Klappentext
Es ist nur ein Spiel.
Aber es geht um sehr viel Geld.
Und für manche bald um ihr Leben …
Richard Forthrast kann so leicht nichts erschüttern: Quasi aus dem
Nichts hat er mit der Schöpfung des Compuerspiels T'Rain ein
millionenschweres internationales Unternehmen geschaffen. Doch er ahnt
nicht, was für eine dramatische Kettenreaktion er in Gang setzt, als er
seiner Nichte Zula einen Job bei T'Rain verschafft. Denn es ist Zulas
Freund Peter, der durch einen fatalen Fehler den Rechner eines sehr
gefährlichen Mannes mit einem neuartigen Computervirus infiziert. Der
Geschädigte sinnt auf Rache - und binnen kurzem reißt dieses
Missgeschick Zula und alles, was Richard wichtig ist, in einen tödlichen
Strudel der Gewalt …
Rezension
Mit Neal Stephenson springt einer der ganz Großen auf den neuartigen Zug
der "Online-Thriller" auf - jenem offenbar angesagten neue Subgenre,
das einen - je nach Auslegung des Autors unterschiedlich großen - Anteil
der Handlung in eine Online-Rollenspiel-Welt verlegt. Und auch, wenn
die sich hierdurch ergebenen Möglichkeiten sicher nicht von der Hand zu
weisen sind, so muss man Stephenson doch dankbar sein, dass er diese
Eskapaden auf ein Minimum begrenzt. Vielmehr liefert er mit "Error"
einen geradlinigen, beinahe als "klassisch" zu bezeichnenden Thriller
ab, der auf 1000 Seiten jede Menge Action, Witz und Raffinesse - aber
auch so manche Länge mit sich bringt. Dieses "Klassische" wird hierbei
jedoch ergänzt durch jede Menge neuer Ideen und Komponenten, die "Error"
dann doch zu einem topmodernen Roman machen: Technologie, Google,
Facebook, Youtube, Terrorismus, China - um nur einige Beispiele zu
nennen. In einer aberwitzigen Story hetzt Stephenson dabei sein
beträchtliches Charakteraufgebot zu den unterschiedlichsten und nicht
minder außergewöhnlichen Schauplätzen: Washington State mit seiner
Metropole Seattle, British Columbia, exotische chinesische Städte - all
dies in einer Geschichte unterzubringen verlangt sicherlich eine mehr
als außergewöhnliche Handlung. Und eine solche hat Stephenson denn auch
parat.
Alles beginnt mit einem Satz gestohlener Daten, der an die russische
Mafia verkauft werden soll. Dumm nur, dass auf dem USB-Stick ein Virus
ist, das chinesische Hacker programmiert haben, um gewissermaßen
Lösegeld für persöniche Daten fordern zu können. Diese Ausflüchte
beeindrucken die Russen nicht - kurzerhand geht es auf nach China, um
die Daten zurückzugewinnen und sich, nach bester Mafiamethode, den
Programmierer des Virus persönlich vorzuknöpfen. Als wäre all das noch
nicht genug, kommt in China auch noch eine islamistische Terrorzelle ins
Spiel, um die Dinge wirklich interessant zu machen.
Was auf den ersten - und vermutlich auch zweiten - Blick verrückt
klingt, entpuppt sich als wahnwitzige Mischung aus Actionspektakel,
Spionagethriller und "Roadmovie" - eine Mischung, die aufgrund ihrer
unkonventionellen Art sehr gewöhnungsbedürftig ist: Nicht selten wirkt
die Handlung vollkommen willkürlich, so als habe Stephenson sich während
des Schreibprozesses selber vom Fortgang der Handlung überraschen
lassen. Praktisch das gesamte Buch über wird dem Leser so nicht recht
klar, worauf Stephenson eigentlich hinaus will. Natürlich hat eine
solche Art der Erzählung ihren Charme - denn das Leben schreibt nun
einmal keine "vorgeplanten" Geschichten. Dennoch ist das auf über 1000
Seiten, die man im Dunkeln tappt, nur ein schwacher Trost. Es überwiegt
das Gefühl der Beliebigkeit. Hinzu kommt, dass hin und wieder etwas
weniger mehr gewesen wäre. Das bedeutet jedoch nicht, dass die einzelnen
Abschnitte nicht spannend wären, denn hier legt Stephenson sich
durchaus ins Zeug und fackelt ein wahres Feuerwerk an action- und
temporeichen Szenen ab. Im Wechsel mit langsameren Szenen, in denen er
Charaktere und Ideen entwickelt, entsteht eine Gesamtkomposition, die
für sich allein betrachtet eigentlich gut funktionieren müsste. Und so
scheitert sie auch einzig am Umfang des Buches, den Stephenson durch
seine Art, sich geradezu auf Details zu stürzen,
in die Höhe getrieben wird. Dafür scheint ihm kein Thema ungeeignet -
für den Leser bedeutet dies, dass er jede Menge interessanter und gut
recherchierter Fakten über eine Fülle von Themen erhält, die Stephenson
gekonnt in die Handlung einflechtet. Zusammen jedoch mit seiner
Angewohntheit, Szenen unnötigerweise in die Länge zu ziehen, entsteht so
das Gefühl, als hätte das Buch mit ein paar hundert Seiten weniger
ebenso funktioniert. In dieser Hinsicht ist "Error" sicherlich ein
Extrembeispiel: Für die über 1000 Seiten ist einfach nicht genügend
Handlung vorhanden, sodass es dem Leser mitunter so vorkommt, als
schwadroniere Stephenson nur um der Wörterfülle willen vor sich hin.
Das mag verwundern für einen Autoren vom Schlage Stephensons, und in der
Tat bleibt "Error" hinter dem zurück, was man von Stephenson gewohnt
ist und erwartet. Das bedeutet nicht, dass das Buch schlecht wäre:
Objektiv gesehen ist Error ein guter Thriller, wo man einen sehr guten erwartet hätte. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass handwerklich
natürlich alles stimmt. Der angenehme Schreibstil zeugt von jener
routinierten Art der wirklich großen Autoren und auch in Sachen Settings
und Charaktere leistet sich Stepehnson keine Schnitzer. Im Gegenteil -
charaktertechnisch bietet "Error" eine interessante und bunte Mischung
an Figuren, denen man gerne durch diese ungewöhnliche Geschichte folgt.
Dabei sind die Hauptfiguren wirklich sehr schön plastisch - insbesondere
Richard Forthrast - wohingegen Stephenson sich nicht scheut, unter den
Nebencharakteren ein paar skurrile Typen zu positionieren, die die
Handlung auf ironische Weise abrunden.
Fazit
Auch, wenn "Error" leicht hinter den Erwartungen zurückbleibt, die man
als Leser an einen Autor wie Stephenson stellt, so ist dieser rasante
(Techno-)Thriller doch größtenteils unterhaltsam und sprüht vor coolen
Ideen. Die ziellose und in die Länge gezogene Handlung ist dabei aber
ein Merkmal, das nicht so recht zu diesem modernen Thriller passen will.
Pro & Kontra
+ tolle Ideen
+ Schauplätze und Charaktere wirklich gelungen
+ technologische Überlegungen und Details gekonnt eingeflochten
o teilweise sehr irrwitzig und abgedreht
- Handlung zieht sich in die Länge
- man erkennt nicht, worauf Stephenson hinaus will
Wertung:
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5
Rezension zu "Anathem"