Das mechanische Herz – Der Flug des Nachtfalters (Franka Lyra Stolz)

UBooks, 1. Auflage September 2012
Taschenbuch, 320 Seiten
9,99 EUR (D)
ISBN: 978-3-939-23935-2

Genre: Historisch-düstere Fantasy


Über das Buch:

London 1880. Queen Victoria regiert unangefochten das Britische Empire. Ebenso uneingeschränkt gebietet Lady Integra Houghton über den Besitz ihres Vaters. Dennoch wird die rebellische Tochter aus gutem Hause von den Gepflogenheiten ihres Standes schier erstickt und nun muss sie sich auch noch verheiraten. An Bewerbern mangelt es der jungen Adeligen nicht, doch nach einem Reitunfall geht ihr der Stallbursche Simon nicht mehr aus dem Kopf.

Als schließlich der mysteriöse Comte d’Arcy in ihr Leben tritt, bleibt nichts mehr, wie es war. Er zeigt ihr eine Welt voller Vampire und Magier, die sich seit Anbeginn der Zeiten gegenüberstehen und ein mächtiges Artefakt hüten: das Mechanische Herz, welches der Überlieferung nach in den falschen Händen das Ende der Menschheit bedeuten könnte.
Lady Integra muss sich entscheiden: Will sie in einem Leben voller Konventionen und Verpflichtungen verharren oder folgt sie ihrem Herzen, um die wahre Liebe zu finden?

Franka Lyra Stolz gelang mit ihrem Debüt ein spannender Roman mit zahlreichen Wendungen, der die viktorianische Zeit als Hintergrund für eine traumhafte Liebesgeschichte nutzt.


Rezension:

Für eine Dame im viktorianischen Zeitalter ist Lady Integra Houghton nach gesellschaftlichem Standard schon viel zu lange unverheiratet. Obwohl ihr Vater ihr gerne alle, auch und vor allem unkonventionellen Freiheiten lässt, bleibt seiner rebellischen und einzigen Tochter nicht mehr viel Zeit, sich einen angemessenen Verlobten zu suchen und endlich sesshaft zu werden. Integra ist sich dessen durchaus bewusst und sie kann sich wirklich nicht über zu wenige passende Gentlemen beschweren. Trotzdem fühlt sie sich durch diese gesellschaftlichen Richtlinien ihrer Zeit eher eingeschränkt, was sie jedoch nicht daran hindert, sich – wenn auch mehr im Geiste – gegen diese Normen zu stellen. Schließlich entscheidet sie sich trotzdem für Lord Wotton, der ihr schon seit längerer Zeit seine Aufwartung darbietet – jedoch nur zum Teil aus gesellschaftlichen Gründen. Denn auf der anderen Seite wartet nicht nur das aufregende Leben in London, das Integra mehr als reizvoll erscheint, sondern der Umzug in die Stadt bietet ihr auch die Möglichkeit, ihre aufkeimenden Gefühle für den Stallburschen Simon zu ersticken.
Doch das fällt ihr schwerer als gedacht, auch ihr Ehemann entpuppt sich als wahres Ekel und so flüchtet sich Integra in die angenehme Gesellschaft eines zuvorkommenden Mannes, mit dem sie sich wundervolle Wortgefechte liefern kann – dem jungen Oscar Wilde. Simon kann sie darüber jedoch trotzdem nicht vergessen, was für alle Beteiligten unangenehme Folgen nach sich zieht, und so gerät die junge Lady in Machenschaften jenseits ihrer Vorstellungskräfte und kommt mit Gestalten in Kontakt, die direkt ihrer Phantasie entsprungen sein könnten. Ein Zurück gibt es nicht mehr und für Integra stellt sich die Frage, was sie für Simons und ihre eigene Freiheit zu tun bereit ist.

