Das Aquarium (Thommie Bayer)

bayer t-das aquarium

Piper Verlag, 1. Auflage Oktober 2011
Taschenbuch, 332 Seiten
€ 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,90
ISBN: 9783492272629

Genre: Belletristik


Klappentext

June ist Ende zwanzig, blond, schön – und sitzt im Rollstuhl. Seit dem Tag, an dem sie in die Wohnung gegenüber einzog, ist Barry wie elektrisiert und verfolgt jede ihrer Bewegungen. Als er zu ihr Kontakt aufnimmt, erzählt sie ihm die Geschichte ihres Lebens – die Geschichte einer außergewöhnlichen erotischen Obsession. Schritt für Schritt entführt sie ihn in eine Welt, in der sich Phantasie und Wirklichkeit zu einem bizarren Spiel vermischen. Bis aus diesem Spiel tödlicher Ernst wird …


Über den Autor

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm »Die gefährliche Frau«, »Singvogel«, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück« und zuletzt »Fallers große Liebe«.


Rezension

Barry, Mitte vierzig, verbringt seine Tage damit, am Fenster zu stehen, um die Menschen in dem Wohnhaus gegenüber zu beobachten. Seit einem schweren Autounfall, der ihm seine große Liebe nahm, kann er sich kaum noch für etwas begeistern. Dies ändert sich allerdings, als im Aquarium, der verglasten Dachwohnung gegenüber eine junge Frau im Rollstuhl einzieht. Von nun an wird sie sein einziger Inhalt, unterbrochen nur von Phasen des Schlafs und der Zeit, die er an seinem Computer verbringt, um über die tragischen Geschehnisse seines Lebens in schriftlicher Form zu reflektieren. Als im Haus gegenüber eingebrochen und die Frau ausgeraubt wird, bricht er sein Schweigen, und zwischen den beiden entspinnt sich, erst per E-Mail später per Chat ein reger Kontakt. June erzählt ihm von ihrem Leben, vom dem Siechtod ihres Vaters und auch von ihrer sexuellen Obsession mit einem seiner Pfleger, die sie letztendlich in den Rollstuhl brachte. Barry verfällt der ungewöhnlichen Frau zusehends, ohne zu bemerken, wie tief er sich in ein Netz aus Lügen und Abhängigkeiten verstrickt.

»Ich wäre am liebsten hinübergerannt zu ihr, hätte an ihre Tür geklopft und mich entschuldigt. Für meine Unsichtbarkeit, meine Schwäche und Feigheit, für meine Fragen und dafür, dass ich bis zu diesem Augenblick noch nie über die Schrecken der Stille nachgedacht hatte. Zum Glück sah sie mich nicht. Meine nassen Augen hätte ich niemals erklären können, Ich wusste ja selbst nicht, was in mir vorging. Nur, dass sie Sätze schrieb, die mich wehrlos machten, (…)« (Seite 79)

Stalker oder Beschützer – der Grat auf dem das Aquarium wandelt ist schmal. Zwar weckt Barrys Verlust seiner großen Liebe Sharii, ein großes Maß an Sympathie, insbesondere wenn die Therapeutin des Unfallfahrers ihn beständig zu einem Versöhnungsgespräch drängt oder deren Sharii vor der Tür steht und Erklärungen fordert. Gleichzeitig ist die Position des Spanners, in die man durch Barrys Sicht gedrängt wird sowie dessen liebloser Umgang mit seinem einzigen besten Freund durchaus verachtenswert. Barrys Charakter überzeugt so jedoch durch lebendige Grautöne.

Obwohl der Lesefluss zeitweise durch langatmige E-Mails ins Holpern gerät, ist der Schreibstil Bayers teilweise nur als brillant zu bezeichnen. Kunstfertig führt er den Leser durch Barrys Psyche, durch Junes seelische Abgründe und weiß Stimmungen geschickt einzufangen.

»Ich fühlte mich machtlos, schlapp und leer, keine Wut mehr, kein Gift, keine Seele mehr in mir. Ausgenommen. Ein toter Fisch. Sie hatte mich an Land gezogen, auf einen Stein geschlagen und ausgenommen.« (S. 254)

Die Geschichte selbst weist einige Wendungen auf, die teils gut eingearbeitet sind und zu überraschen wissen, teils aber auch etwas überzogen wirken. Vor allem Junes Leben und ihr Charakter scheinen konstruiert, manchmal schwer nachzuvollziehen. Ihre entspannte Art mit Barrys Stalking umzugehen sowie einige ihrer späteren Entscheidungen strapazieren ihre Glaubwürdigkeit, so dass insbesondere im Hinblick auf das Ende ein leicht schaler Nachgeschmack bleibt.


Fazit

Sensibel und mit einem feinen Gespür für Stimmungen und Bilder führt Thommie Bayer den Leser durch eine vertrackte Geschichte aus Lust und Obsession, Schuld und Selbstaufopferung. Das Aquarium hat seine Längen, ist von der Handlung vielleicht nicht für jedermann, weiß diese Mängel aber durch virtuose Sprache wieder auszugleichen.


Pro & Contra

+ virtuose Sprache
+ Konstellation der Charaktere
 
o ausschweifender E-Mailverkehr
 
- teilweise unglaubwürdig
- klischeebeladenes Ende
 

Wertung: alt
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5