Meltworld Shanghai (Matthias Matting)

CreateSpace (November 2012)
Taschenbuch, 322 Seiten, 12,99 EUR
ISBN: 978-1481072113

Genre: Phantastik


Klappentext

Shanghai. Eine brodelnde, undurchschaubare Metropole, deren Anziehungskraft sich niemand entziehen kann. Ein Moloch, der sich schleichend verändert: Wer hat alle Schatten verkürzt? Warum weht der Wind ständig auf die Stadt zu? Welche unsichtbaren Fäden ziehen verirrte Seelen in das Straßengewirr? Woher kommt die Welle unmenschlicher Gewalt, deren auf Zeitungspapier getrocknete blutige Gischt die 16-jährige Hannah Harlof seit einiger Zeit in ihrer Facebook-Chronik postet? Die Berlinerin, die erst seit kurzem mit ihren Eltern in Shanghai lebt, muss sich hier nicht nur einer neuen, komplizierten Sprache stellen. Sie erlebt uralte chinesische Traditionen und seltsame Rituale einer neuen Oberschicht. Sie erforscht düstere Schauplätze wie aus einer Alptraumversion ihrer Heimatstadt. Hannah stürzt in eine unmögliche Liebe, sie verschmilzt mit der "Meltworld Shanghai" – doch mehr als das: Ahnungslos treibt sie die ewige Vorherrschaft des absolut Bösen in der Welt der Menschen voran.


Rezension

Hannah ist nicht gerade begeistert, wegen ihrer Familie nach Shanghai ziehen zu müssen. Es fällt ihr schwer, sich in der fremden Kultur zurechtzufinden, auch wenn sie dieser grundsätzlich aufgeschlossen gegenübersteht. Als verträumtes Mädchen fällt es ihr auch nicht leicht, Anschluss zu finden und so sitzt sie die Zeit in der Schule nur ab. Dafür bemerkt Hannah Dinge, die allen anderen zu entgehen scheinen: Die Schatten haben sich verändert. Ein Job in der Bücherei bringt sie der chinesischen Kultur näher – und einem mysteriösen jungen Mann namens Hiro. Er kennt den Grund dafür, dass die Schatten sich verändern. Und er ist ein Dämon aus der Unterwelt …

„Meltworld Shanghai“ beginnt mit drei verschiedenen Geschichten, die nach und nach ineinander verwoben werden. Der Leser lernt mit Hannah die fremde Welt Shanghai kennen, während Hiro sich erst einmal einen menschlichen Körper beschaffen muss. Ein drittes Wesen, das nur „Es“ genannt wird und offenbar ebenfalls dämonischer Natur ist, hat sich einen Hund als Körper ausgesucht. „Es“ ist auf der Suche nach zwei Fackeln und schließt dabei Bekanntschaft mit einer Katze, während Hannah und Hiro sich kennenlernen. Relativ schnell gibt Hiro sich als Dämon zu erkennen, was Hannah jedoch mehr fasziniert als abstößt. Beide verbindet, dass irgendetwas Seltsames in der Welt passiert und Hannah erhält die Chance, mit gemeinsam mit Hiro die Welt zu retten. Dass dieser Gedanke schrecklich naiv ist, muss sie erst bitter lernen.

Hannah ist ein sehr ruhiges, in sich gekehrtes Mädchen, das gerne zeichnet und vor sich hin träumt. Dadurch glaubt sie relativ schnell an die Existenz übernatürlicher Wesen wie Dämonen, vor allem da sie die eigenartigen Veränderungen in Shanghai sieht. Die Schatten sind dabei nur eine Sache. Es sind kleinste Veränderungen, die den meisten Menschen verborgen bleiben und so wirkt „Meltworld Shanghai“ in der ersten Hälfte nur unterschwellig phantastisch. Hiro als Dämon und „Es“ verdeutlichen jedoch, dass hier ein phantastischer Roman vorliegt, der in der zweiten Hälfte mit der bizarren Unterwelt aufwartet. Diese ist äußerst eigentümlich und nicht mit der Hölle zu vergleichen. Viel eher handelt es sich um eine Art Parallelwelt, in der die Macht einer Seele zur Manifestierung von Wesenheiten und Dingen beiträgt. Diese sogenannte Unterwelt ist unheimlich spannend und kreativ gestaltet, sodass man gerne noch mehr darüber gelesen hätte.