Ein historisch-phantastischer Liebesroman ist im Normalfall etwas, das mit einer aufgebauschten, aber unrealistischen Liebesgeschichte auffahren kann, in einer vergangenen und möglicherweise interessanten, aber schlecht recherchierten Zeit spielt und dem Leser sicherlich nette, jedoch völlig stereotype und dadurch langweilige Charaktere bietet. Nichts von all dem findet sich im Debütroman von Franka Lyra Stolz wieder, die im „wahren“ Leben als Lektorin tätig ist und daher ziemlich genau weiß, worauf es bei Büchern ankommt. Doch obwohl sie die Tricks kennt und sehr sicher einschätzen kann, was auf dem aktuellen Buchmarkt gerade so richtig gut im Rennen liegt, hat sie sich ganz bewusst gegen einen erfolgsgarantierenden Abklatsch entschieden und ihre ganz eigene Geschichte auf Papier gebracht – und die ist alles andere als bequem.
Denn hier gibt es weder eine seichte und vorhersehbare Lovestory noch durch die Bank weg sympathisierende Charaktere noch ein schmusig-schönes Setting noch die typischen, klischeebehafteten phantastischen Elemente und Gestalten. Wer solche Unterhaltung sucht, ist bei Das mechanische Herz – Der Flug des Nachtfalters definitiv falsch. Doch wer sich auf unbequeme, aber trotzdem liebenswerte Charaktere einlassen kann, Lust auf eine gut durchdachte und detailreiche Geschichte hat und in der Lage ist, über den Tellerrand hinaus zu schauen, der findet in diesem Debüt eine wahre Goldgrube.
Zwar ist es nicht immer leicht, da sich in diesem ersten Band einer mehrteiligen Reihe vieles aufstaut und man als Leser nicht nur in die Sprache, sondern auch ins Setting finden muss. Gerade Geschichtsmuffelige werden anfangs ihre Probleme mit den vielen historischen Hintergründen haben, die zum Aufbau der Storyline wichtig sind. Doch das Durchhalten lohnt sich, denn man bekommt eine Geschichte vorgesetzt, die nicht nur durch Wortwitz, sondern auch durch Atmosphäre zu überzeugen weiß, obwohl das komplette Buch fernab der aktuellen Verkaufshits liegt – denn es erfüllt einen gewissen Anspruch.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass dieser Roman sicher keinen Platz auf den großen Bestseller-Listen gewinnen wird. Dafür ist er zu komplex und zu weit ab von dem, was sich derzeit gut und leicht verkauft. Muss er aber auch gar nicht. Der Kreis derer, die die Qualität vom Flug des Nachtfalters zu schätzen und zu genießen wissen, wird Leseempfehlungen an diejenigen aussprechen, die wirklich etwas mit dem Buch anfangen können. Oberflächliche Leser und solche, die keine Ausdauer aufbringen möchten, weil Mit- und Nachdenken eben doch einfach zu anstrengend ist, dürfen gerne weiterhin den massentauglichen Einheitsbrei in sich hinein schaufeln in der Hoffnung, dass vielleicht doch mal eine Perle dabei ist. Die Leser dieses Debüts haben bereits eine gefunden, doch wahrscheinlich sind nur die wenigsten in der Lage, sie auch zu erkennen – denn hierfür bedarf es nicht nur mentale Arbeit, sondern auch die besondere Eigenschaft, sich etwas Neuem und möglicherweise bisher Ungeliebtem zu öffnen.


Fazit:

Das mechanische Herz – Der Flug des Nachtfalters ist ein Debüt, das nicht klar einem Genre zugeordnet werden kann und gerade mit dieser Mischung für jeden Leser etwas zu bieten hat. Franka Lyra Stolz verbindet einen historischen Hintergrund mit phantastischen Elementen und schafft durch kleine Nebensächlichkeiten nicht nur literarische Atmosphäre, sondern erzeugt an den richtigen Stellen auch Spannung. Ein gelungener, wenn auch teilweise vielleicht etwas schwieriger Auftakt und lesenswert für alle, die was Neues ausprobieren möchten!



Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5

Tags: Steamfantasy, 19. Jahrhundert, historische Fantasy, London