Der Gefangene des Himmels (Carlos Ruiz Zafón)



S.Fischer Verlag (Oktober 2012)
gebunden, mit Schutzumschlag
416 Seiten, EUR 22,99
ISBN: 978-3-10-095402-2


Genre: Belletristik

Innerer Klappentext

Barcelona, Weihnachten 1957. Ein fremder betritt die Buchhandlung Sempere & Söhne. Er ersteht das teuerste Buch im Laden, eine Ausgabe des >Grafen von Monte ChristoDer Schatten des Windes<, ist es der Auftakt einer dramatischen Geschichte von Verfolgung und Heimsuchung, die sie an schmerzliche Punkte der Vergangenheit führen und ihr ganzes Glück bedrohen wird. Fermín muss sich seiner dunkelsten Zeit stellen und ein anderer werden, um schließlich ganz er selbst zu sein.


Rezension

Mit "Der Gefangene des Himmels" legt Zafón den dritten Teil seiner "Barcelona-Tetralogie" um den Friedhof der vergessenen Bücher vor. Interessanterweise kann man von dieser auch - je nach Belieben - nur einzelne Titel lesen. Auch die Reihenfolge ist beliebig:


DER FRIEDHOF DER VERGESSENEN BÜCHER

Dieses Buch gehört zu einem Zyklus von Romanen, die sich im literarischen Universum des Friedhofs der vergessenen Bücher überkreuzen. Sie sind miteinander durch Figuren und Handlungsstränge verbunden, die erzählerische und thematische Brücken schlagen, aber jeder enthählt eine in sich geschlossene, von den anderen unabhängige Geschichte.

Die einzelnen Bände der Reihe um den Friedhof der Vergessenen Bücher können in beliebiger Abfolge - oder auch jeder für sich allein - gelesen werden, so dass der Leser über verschiedene Wege und Türen ins Labyrinth der Erzählungen gelangen und es auskundschaften kann; miteinander verknüpft, werden sie ihn ins Zentrum der Geschichte führen.

(Seite 5)

Das funktioniert erstaunlich gut: Ohne Vorkenntnisse bekommt man eine interessante und bewegende Geschichte geboten, die auch für sich allein betrachtet gut funktioniert. Mit Vorkenntnissen eröffnet sich dem Leser darüber hinaus eine weitere Episode aus dem Leben von Daniel Sempere, jenem Protagonisten des Weltbestsellers "Der Schatten des Windes", der Zafón hierzulande erst richtig berühmt gemacht hat. Allerdings muss sich "Der Gefangene des Himmels" schon den Vorwurf gefallen lassen, dass die Verbindung zu diesem recht dünn - oder zumindest nicht sehr offensichtlich - ausfällt. Fast erscheint dieser Abschnitt aus dem Leben Daniels wie eine Art Sequel das noch dazu völlig neue Ereignisse und Figuren in den Mittelpunkt stellt. Dennoch schöpft Zafón auch bei diesen wieder einmal erzähltechnisch aus dem Vollen: Diesmal steht Fermín und dessen bewegtes Leben im Zentrum der Erzählung - womit sich wieder einmal ein neuer Blickwinkel auf die Begebenheiten um den Friedhof der vergessenen Bücher auftut, ganz nach dem Anspruch Zafóns, der ja mit jedem Buch "andere Wege und Türen ins Labyrinth der Erzählungen" eröffnen möchte.

