Verbrannte Blüten (Ngugi wa Thiong’o)

Hammer, 1. Auflage der Neuausgabe Juli 2011
Originaltitel: Petals of Blood (1977)
Übersetzt von Susanne Köhler
Gebunden Ganzleinen, 588 Seiten
€ 26 [D] | € 20,60 [A] | CHF 27,90
ISBN: 978-3-779-50349-1

Genre: Belletristik, Historik, Krimi


Verlagsbeschreibung

Im kenianischen Dorf Ilmorog kommen bei einem Brandanschlag drei Direktoren einer Brauerei ums Leben. Drei Verdächtige werden inhaftiert. Im Zuge der Ermittlungen erzählt der Dorflehrer Munira von den Lebenswegen der Verdächtigen und erweckt dabei nach und nach die Geschichte Ilmorogs zum Leben. Dabei erweist sich das Dorf als der Mikrokosmos, in dem sich eindrücklich die wechselvolle Geschichte Kenias spiegelt. "Ngugi hat einen im besten Sinne politischen Roman geschrieben. Seine Romanfiguren zeugen von einer leidenschaftlichen Humanität, überragender Menschenkenntnis und beeindruckender Einfühlungsgabe." Uwe Walter, Basler Zeitung


Der Autor

Der kenianische Autor Ngugi wa Thiong’o, geboren am 5.1.1938 in Kamiriithu, Limuru, Kenia, ist Schriftsteller und lehrte Vergleichende Literaturwissenschaften und Englisch an der University of California, Irvine, an der New York University und in Yale. Ngugi schreibt seit 1965 Romane, Erzählungen, Essays und autobiographische Texte.


Inhalt

In Ilmorog, einem Dorf in Kenia, kommen Mzigo, Chui und Kimeria, die afrikanischen Direktoren der international operierenden Theng’eta-Brauerei- und Unternehmensgruppe GmbH, während eines Feuers zu Tode. Die Polizei geht von einem Mordanschlag aus. Es gibt vier Verdächtige: den kleinen Händler Abdulla, die Bordellbetreiberin und Prostituierte Wanja, den Gewerkschaftler Karega, den Lehrer und Gottesmann Munira. Munira ist ein Zugereister, dem die Einheimischen anfangs mit Misstrauen begegnen. Er freundet sich mit Abdulla an und verliebt sich in Wanja, die Enkelin der Dorfältesten Nyakinyua. Wanja arbeitet als Bedienung für Abdulla, dem eine Bar und ein kleines Geschäft gehören. Nach einer Trockenzeit und sehr schlechter Ernte bringt Karega die Dorfbewohner dazu, nach Nairobi zu gehen und ihren Parlamentarier Nderi wa Riera auf ihre Probleme hinzuweisen. Munira, Wanja, Abdulla und Karega sind die Hauptfiguren des Romans, der ihre miteinander verbundenen Geschichten vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Kenias erzählt.


Rezension

„Verbrannte Blüten“, der 1980 in der DDR unter dem Titel „Land der flammenden Blüten“ (Verlag Volk und Welt, übersetzt von Josef Zimmering) erhältlich war und im Wuppertaler Peter Hammer Verlag 1981 seine westdeutsche Erstveröffentlichung in der Übersetzung von Susanne Köhler erfuhr, ist der vierte Roman Ngugis.
Nach Erlangung der Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft ist Kenia ein Land, in dem die Kolonialisten nur ersetzt wurden durch die nationalen politischen und ökonomischen Eliten, die bestimmt sind durch Korruption und Gier, Verrat und Ausbeutung der Arbeiter und Bauern. Die wirtschaftliche Entwicklung bringt dem Land neben der Ausbeutung von Mensch und Umwelt die Auflösung traditioneller wirtschaftlicher und sozialer Strukturen.

Ngugi hat viele historische und gesellschaftliche Daten in seine Erzählung eingearbeitet. Er behandelt den Strukturwandel nahezu lehrbuchmäßig. Die Transformation der ländlichen Region geht einher mit Nutzungsrechten an Bebauungsflächen. Diese Ländereien werden von den Kleinbauern eingezäunt und von Banken und Großgrundbesitzern übernommen, wenn die zur Bewirtschaftung vergebenen Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden können. Die Brauerei, deren Direktoren getötet werden, gehörte Abdulla und Wanja, bevor der Staat sie in das Eigentum eines multinationalen Konzerns überführte. Die ländliche Bildung befindet sich in einer Zwickmühle. Während der Lehrer den Kindern Wissen vermitteln will, das sie für die neue Zeit brauchen, wollen die Eltern, dass ihre Kinder in afrikanischer Geschichte und Literatur geschult werden und lernen, was es bedeutet, auch in Zeiten des Wandels Afrikaner zu sein. Die allgemeine Kritik am Bildungssystem wird nicht schon dadurch gegenstandslos, dass es vereinzelt gelingt, Karriere zu machen, wie am Beispiel des angehenden Studenten Joseph gezeigt wird.

Die Erzählung wechselt zwischen der Gegenwart, in der Munira in seiner Gefängniszelle an einem Bericht für die Polizei schreibt, Jahre zurückliegenden Ereignissen, und sie reicht in wenigen Momenten zurück in die 1940er Jahre, der Studentenzeit Muniras in Siriana, und die Jahre des Mau-Mau-Aufstands von 1952-1956. Hinzu kommen die verschiedenen Stimmen, die in den Verhören durch die Polizei Ausdruck finden und den Roman zur Kriminal- und Ermittlungsgeschichte werden lassen. Schließlich gibt es einen (unbestimmten) Erzähler, der wirksam wird in den Sprichwörtern, Gesängen und alten Geschichten, die oft den Charakter von Fabeln haben („Hase und Antilope“), wodurch die Handlung sowie die Menschen in einen mythischen Zusammenhang gesetzt werden, der einen starken Kontrast erzeugt zur Klassengesellschaft der erzählerischen Gegenwart.


Fazit

Ngugi erzählt vom Beharrungsvermögen sozio-ökonomischer Krisen in Afrika, erzählt davon, wie auf traditionelle Strukturen von außen wirkende Entwicklungen einen Weg jenseits der Integration in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eines Landes gehen, erzählt schließlich von den Gewinnern und Verlierern dieses Wandels.
Zugleich ist „Verbrannte Blüten“ ein großartig konstruierter und erzählter politischer Kriminalroman über den Mord an drei Industriellen und die miteinander verschränkten Lebensgeschichten von vier Verdächtigen.


Pro & Contra

+ Ngugis bittere Kritik an Kapitalismus und Neokolonialismus verleiht dem Buch eine Aktualität über die beschriebenen historischen Zusammenhänge hinaus.
+ Viele Textteile (Begriffe, Gesänge) sind im Original mit deutscher Übersetzung abgedruckt, unbekannte Ausdrücke werden in Fußnoten erläutert.
+ Die Verschiebungen in Raum, Zeit und Erzählperspektive erzeugen eine wirkungsvolle Desorientierung.
+ Visuell und haptisch sehr ansprechendes Buch.

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Dies ist eine Gastrezension von Almut Oetjen, herzlichen Dank!