortschatz nicht das Wort anbietet, was ich eben genau ausdrücken möchte. „Fastfoodabendmahl“ und „Zyankalifreigetränk“ sind in diesem Moment meine Lieblinge, in einer Stunde können es aber auch „Demenzdämmerung“ oder eben „Zwischengeist“ sein.

Was eine gute Wortneuschöpfung ausmacht, ist kaum zu beantworten, denn das hängt wohl davon ab, wie phantasiebegabt ein Mensch ist und wie offen er ist, sich auf neue Dinge einzulassen. Diese Frage kann also nur der Leser beantworten.

Literatopia: Wie entstehen Deine Gedichte? Spontane Eingebungen, die mit Kugelschreiber auf gerade verfügbarem Papier festgehalten werden? Oder veränderst Du viele Zeilen wieder und wieder bis alles passt?

Oswald Henke: Sie sind immer spontan und werden auf das notiert, was griffbereit ist, das kann der Rechner sein, ein Stück Papier und manchmal auch meine Haut ...

Literatopia: Deine Gedichte sind freirhythmisch und optisch oft sehr zerrissen. Folgen sie dennoch einem gewissen inneren Rhythmus, vielleicht vorgegeben von Deiner Musik? Warum wählst Du vor allem diese sehr freie Form für Deine Lyrik?

Oswald Henke: Wieso sollte ich meine Gedanken und meine Gefühle einer Form unterordnen. Wichtig ist doch das, was man sagen bzw. ausdrücken möchte, nicht, ob es sich reimt, nicht, ob die Interpunktion oder sonstige Satzzeichen stimmen. Wer denkt ein Komma? Ich denke ohne Kommas, ohne Punkte. Worte fließen, egal in welcher Folge, sie ergeben genau so einen Sinn, wie ich sie niederschreibe. Manchmal langt ein Wort, um einen Satz zu ersetzen. Manchmal braucht man einen Satz oder ein Satzfragment, eine Wortreihe, um das auszudrücken, was einen berührt oder beschäftigt. Ich wähle keine Form, ich schreibe einfach, was ich fühle, denke oder einfach mitteilen möchte.

Literatopia: „Manisch-aggressiv“ trägt den Untertitel „Requiem für eine Szene“ – spielst Du damit auf die negativen Veränderungen in der schwarzen Szene an? Wie siehst Du die Szene heute? Und betrachtest Du Dich als Teil von ihr?

Oswald Henke: Also ich denke die Frage im ersten Teil erübrigt sich, oder? Genau so, wie ich es in diesem Text ausdrücke, so sehe ich diese Szene, sie stirbt und wird Platz schaffen für etwas Neues und das ist gut so. Ich war damals Teil dieser Szene, bin aber niemals Teil des „schwarzen Ballermann-Kollektivs“ gewesen, habe mich nie auf einen Tanzfloor einer Großraumdisko limitieren lassen und finde das Festival-Häppchen-Verhalten vieler Nicht-Konzertbesucher, aber dafür lieber Festival-Feier-Gemeinden bedenklich. Die Szene war in den Anfängen am Rand der Gesellschaft und wollte dort auch sein, jetzt versuchen Menschen, sich schwarz zu verkleiden, um in der Mitte der Gesellschaft aufzufallen und um ihrem kleinbürgerlichen Umfeld damit zu zeigen: Schaut wie anders ich bin. Bei einem Unheilig-Konzert ist der Anteil gefärbter Haare größer als bei jedem Gothic Konzert, nur dass dort kaum einer seine Haare schwarz oder bunt färbt, sondern nur das Alltagsgrau mit einem Alltagsbraun färbt oder blondiert. Meine neue Band macht „Dark-Alternative-Music“ und das ist nur ein anderes Wort, damit man uns nicht mit aktuellen „Gothic“-Bands in eine Schublade werfen könnte, die mit dieser Szene so viel zu tun haben wie Kirschen mit einem Erdbeerkuchen. Beides rot, aber schwarz ist eben auch nicht schwarz ...

Literatopia: Viele Deiner Gedichte appellieren an den Leser, sein Leben endlich zu leben, sich eigene Gedanken zu machen – tun das die Menschen heutzutage viel zu wenig? An wen sind die kritischen Worte vor allem gerichtet? Tatsächlich an den Leser oder eher an Dich selbst?

Oswald Henke: Ich mache meine Gedanken öffentlich, ich appelliere nicht, ich stelle fest, bzw. notiere meine Wahrnehmung unserer Gesellschaft. Ich vermisse die Rebellen, die Jugend heute scheint sich zu Tode zu langweilen, sie hat alles, darf vieles und aus dem Grund muss sie auch wohl nicht rebellieren. Ich versuche Gedanken anzuregen, über den Tellerrand hinauszublicken, ich möchte provozieren, animieren und vor allem die jammernden Menschen, die noch einen Mund haben, auffordern, selbst auszusprechen, was sie denken und ihnen nahe legen, dass sie, anstatt zu jammern, lieber ihr eigenes Leben ausleben, erleben und nicht nur ableben sollen.

Literatopia: Du liest ab und an Gedichte von Deinen Fans – spürst Du dabei, dass diese von Deinen eigenen Werken und Deiner Musik inspiriert wurden? Gefällt es Dir oder wäre es Dir lieber, derjenige würde seine eigene Form und seine ganz eigenen Worte suchen?

Oswald Henke: Ich lese öfters Gedichte, die wohl auch durch meine Werke mit-inspiriert wurden und ich finde es gut, wenn meine Worte dazu dienen konnten, dass andere Menschen eigene Worte finden konnten, um ihren „Gespenstern“ eine Wortform zu geben. Diese Menschen finden auch über kurz oder lang ihren eigenen Stil und das finde ich gut.

Literatopia: Wie wird es musikalisch mit Dir weitergehen? Und entstehen bereits neue Werke für einen weiteren Gedichtband?

Oswald Henke: Ich schreibe nur dann, wenn ich das Gefühl habe, ich muss mich irgendwie mitteilen. Das HENKE Album wird gerade aufgenommen, aber ich denke, der Prozess, dass ich etwas schreibe, wird erst mit meinem Tod enden, bis dahin hoffe ich noch vieles mitteilen zu können. Sogar Kolumnen schreibe ich wieder, ab Oktober und zwar für das HERMANN in Cottbus; im Frühjahr erscheint das zweite HENKE Album „Maskenball der Nackten“ und im November spiele ich mit fetisch:Mensch auch drei neue Stücke, die textlich im Buch enthalten sind ...

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Oswald!

Oswald Henke: Bitte sehr, es war mir ein Vergnügen.


Autorenfoto: Copyright by Culex Verlag

Rezension zu "Zwischengeist"

Interview mit Oswald Henke von 2008


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.