Wer jetzt befürchtet, bei all dem auf ein würdiges Wiedersehen mit Daniel Sempere verzichten zu müssen, der kann beruhigt sein: Denn natürlich spielt auch Daniel wieder einmal eine Zentrale Rolle, in der er nicht nur die Handlung entscheidend mit trägt, sondern die dem Leser auch einen Einblick ermöglicht, wie es Daniel seit dem letzten Band ergangen ist. Diese Vermischung des Alltäglichen und des Neuen hat einen besonderen Reiz, gerne lässt man sich im ersten Teil des Buches auf Daniels Leben als Familienvater ein, verfolgt interessiert, wie es ihm ergeht, beispielsweise im Buchladen Sempere & Sohn; als Ehemann und Vater.
Wie gewohnt zeichnet Zafón hierbei ein authentisches Bild seiner Charaktere. Daniel präsentiert dabei neue Seiten von sich, die überzeugen und das Bild dieses Charakters ergänzen und abrunden. Der eigentliche Protagonist - Fermín ergänzt die Figurenpalette um eine mal humorvolle, mal tragische bis tragikomische Komponente. Seine Geschichte, die den Mittelpunkt des Buches bildet, erzählt von seiner Gefangenschaft im berüchtigten Gefängnis Montjuic, wo er nach Ende des spanischen Bürgerkrieges inhaftiert wird und so manch skurriler Gestalt begegnet. An dieser Stelle offenbart sich das ganze erzählerische Talent Zafóns: Jene tragischen Schicksale, die das Leben von Fermín und seinen Mithäftlingen für immer prägen werden und von denen er anfangs nur widerwillig berichtet, bilden einen gelungenen Mittelpunkt des Romans; zumal hier der Bezug zum Thema der Tetralogie sehr schön in eingearbeitet ist - nur eben nicht sonderlich offenkundig.

Handwerklich ist daran - wie stets - nichts auszusetzen; Zafón malt sein innig geliebtes Barcelona beinahe schon routiniert traumhaft. Diesmal zur Weihnachtszeit bekommt die in Zafóns Schilderungen ohnehin stets von einem Hauch des Geheimnisvollen umgebene Stadt eine weitere märchenhafte Komponente. Wie stets bietet auch "Der Gefangene des Himmels" ein sprachlich hohes Niveau, das einem das Eintauchen in Zafóns phantastisch-mysteriöse Erzählung sehr erleichtert.

Schlussendlich ist Zafóns neuestes Werk ein recht gelungener weiterer Abstecher in das Universum des Friedhofs der vergessenen Bücher - allerdings einer, dessen realer Bezug - abseits vom thematischen Bezug - zur Tetralogie allenfalls gering ist. Hier muss der Leser selber entscheiden, ob ihm eine unabhängige Episode ausreicht, ganz nach Zafóns Anspruch, zwar thematisch verknüpfte, aber dennoch unabhängige Erzählungen zu liefern. Ein gewisses Rätselraten bleibt trotzdem am Ende der Lektüre: Als Leser fällt es schwer, einzuordnen, was Zafón jetzt genau mit dieser Erzählung bezweckt. Zu willkürlich erscheint sein "Drauflos Erzählen" in eine scheinbar beliebige Richtung. Entgegen seinem Anspruch, der Leser könne mit jedem beliebigen Band der Tetralogie beginnen, scheint dieser Band hierfür am bisher ungeeignetsten und richtet sich daher eher an jene, die die anderen Bände bereits kennen. Erst ganz am Ende des Buches zaubert Zafón eine sehr direkte Verbindung gewissermaßen aus dem Hut.

Fazit

"Der Gefangene des Himmels" lässt den Leser mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits bekommt man eine unterhaltsame Geschichte mit guten Charakteren vor gewohnt traumhaftem Setting - andererseits scheint die Handlung sonderaber "ziellos", ohne in den rechten Kontext der Tetralogie passen zu wollen - jedenfalls zu einem gewissen Grad. Neueinsteiger sollten definitiv mit "Der Schatten des Windes" beginnen.


Pro & Kontra

+ Schreibstil und Setting von gewohnter Qualität
+ Charaktere interessant (Wiedersehen mit Daniel Sempere)

- unklar, was Zafón mit diesem Band wirklich bezweckt
- Überleitung im allerletzten Moment wirkt gekünstelt
- generell nicht so stark, wie die anderen Bände

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3/5