Die Fahrt des Leviathan (Oliver Henkel)


Atlantis Verlag (März 2012)
Taschenbuch, 580 Seiten, EUR 14,90
ISBN: 978-3941258266

Genre: Alternativwelt-Roman

Klappentext

Wilhelm Pfeyfer, Major und Kommandant des Militär-Sicherheits-Detachements in der Hauptstadt von Preußens einziger amerikanischer Provinz Karolina, dem einstigen South Carolina, wird zur Aufklärung eines Falles herangezogen, der so gar nicht seiner Stellung gerecht wird: Die Great Eastern, das bei Weitem größte Schiff seiner Zeit, streift einen Felsen und wird leckgeschlagen, und das mit dem preußischen König an Bord - ein Attentatsversuch?

Pfeyfer und das Schiff geraten in die Wirrungen des Sezessionskrieges. Die Nordstaaten haben weit mehr Mühe, die Insurgenten zurück in die Union zu holen, als ihnen lieb ist. Die konföderierten Sklavenhalterstaaten hingegen leiden ohne die gewohnte Ausfuhr von Baumwolle und Tabak große Not. Da bietet ein undurchsichtiger Vertreter eines europäischen Landes gegen eine Gefälligkeit an, den Südstaaten Ausrüstung und Waffen zu liefern. Die Great Eastern kommt als Transportschiff wie gerufen. Das Schicksal scheint sich zugunsten des Südens zu neigen ...

Rezension

Als "Alternativwelt-Roman" wird das neue Werk von Oliver Henkel beworben - eine Bezeichnung, die allzu passend ist für das wunderbare Setting, in dem Henkel auf geschickte Weise Reales mit Fiktivem verwebt und so fast von Beginn an eine Atmosphäre schafft, die durch die Mischung aus Fremdem und Vertrautem einen ungeheuren Reiz hat.
Leser, die auf historische Akkuratheit Wert legen, sollten an dieser Stelle natürlich gewarnt sein - ein Alternativwelt-Roman ist eben kein historischer Roman.
Wir befinden uns nämlich in der preußischen Provinz Karolina, also an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Mag diese Idee auf den ersten Blick befremdlich wirken, so bietet sie doch eine wahre Fülle von Möglichkeiten, die Handlung um viele spannende Ideen zu ergänzen; Möglichkeiten, die Oliver Henkel geschickt zu nutzen versteht. Und so begleitet man staunend die Protagonisten der Geschichte durch ein Setting, in dem preußische Disziplin auf amerikanisches Lebensgefühl stößt, preußische Architektur auf subtropisches Klima. Ein Setting also, das man auf diese Art sicher noch nicht oft gesehen hat und das der intelligenten und vielschichtigen Handlung einen idealen Rahmen bietet.

Denn nicht nur mit dem Schauplatz beweist Henkel sein Können; die Handlung steht diesem in Sachen Originalität und Kreativität nämlich in nichts nach. Auf raffinierte Art strikt er aus mehreren interessanten Handlungssträngen ein Gesamtwerk, das ebenso interessant wie unterhaltsam ist. Dafür muss man sich allerdings erst einmal ein wenig in die Geschichte einfinden, denn wie bei allen wirklich guten Geschichten weist auch diese einen gewissen Grad an Komplexität auf. Hat man aber dann erst einmal verstanden, was es mit den verschiedenen Parteien auf sich hat, die alle in Karolina aufeinander treffen, mit all den Intrigen und Plänen, dann findet man sich bald wieder in einer durchdachten und spannenden Handlung, in der man durch geschickte Positionierung der Charaktere alle Seiten beobachten kann.

Sehr gekonnt flechtet Henkel dabei immer wieder auch Erzählabschnitte mit ein, die mit der Geschichte direkt nichts zu tun haben, sondern die das alltägliche Leben der Protagonisten betreffen. Auf diese Weise gelingt es ihm außerordentlich gut, den Leser "bei der Stange" zu halten, indem unterhaltsame und amüsante Passagen sich mit ernsteren und etwas komplizierteren abwechseln. Und ganz nebenbei bekommt man so auch ein sehr detailliertes Bild vom Leben im 19. Jahrhundert.
Und hierbei tritt eine weitere faszinierende Seite des Romans zu Tage: Der Schreibstil des Autors. Mit viel Mühe und Liebe zum Detail schmückt Henkel seine Sätze aus und schafft es erstaunlich gut, sie so klingen zu lassen, wie die Menschen im 19. Jahrhundert gesprochen haben mögen - und wertet so die Atmosphäre zusätzlich erheblich auf. Immer wieder bleibt man an besonders schönen Satzkonstruktionen hängen und erfreut sich am Klang der Dialoge, deren Authentizität wirklich schön ins Gesamtbild passt.
Aber es gibt auch Schattenseiten bei diesem sonst wirklich guten Buch. Und dies sind ausgerechnet die Charaktere, die durch die Bank furchtbar überzeichnet wirken. Zwar folgt man ihnen trotzdem gerne auf ihrem Weg, kommt aber immer wieder nicht umhin, sich darüber zu ärgern, wie sehr es Henkel mit ihnen übertreibt.
Die Protagonisten als gnadenlose Gutmenschen, deren moralische Integrität dem Leser derart penetrant unter die Nase gerieben wird, sind teilweise schon arg nervig - gleiches gilt für die Antagonisten, deren Durchtriebenheit und Falschheit teilweise zu plump wirkt.
Besonders der Protagonist, Major Wilhelm Pfeyfer, ist ein Held in strahlender Rüstung ohne Fehl und Tadel, der zwar seine "coolen" Seiten hat, allerdings auch ganz schön nervtötend sein kann.

Fazit

"Die Fahrt des Leviathan" ist ein echter Geheimtipp, der auf vielfältige Weise zu überzeugen weiß. Einer durchdachten und spannenden Handlung, einem tolles Setting und einem grandiosen Erzählstil stehen dabei nur die arg überzeichneten Charaktere im Weg.

Pro & Kontra

+ spannende, innovative Handlung, deren Komplexität immer wieder durch "leichtere" Passagen durchbrochen wird
+ tolles Setting
+ Schreibstil passt hervorragend und trägt seinen Teil zum Lesevergnügen bei

- Charaktere wirken maßlos überzeichnet

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5