Der letzte Engel (Zoran Drvenkar)

cbj, 1. Auflage Oktober 2012
HC mit SU, 432 Seiten
€ 16,99 [D] | € 17,50 [A] | CHF 24,50
ISBN: 978-3-570-15459-5
Leseprobe

Genre: jugendlicher Fantasy-Thriller mit historischen Elementen


Klappentext:

Motte ist sechzehn Jahre alt, als der Tod an seinem Fenster kratzt. An einem harmlosen Wochenende kurz nach Mitternacht bekommt er eine anonyme E-Mail:

sorry für die schlechte nachricht
aber wenn du aufwachst, wirst du tot sein
wir wollten nur, dass du das weißt


Mieser Scherz, denkt Motte, wird aber dennoch ein wenig nervös und beschließt, die Nacht durchzumachen. Natürlich schläft er ein und natürlich wacht er auf - und fühlt sich wie immer.

Bis darauf, dass sein Herz nicht mehr schlägt. Und dann sind da noch diese zwei Flügel auf seinem Rücken …


Rezension:

Eine richtige Zusammenfassung des Inhalts scheint auch nach mehreren Tagen des Sackenlassens nahezu unmöglich, daher sei vorab nur folgendes gesagt: Der letzte Engel ist ganz sicher nicht das, was der Leser gemäß Klappentext erwarten würde. Selbst der genannte Protagonist Motte trägt in diesem Buch, das offensichtlich nur der erste Band einer mehrteiligen Reihe ist, nur einen kleinen Teil zur Geschichte bei. Vielmehr wird der Leser auf eine interessante und spannende Weise angefüttert und fragt sich schon während des Lesens, wohin denn all das führen soll und wann eigentlich mit Nachschub zu rechnen ist. Beide Fragen werden während der knapp vierhundertdreißig Seiten nicht geklärt – denn wenn Der letzte Engel eines ganz sicher schafft, dann ist das das Wecken einer unstillbaren Neugierde auf die Fortsetzung.
Was sowohl vom Verlag als auch vom Autor eine ziemlich raffinierte Strategie ist, denn bisher hat Zoran Drvenkar nichts darüber verlauten lassen, dass man von ihm eine mehrteilige Fantasy-Thriller-Reihe erwarten kann, und auch der Verlag vermittelt beim Bewerben vom neuesten Werk des Autors nicht den Eindruck auf weitere Teile. Doch beim Lesen wird ziemlich schnell klar, dass die Thematik, die in Der letzte Engel angeschnitten wird, unmöglich in diesem einen Buch zufriedenstellend abgehandelt werden kann und auf jeden Fall noch einiges folgen muss. In welcher Form das passieren wird, bleibt auch nach Beendigung des Buches offen – lediglich ein “Ende vom ersten Teil“ wird dem Leser hier zugestanden – und so weit war er inzwischen dann auch schon gekommen.

Was dem Leser ebenfalls recht schnell auffällt, ist die unglaubliche Recherche, die Zoran Drvenkar für diesen Roman hinter sich haben muss. Denn es geht bei Weitem nicht nur um einen Jungen, der eine seltsame Mail erhält und am nächsten Morgen quasi tot aufwacht, dieser ist nur ein kleines Bruchstück in einem riesigen Gebilde aus phantastischen, historischen, biblischen und Thriller-Elementen. Allein die verschiedenen Schauplätze in unterschiedlichen Zeitepochen sind bewundernswert arrangiert, die agierenden und mitunter berühmten Charaktere allesamt authentisch dargestellt und die Geschichte verspricht bereits auf den ersten Seiten eine derartige Komplexität, dass dem Leser von den vielen Informationen schnell der Kopf schwirrt, er trotzdem nicht in der Lage ist, das Buch zur Seite zu legen. Denn Sprache und Aufbau der Story sind so rasant, was auch das Lesen sehr schnelllebig gestaltet, dass trotz der Verwirrung durch die Sprünge zwischen den verschiedenen Zeiten und Charakteren kaum ein Luftholen möglich ist. Konzentriertes und wiederholtes Lesen mancher Stellen ermöglicht schließlich auch das Entwirren einiger Knotenpunkte, insgesamt bleibt Der letzte Engel jedoch schwierig und eignet sich wahrscheinlich eher für erwachsene Leser als für Jugendliche.
Vor allem die Engelsthematik bekommt in Drvenkars Roman ein ganz neues Gesicht und stellt alles, was bisher dazu auf dem erzählerischen Buchmarkt zu finden ist, deutlich in Frage. Auffällig hierbei ist, dass es keinen offensichtlichen Bösewicht gibt, sondern vielmehr beide Seiten ihre guten und schlechten Argumente haben – und diese auch zur Genüge (und zur Unterhaltung des Lesers) betonen. Während am Anfang noch eine recht eindeutige Position bezogen werden kann, wird im Laufe des Buches immer undeutlicher, auf wessen Seite der Leser sich schlagen sollte. Denn sowohl die „Familie“ als auch die „Bruderschaft“ haben ihre Vorzüge, die sie gut zu inszenieren wissen. Und obwohl Motte als vermuteter Hauptcharakter von allen Figuren am wenigsten mitkriegt und erklärt bekommt, ist der Leser selbst immer auf aktuellem Stand. Auch diese Tatsache sorgt für einige Verwirrung, zeigt aber auf, dass Motte eben nicht die Hauptfigur des ganzen Gebildes darstellt.

Zoran Drvenkar hat sich wirklich Mühe gegeben, als er die Geschichte des letzten Engels entwickelt hat. Eine gründliche Recherche bringt dem Leser verschiedene Punkte näher und selbst Historikmuffel finden in Der letzte Engel so manche Information, die ihre Neugier zu wecken versteht. Die Mischung aus den verschiedensten Genre-Komponenten ist mit Bedacht ausgewählt und zusammengestellt – im Grunde gibt es kaum einen literarischen Bereich, den dieser Roman nicht abdeckt. Natürlich nicht in vollem Maße, das wäre beim verhältnismäßig geringen Umfang auch gar nicht möglich, es ist jedoch zu vermuten, dass der Großteil der Leser auf seine Kosten kommen wird. Ein Griff zum vermeintlichen Jugendbuch lohnt sich also in jedem Fall, nicht nur für die jungen Leser, auch wenn nach Beendigung so manche Frage offen bleibt und der hoffentlich baldigen Fortsetzung mit Ungeduld entgegen geblickt wird.


Fazit:

Für ein Jugendbuch mit Empfehlung ab 14 Jahren ist Der letzte Engel sehr komplex und anspruchsvoll. Selbst erwachsene Leser könnten bei den Sprüngen zwischen Zeit und Charakteren ihre Probleme haben. Mit diesem offensichtlichen Reihenstart wirft Zoran Drvenkar jedoch nicht nur eine Menge Fragen auf, sondern zieht auch so manchen Glauben in Bezug auf Engelswesen, ihren Ursprung und ihre Aufgabe in eine zweifelhafte Position. Spannend zu betrachten ist also nicht nur die Entwicklung der Geschichte selbst, auch die kommenden Reaktionen darauf dürften einigen Staub aufwirbeln.


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5