Ausgefressen (Moritz Matthies)

Verlag Scherz, April 2012
Hardcover, 272 Seiten, € 13,99
ISBN: 978-3651000261

Genre: Belletristik


Klappentext

Wenn Erdmännchen ermitteln – der größte Spaß, den die Polizei erlaubt

»Gestatten? Mein Name ist Ray. Seit ich denken kann, will ich Privatdetektiv werden. Im Grunde, das wird jedem einleuchten, gibt es keinen Job, für den ein Erdmännchen besser geeignet ist. Überwachen und Observieren gehören quasi zu unserer genetischen Grundausstattung. Gleiches gilt für Spuren lesen und Herumschnüffeln. Ich bin der geborene Schnüffler. Nur dass meine Fähigkeiten hier im Zoo völlig verkannt werden. Besser gesagt: wurden. Denn heute ist Phil aufgetaucht. Und so, wie es aussieht, braucht er unsere Hilfe.«

Die Erde unter dem Berliner Zoo gleicht einem Schweizer Käse. Denn Erdmännchen Ray und sein Clan ermitteln in einem Vermisstenfall – an der Seite von Phil, Privatdetektiv, der nach genügend Schluck aus seinem Flachmann Erdmännisch versteht.


Rezension

Erdmännchen sind gesellige, pfiffige und verspielte Gesellen. Wer kennt sie nicht, wie sie emsig in ihrem Gehege herumwuseln oder aufmerksam aufgerichtet Wache halten. Neugierig sind sie obendrein, somit prädestiniert, als Schnüffler zu fungieren. Was schon immer der Traum von Ray ist, Privatdetektiv zu werden. Sein Bruder Rufus dagegen wünscht sich ein Smartphone und die Weltgeschichte der Literatur, aber unbedingt in Leinen gebunden, das quillt unter der Erde nicht so auf. Sein anderer Bruder Rocky ist ein Draufgänger, sein Name ist Programm und er wird als nächster Clanchef hoch gehandelt. Was Roxane sehr entzückt, sie steht nämlich auf Muskeln, Hirn ist dabei nicht so wichtig. Ray dagegen steht auf Elsa, einer hinreißenden Chinchilla Dame, die ihm aber gerne die kalte Schulter zeigt. Einförmig verlaufen die Tage im Zoo, lediglich unterbrochen von Besuchern, über die man sich so herrlich amüsieren und klatschen kann. Bis auf einmal jemand versteht, was sie sagen. Phil, ein heruntergekommener Privatdetektiv, kann gar nicht glauben, was er da hört. Soviel Alkohol war es doch gar nicht, oder doch? Nachdem er die Tatsache akzeptiert, dass er erdmännisch versteht, beginnt eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Phil und dem Erdmännchenclan. Phil ist auf der Suche nach einem alten Mann, der von seiner Tochter vermisst wird. Phil vermutet ihn immer noch im Zoo, wenn auch unter der Erde. Womit er sich in das Territorium der Erdmännchen begibt, denn eines können sie besonders gut, Tunnel graben und schnüffeln. Und so beginnt eine aberwitzige, urkomische, spannende und absurde Abenteuergeschichte, die ständig völlig überraschende Wendungen hervorbringt und einfach für gute Laune sorgt.

Die Story sprüht geradezu vor guten Einfällen, Moritz Matthies – wer immer er auch ist – beweist viel Phantasie. Erdmännchen als Protagonisten funktioniert überraschend gut, viele menschliche Eigenschaften bringen den Leser zum Lachen und wirken überhaupt nicht deplatziert. Natürlich karikiert Matthies viele menschliche Eigenschaften, er spielt mit Klischees und reizt sie so weit aus, wie es nur eben geht. Phil ist der typische, besoffene Privatschnüffler, der einige Enttäuschungen im Leben hatte, durch dessen harte Schale aber auch sein goldenes Herz schimmert. Nachdem er seine Ungläubigkeit über das Verstehen der Erdmännchen überwunden hat, entwickelt er sich zu einem guten Freund und Partner, dem es gelingt, ihnen das ein- oder andere begehrte Gut in den Bau zu schmuggeln. Denn Informationen gibt es nur gegen Tauschmaterial – und dieses ist oft außergewöhnlich. Die Tiere sind Matthies besonders gut gelungen, er schafft es, spezielle Eigenarten hervorzuheben, dass sie zutiefst sympathisch wirken, man aber immer noch die Tierarten erkennt. Herrlich übertrieben werden ihnen Eigenarten zugeschrieben, die dem Leser ein Dauerschmunzeln ins Gesicht zaubern. Der Fall ist da schon eher nebensächlich, aber trotzdem interessant, wenn auch nichts Neues. Durch die ständige, ungewöhnliche tierische Hilfe nimmt er ungeahnte Dimensionen an, unerwartete Wendungen inklusive. Obwohl der Autor einige interessante Bröckchen, die er noch anfangs die Tiere entdecken lässt, leider hinterher nicht mehr für Erwähnenswert befindet.

Das ganz besondere Sahnehäubchen ist allerdings das Hörbuch. Christoph Maria Herbst läuft zur regelrechten Topform auf, jedem verleiht er eine eigene Stimme, selbst ein Teaser hört sich täuschend echt an. Unglaublich lebendig erzählt er die Geschichte, man merkt die Liebe und Leidenschaft, die er in seine Stimme packt. Man ist mittendrin, sofort spielt ein Film im inneren Auge, lebendig und detailliert. Unglaublich, wie alleine der Sprecher fasziniert, der Plot wird fast nebensächlich. Gebannt lebt, freut und leidet man mit Ray mit und wartet gespannt, ob er denn noch bei seiner Herzensdame Elsa Gehör findet.


Fazit

Herrlich unglaublich komisch, sarkastisch, übertrieben, faszinierend und lebendig hat Moritz Matthies mit Ausgefressen uns eine Geschichte präsentiert, die sehr ungewöhnlich ist. Erdmännchen als Protagonisten funktionieren wundervoll, sie sind mit vielen menschlichen Eigenschaften ausgestattet, die wunderbar karikiert wurden, ohne jemals ins Lächerliche abzudriften. Sein Einfallsreichtum ist enorm, die Charaktere sympathisch und mit einer großen Portion Ironie und Humor ausgestattet. Den Genuss des Hörbuches sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen, selbst wenn einem der Plot nicht zusagt, so macht die Leistung von Christoph Maria Herbst alles wieder wett.


Pro und Contra

+ ungewöhnliche Charaktere
+ humorvoll, urkomisch und ironisch
+ Christoph Maria Herbst
+ viel Situationskomik
+ herrliche Karikaturen
+ täuschend echter Teaser
+ jeder Charakter eine eigene Stimme
+ phantasievolle Eigenarten
+ überraschende Wendungen

- interessante Ansätze leider nicht weiterverfolgt
- Krimiplot nebensächlich und nicht besonders innovativ

Wertung


Charaktere 4,5/5
Handlung 4/5
Hörvergnügen 5/5
Preis/Leistung 4/5