Rezensionen im September (2012)

Liebe LeserInnen,

in vielen literarischen Bereichen ist der Oktober einer der meist erwartetsten Monate – denn die Frankfurter Buchmesse steht an. Auch ein Teil des Literatopia-Redaktionsteams freut sich schon auf ein paar spannende, aber auch stressige Tage, während derer wir uns nicht nur die neuen Verlagsprogramme vorstellen lassen, sondern euch auch tagesaktuell in unserem neuen Mitarbeiterblog auf dem Laufenden halten werden. Doch eingeläutet wird auch der Buchmessenmonat wie immer mit unserem allmonatlichen Rezensionsrückblick – viel Spaß!


Belletristik

Sensibel und mit einem feinen Gespür für Stimmungen und Bilder führt Thommie Bayer den Leser durch eine vertrackte Geschichte aus Lust und Obsession, Schuld und Selbstaufopferung. “Das Aquarium“ hat seine Längen, ist von der Handlung vielleicht nicht für jedermann, weiß diese Mängel aber durch virtuose Sprache wieder auszugleichen.

“Die Wand“ ist inhaltlich keine einfache Literatur, sondern setzt voraus, dass man sich schon während des Lesens ein wenig intensiver mit der erzählten Geschichte auseinander setzen möchte. Marlen Haushofer stellt in diesem eher für Erwachsene geeigneten Roman eine besondere Art der Einsamkeit dar und hinterlässt beim Leser ein seltsames Gedankenpaket, das lange nachhallt. Eine Lesempfehlung für alle, die sich ab und zu nach Einsamkeit und Ruhe sehnen, denn in diesem Buch findet man sie garantiert - wenn auch nicht so, wie man sie sich vorstellen würde.

Historik

Spritzige Wortgefechte und zwei Hauptdarsteller, die sich in “Lord Stonevilles Geheimnis“ von Sabrina Jeffries die Bälle nur so zuspielen. Sie stehen sich in nichts nach und erkennen einfühlsam, was in ihrem bisherigen Leben schiefgelaufen ist. Dazu ironische Nebendarsteller und ein sarkastisches Familienoberhaupt – das ist Unterhaltung pur im Regency.

“Die Fahrt des Leviathan“ von Oliver Henkel ist ein echter Geheimtipp, der auf vielfältige Weise zu überzeugen weiß. Einer durchdachten und spannenden Handlung, einem tolles Setting und einem grandiosen Erzählstil stehen dabei nur die arg überzeichneten Charaktere im Weg.

Dark Fantasy

Wer kann wohl einem echten Schotten im Kilt mit Handtäschchen wirklich widerstehen? Kerrelyn Sparks jedenfalls nicht: Harte Kerle mit Muskeln und einem Herz aus Gold lassen in “Vampire mögen’s heiß“ die Herzen der Leserinnen reihenweise schmelzen. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht auch eine Frau, die ihre Stärke aus der Liebe zu ihrem Traumprinz bezieht. Emma und Angus verkörpern diese Charaktere bestens, man lebt, liebt und leidet mit ihnen. Ihre Gefühle und Entscheidungen sind realistisch und nachvollziehbar, das Ende lässt keine Fragen offen.

“Leopardenblut“ ist der erste Ausflug von Nalini Singh in den Bereich Romantic Fantasy und sie schafft es, dieses Neuland direkt zu erobern. Ein Werk voll prickelnder Gefühle, Leidenschaft und einer ordentlichen Portion Humor.

Fantasy

Vor dem Hintergrund irischer Legenden entführt Kersten Hamilton ihre Leser in eine Welt angefüllt mit dunkler Magie, faszinierenden Sagengestalten und Figuren, die vor Witz, Skurrilität und Energie sprühen. “In der Wälder tiefer Nacht“ bedient sich dabei kaum bekannter Klischees und bietet so erfrischenden Lesegenuss, nicht nur für junge Leser. Ein herrlich düster angehauchtes Märchen!

“Die Lügen des Locke Lamora“ ist von Anfang bis Ende ein Genuss. Niemand, der auf kreative und individuelle Fantasy steht, sollte sich Scott Lynchs Debüt entgehen lassen. Grandios!

“Düsteres Verlangen – Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein“ von Kenneth Oppel überzeugt mit seiner eindringlichen historischen Atmosphäre, in die sich phantastische Elemente nahtlos einfügen. Vielschichtige Charaktere und der düstere Charme dieses Werkes dürften sowohl junge und erwachsene Leser begeistern. Ein leidenschaftlicher Roman voller Licht und Dunkelheit, der Mary Shelleys Originalgeschichte durchaus gerecht wird.

