Der Wind der Erinnerung (Kimberley Wilkins)

Verlag Knaur, August 2012
Original: Wildflower Hill, übersetzt von Susanne Goga-Klinkenberg
HC, 492 Seiten, € 19,99
ISBN 978-3426652893

Genre: Belletristik


Klappentext

Als Emma das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Beattie erbt, hat sie wenig Lust, sich mit Kisten voller Erinnerungsstücke herumzuschlagen. Doch ein mysteriöses Foto lässt sie nicht mehr los. Es zeigt Beattie als junge Frau neben einem Mann, der besitzergreifend die Arme um sie legt. Zwischen den beiden ein kleines, rothaariges Mädchen. Der Mann ist nicht Emmas Großvater – und wer ist das Kind? Schon bald vermag sich Emma den Geheimnissen von Beatties Vergangenheit nicht mehr zu entziehen.


Die Autorin

Kimberley Wilkins, geboren in England, lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Australien. Sie hat erfolgreich sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch Romane für Erwachsene publiziert. Ihre Werke wurden unter anderem mit dem Romantic Book of the Year Award, dem Aurealis Award und dem Lynne Wilding Award ausgezeichnet, sowie für zahlreiche andere Preise nominiert. Kimberley Wilkins lebt mit ihrer Familie in Brisbane, sie ist Dozentin an der Universität von Queensland.


Rezension

Desillusioniert, depressiv und verbittert fliegt Emma nach einem Sturz mit verheerenden Folgen für ihre Tanzkarriere aus London zu ihrer Mutter nach Australien. Eigentlich will sie doch nur eines: Tanzen. Ihr Alter und ihre Knieverletzung sprechen mittlerweile eine andere Sprache, aber so ein erzwungenes Karriereende hinterlässt übelsten Nachgeschmack. Zudem hat sich ihr Freund Josh von ihr getrennt, da für sie nur ihre Arbeit im Vordergrund steht, Kinder, Familie und Partnerschaft sind da eher nebensächlich. Wie das Schicksal so spielt stürzt sie kurz nach der Trennung, wobei sie nun erst einmal ihr Leben neu ordnen muss. Da hilft ihr die Erbschaft ihrer Großmutter, eine Farm in Tasmanien, die sie sowieso erst nach Ende ihrer Karriere erhalten sollte. Ihre Großmutter ist bereits verstorben, ihr Testament hatte für Missmut bei ihrer Mutter und ihrem Onkel Mike gesorgt. Alles Geld wurde wohltätigen Einrichtungen gespendet, die eigenen Kinder gingen leer aus. Nur an Emma scheint sie wohl gedacht zu haben. Unwirsch fährt Emma nach Tasmanien, um die Kisten zu sortieren, die Farm zu putzen und anschließend zu verkaufen. Denn eigentlich will sie nur eines: Tanzen. Doch als sie beim Aufräumen auf ein Photo stößt, deren Personen sie überhaupt nicht zuordnen kann, ist ihr Spürsinn erweckt und sie vermutet, dass ihr Großvater wohl doch nicht die einzige Liebe ihrer Großmutter war. Hilfreich dabei sind auch die Geschwister Monica und Patrick, sowie die Tanzgruppe der Hollyhocks, die Emma aus ihrer Lethargie erwecken.

Es gibt zwei Arten von Frauen, Beattie. Die einen tun Dinge, und den anderen tut man Dinge an. Du solltest versuchen, zur ersten Gruppe zu gehören. (Seite 43)

Immer wieder reist Kimberley Wilkins mit den Lesern zurück in die Vergangenheit, indem sie Beatties Leben erzählt. Mit neunzehn vom verheirateten Geliebten schwanger, wandert sie mit ihm nach Tasmanien aus, da Henry sich nicht scheiden lassen kann – oder will. Als der Alkohol seine Klauen nach ihm ausstreckt, sieht sie keine andere Wahl, als ihn mit ihrer Tochter Lucy zu verlassen. Sie landet irgendwann auf Wildflower Hill, welches dann in ihren Besitz übergeht. Mit Hilfe zuverlässiger Mitarbeiter gelingt es ihr, die Farm ertragreich zu führen und mit ihr viel Geld zu verdienen. Doch der Preis für diese Arbeit ist hoch – es wird ein Preis, von dem sie sich nie wieder erholt. Durch diese Einblicke in die Vergangenheit lernen wir Beattie zu verstehen, und spüren die Anziehungskraft des Geheimnisvollen, welches Emma umweht, als sie beim Aufräumen immer mehr ans Tageslicht befördert. Doch zuerst einmal stellt Emma all ihre Stacheln auf, sie will ja eigentlich nur eines: Tanzen. Andere Menschen sind ihr lästig, aus großer Höhe gefallen liegt sie nun zerschmettert am Boden und weint ihrem Lebenstraum hinterher, der in vielen kleinen Scherben um sie herum verstreut liegt. Doch so manche Scherben fügen sich mit der Zeit wieder zusammen und es passiert tatsächlich etwas, mit dem Emma nicht gerechnet hat, sie findet neuen Lebensmut.

Beide Frauen sind vorzüglich gestaltet, man lebt und leidet mit ihnen, ihre Handlungen sind nachvollziehbar, ihre Emotionen tief. Für ihren Lebenstraum übertreten sie Grenzen und geben alles, sie steigen zwar hoch auf, fallen aber auch genauso tief. Ihre Stärke beweisen sie dann wiederum dadurch, wie sie aus der Misere emportreten und die für sie wirklich wichtigen Ziele im Leben erkennen. Der Plot hingegen ist es leider nicht, diese Geschichte gab es schon oft in anderen Büchern, von anderen Autoren. Einzigartig wird die Geschichte durch ihren Stil, der einfach den Leser mit Haut und Haaren verschlingt und anschließend atemlos wieder ausspuckt. Man will wissen, wie es weitergeht, wie sich Emma entscheidet, wie Beattie es gelingt, mit ihren Schicksalsschlägen umzugehen. Obwohl das Meiste so eintritt, wie man es erwartet, lohnt es sich auf jeden Fall, das Buch zu lesen. Erwähnenswert ist stilvolle Gestaltung des Covers, wie auf einer Postkarte, mit schwungvollen Buchstaben geschrieben, umrahmt von einer weißen Orchidee.


Fazit

Kimberley Wilkins hat mit Der Wind der Erinnerung ein eindrucksvolles Debüt hingelegt. Eine Familiengeschichte in der Wildnis Tasmaniens, einprägsame Charaktere und brisante Entwicklungen. Leider folgt sie dabei dem ausgetretenen Pfad des Vorhersehbaren, man kann sich nur wünschen, dass sie in ihrem nächsten Buch mutig genug ist, den Pfad zu verlassen und ein paar Abstecher in die Wildnis macht.


Pro und Contra

+ realistische Problembewältigung
+ liebenswerte und tiefgründige Charaktere
+ Familiengeheimnisse
+ der Umgang mit Schicksalsschlägen
+ Rückblicke
+ kein einfaches Erlernen des Lebens
+ nachvollziehbare Handlungen, auch wenn sie nicht immer glücklich sind

- zu vorhersehbar

Wertung

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4,5/5