Neben der fremden Kultur und den phantastischen Elementen bietet „Meltworld Shanghai“ Erzählungen aus der chinesischen Geschichte, insbesondere die Kulturrevolution betreffend. Alte Mythen werden lebendig und auch die Grausamkeiten, mit der der Kommunismus alte Bräuchte auszurotten versuchte, werden dargelegt. Dabei ist der Roman für ein Jugendbuch fast zu anspruchsvoll. Die Auseinandersetzung mit der chinesischen Geschichte erfolgt feinfühlig, doch junge Leser könnten sich mit den Berichten schwer tun. Auch entwickelt der Roman dadurch eine Tiefe, die eher erwachsene Leser anspricht. „Meltworld Shanghai“ ist dennoch für verschiedene Altersgruppen interessant und für die junge Leserschaft gibt es eine zarte Liebesgeschichte, die auf gängige Klischees weitgehend verzichtet. Anfangs entwickelt sie sich etwas zu schnell, man kann die plötzlich so starken Gefühle nicht richtig nachvollziehen, doch später im Roman spürt man die innige Verbundenheit und kann sich an wundervoll geschriebenen Szenen voller Romantik erfreuen. Der Autor versteht es meisterhaft, besondere Momente und ihre Magie in berührende Worte zu kleiden.

Matthias Matting ist eigentlich kein unbeschriebenes Blatt, das keinen Verlag finden könnte. Doch er hat sich entschieden, „Meltworld Shanghai“ bei CreateSpace selbst zu veröffentlichen. Viele solcher Eigenveröffentlichungen sind gelinde gesagt schlecht, doch bei „Meltworld Shanghai“ kann man bedenkenlos zugreifen. Man bekommt ein qualitativ hochwertiges Buch mit einer schönen Innengestaltung inklusive Illustrationen. Inhaltlich gibt es wenig zu meckern, lediglich die Übergänge zwischen den Storyteilen sind zu sprunghaft. Auch ist die Geschichte anfangs zu ruhig für ungeduldige junge Leser, man muss sich auf den sanften, fernöstlich anmutenden Stil einlassen. Doch wer sich darauf einlässt, kann sich von diesem Roman verzaubern lassen und in fremde Welt voll origineller Ideen eintauchen. Übrigens gibt es eine schön gestaltete Website zum Buch, auf der man die Originalschauplätze besichtigen kann: www.meltworld-shanghai.de. Im Roman gibt es einige Verweise auf Hannahs Facebook-Seite, die tatsächlich existiert – ein netter Gimmick, aber für den Roman nicht essentiell.


Fazit

„Meltworld Shanghai“ ist eine der wenigen Perlen unter den Selbstveröffentlichungen und verzaubert den Leser mit fernöstlichem Flair und kreativen Ideen. Hier und da sind die Übergänge zu sprunghaft, die Ereignisse zu weit hergeholt, was jedoch durch die dichte Atmosphäre und der feinfühligen Auseinandersetzung mit der chinesischen Kulturrevolution wettgemacht wird. Ein eigentümlicher Roman mit einer bizarren Unterwelt und charismatischen Charakteren, mit kleinen Schwächen, aber auch dem gewissen Etwas.


Pro & Contra

+ eigentümliche, fernöstliche Atmosphäre
+ sympathische Protagonisten
+ wundervolle Liebesgeschichte
+ originelle Ideen
+ bizarre Dämonenwelt
+ Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution
+ passender, ruhiger Schreibstil
+ schöne Innengestaltung

- Handlungsverlauf zu sprunghaft
- manche Ereignisse sind zu weit hergeholt

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Interview mit Matthias Matting (Januar 2013)