Horror / Mystery

Auch der vierte Band der House of Fear-Reihe von Patrick McGinley kann mit der Urlaubsreise on Britta und Elisa überzeugen. Junge Leser finden in “Der Gott des Grauens“ genau die richtige Portion Grusel, Erwachsene zumindest amüsante und unterhaltsam leichte Kost für zwischendurch. Bei diesen knapp zweihundert Seiten kann man nicht viel falsch machen!

Science Fiction

Mit ihrem Trilogie-Auftakt bietet Lauren Oliver den Dystopie-Anhängern eine wahre Perle unter den zahlreichen Jugend-Dystopien. “Delirium“ liefert neben den typischen Komponenten eine wunderbar erfrischende Idee und auf Anhieb liebenswerte Charaktere, verbindet verständlichen Sprachstil mit versteckten Wortspielen und schenkt dem Leser durch beinahe unauffällige Details immer wieder tolle Überraschungsmomente. Ein echtes Muss für jeden Dystopie-Fan und hoffentlich nicht der letzte Auftakt-Band der Autorin!

Abgesehen von zwei gleichgestellten, ebenbürtigen Protagonisten kann die vielgelobte Jugenddystopie-Reihe Legend in ihrem Auftaktband “Fallender Himmel“ nicht viel Neues und Besonderes liefern. Dieser einzige deutlich herausstechende Pluspunkt wird zudem von anderen Schwachstellen schnell überlagert, sodass letzten Endes leider auch der aufstrebenden Marie Lu trotz aller Bemühungen doch wieder nur ein gut lesbares, aber nicht nachhallendes Mittelmaß gelungen ist.

Thriller

Man braucht starke Nerven und einen unempfindlichen Magen, wenn man “Die Mutter“ wirklich lesen möchte. Brett McBean schreibt verstörend real und detailreich, scheint keinerlei Hemmungen zu kennen und fordert seine Leser aufs Gröbste heraus. Ein überraschendes Ende versetzt zudem in Erstaunen und lässt grübeln, wozu ein Verlust einen Menschen bringen kann. Extrem hart an der Grenze, aber überaus gelungen!

“Du bist das Böse“ ist ein Thriller, der aus der Masse hervorsticht - nicht etwa durch Ekelbeschreibungen, wie die Aufmachung vielleicht vermuten ließe, sondern vielmehr durch eine ausgeklügelte Handlung und einem Grad an Realismus, der für das Genre wirklich Beispielhaft ist. Tolle Charaktere und ein gutes Setting runden das Ganze ab. Allerdings wird der Lesespaß doch hin und wieder durch einige zähe Passagen getrübt - zudem muss man als Leser extrem aufpassen, um den Überblick zu behalten, was das Buch von Robert Costantini nicht gerade zu einer “einfachen“ Lektüre macht.

Manga / Comic

“Hellboy – Der Sturm“ ist mit einem Wort charakterisiert: Episch. Und mit einer solchen Wucht, dass der Leser zunächst etwas atemlos zurückbleibt. Ein mehr als würdiges Finale für den Jungen aus der Hölle auf dieser Daseinsebene. Glücklicherweise lässt Mike Mignola Hellboy schon bald in der Hölle aufräumen.

“Marlysa“ von Jean-Charles Gaudin und Jean-Pierre Danard ist schon jetzt ein Klassiker im Bereich der Fantasy-Comics und das durchaus gerechtfertigt. Überbordende Phantasie trifft auf eine ausgeklügelte Story und wunderbare Zeichnungen. Mehr als nur einen Blick wert.

Sachbuch

Ein Bestseller-Autor wird man mit dem “Zauberer Handbuch“ von Michael Peinkofer keiner, diesen Anspruch erhebt es aber auch gar nicht. Es bietet vielmehr jedem interessierten Hobbyschreiber sehr interessante Einblicke in die Materie und hinter die Kulissen und gibt hilfreiche und nützliche Tipps. Das seltene Kunststück, einen Ratgeber zu einem trockenen Thema spannend und unterhaltsam zu präsentieren, ist hier ausgezeichnet gelungen.

Sonstiges

“Zwischengeist“ verpackt Oswald Henkes aufrichtige und düstere Lyrik in ein aufwändig gestaltetes Hardcover. Die Gedichte folgen einer inneren, verstörenden Melodie und lassen den Leser nachdenklich und zerrüttet, aber ebenso emotional und hoffnungsvoll zurück. Auch wenn sich Oswald Henke meist den negativen Seiten des Lebens und der Gesellschaft zuwendet, schreit es doch von jeder Seite: existiere nicht nur, sondern lebe!


Mit dieser wieder einmal bunten Mischung entlassen wir euch in den Buchmessenmonat und laden euch natürlich auch dieses Mal wieder herzlich ein, jederzeit in unserer Rezensions-Übersicht zu stöbern, die inzwischen 1680 Buchbesprechungen für euch bereit hält.

Einen wundervollen Start in einen lesereichen Herbst wünscht euch
euer Literatopia-Team