Un Lon dun (China Miéville)

miville c-unlondun

Bastei Lübbe Verlag, 1. Auflage Februar 2008
Taschenbuch, 592 Seiten
12,00 € (D)
ISBN 978-3-404-20588-2
Gelesen im englischen Original

Genre: Fantasy


Klappentext

 

Die Mädchen Zanna und Deeba gelangen durch Magie nach UnLondon: in eine Wunderstadt, wo alle verlorenen und kaputten Dinge Londons enden. Hier laufen alte Regenschirme wie bedrohliche Spinnen umher, streifen gefährliche Giraffen durch die Straßen und wuchern dichte Dschungel gleich hinter den Eingangstüren von ganz normalen Häusern. UnLondon lebt in Angst. Ein finsteres Wesen bedroht die Stadt. Die Bewohner verlangen von den Mädchen, die Stadt zu retten, schließlich ist eine von ihnen die Auserwählte! Plötzlich lastet alle Verantwortung auf den beiden, und der dunkle Feind rückt immer näher ...


Über den Autor

China Tom Miéville, geboren am 06. 09. 1972, ist Brite und schreibt fantastische Literatur. Er beschreibt seine Werke gern als "weird fiction" (in Anlehnung an die frühren Autoren des Pulp und Horror-Genres wie etwa H. P. Lovecraft). Er gehört zu einer Gruppe von Schriftstellern, die bewusst versuchen, das Fantasy-Genre weiterzuentwickeln, fort von der verbreiteten tolkienesken Fantasy. Miéville wurde in London geboren, wo er gegenwärtig auch lebt. Mit achtzehn Jahren unterrichtete er Englisch in Ägypten, wo er sein Interesse für die arabische Kultur und die Politik des Mittleren Ostens entdeckte. Miéville studierte in Cambridge und an der London School of Economics. Sein erster Roman, König Ratte, wurde von Lesern und Kritikern mit Begeisterung aufgenommen. Die Weber und Die Falter gewannen den Arthur-C.-Clarke-Award und waren für den Hugo-, Nebula- und World-Fantasy-Award nominiert. Sein dritter Roman, Die Narbe, wurde 2003 für den Arthur-C.-Clarke- sowie für den World-Fantasy-Award nominiert.


Rezension

 

Fantasy-Bücher gibt es mittlerweile wie Sand am Meer; dass es nicht immer marodierende Armeen von Orks, weise Magier oder anderer Ungestalten wie Vampire und Co. bedarf, beweist China Miéville. In Un Lon dun entführt er den Leser in eine faszinierende Welt, die der unsrigen erstaunlich (un-) ähnlich) ist. „un“ ist die Silbe, um die sich in diesem Buch ohnehin alles dreht. Dabei beginnt alles so ordinär ...

Es ist ein normaler Schultag, zumindest für die meisten Schüler, die Schüler, die den Fuchs am Rande des Schulhofs nicht bemerkt haben. Die Freundinnen Zanna, kurz für Suzanna, und Deeba, allerdings sind seit einigen Wochen sensibilisiert darauf, ungewöhnliches im Alltag zu entdecken. Zuerst waren es nur Hunde, die sich vor Zanna verneigten; dann tauchte eine seltsame Frau auf, während die beiden in einem Café saßen und redete ehrfurchtsvoll auf das blonde Mädchen ein; kurz darauf schob eine Wolke Zannas Antlitz über den Himmel; und nun sitzt am Rande des Hofs ein zahmer Fuchs und senkt ergeben das Haupt. Den beiden Mädchen ist klar, irgendetwas stimmt hier nicht. Als die Mädchen auf dem Heimweg von einer dunklen Wolke angegriffen werden und nachts an Zannas Fenster eine seltsame Gestalt erscheint, beschließt Zanna, herauszufinden, was hinter den merkwürdigen Ereignissen steckt. Die wiederstrebende Deeba im Schlepptau folgt sie der vermeintlichen Spinne, die sich als verkrüppelter Regenschirm entpuppt, in einen verlassenen Keller. Mit Hilfe eines Ventils drehen die beiden nicht nur an der Zeit, sondern vor allem am Ort, und plötzlich befinden sie sich in einem London, in dem Haushaltsmüll Passanten auflauert, Menschen Kleidung aus Papier tragen und Worte Gestalt annehmen können. Unlondon, eine Schwesterstadt von Paris’nt, No York und Lost Angeles steht kurz vor einem Krieg und es ist an Zanna, ihn zu verhindern. Aber in Unlondon entwickelt sich nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Bereits 2004 entführte Christoph Marzi mit Lycidas den Leser in ein anderes London, eine Stadt tief unter der Stadt – düster und angefüllt mit allerlei Figuren aus Mythologie, Religion und Fantasy. China Miéville nun entwickelt keine gänzlich neue Stadt, denn Unlondon ist London, inklusive Themse und Millennium Wheel – nur ein kleines bisschen anders eben. Mit viel Phantasie und Lust an der eigenen Sprache kreiert er aus dem Alltäglichen Neues. So werden aus kaputten Umbrellas (Regenschirmen) in der Unstadt lebende Unbrellas, Diener des geheimnisvollen Unbrellissimo, Busse schweben wie Zeppeline über der Stadt und unter einer Brücke verbirgt sich sogar ein Elitekrieger, wenn aus Bin (Abfalleimer) und Ninja plötzlich ein Binja wird. Das klingt seltsam, weiß aber zu fesseln, sobald man sich einmal darauf eingelassen hat. Dann macht es sogar Spaß mit den interessanten Figuren des Buches durch die Straßen der Stadt zu wandern und mit ihnen zusammen dessen Wunder zu entdecken. Untermalt wird die Geschichte durch Zeichnungen, die sowohl in der englischen wie auch der deutschen Fassung so mancher Kreation ein Gesicht verleihen.

Un lon dun beherbergt jedoch nicht nur skurrile Gestalten, auch die Geschichte weiß zu überzeugen, gerade weil der Autor seine Figuren eben nicht den bekannten Schemata folgen lässt. Fallen, Geisterjungen, die durch verschlossenen Türen gehen können, und andere Tricks – alles wird von der Hauptfigur und ihren Freunden herangezogen, um das Überleben der Stadt zu erreichen. Denn anders als für den Leser ist für die Protagonisten eben nicht der Weg das Ziel; und so werden auch gerne einige Punkte der Prophezeiung übersprungen, wenn man dadurch Zeit gewinnen kann. Zeit ist durchaus ein Faktor in der Unstadt – bleibt man zu lange, wird man in der „richtigen“ Welt schlicht vergessen.

Neben der Sprache und Welt überzeugt Miéville vor allem durch seine Charaktere. Da ist Zanna, die als Retterin vorhergesagt wurde, allerdings recht schnell von ihrem Gegenspieler durch eine List zuerst aus Unlondon und später durch Amnesie gänzlich aus dem Rennen geworfen wird. Nun ist es an Deeba, dem typischen Handlanger-Format, die Stadt zu retten, aber wie soll sie das anstellen, wo ihr niemand glaubt, dass die Stadt wirklich in Gefahr ist? Dies ist dem finsteren Wesen zu verdanken, das die Stadt bedroht; und auch hier beweist Miéville sein Genie indem er nicht das typische Monster oder den typischen Zauberer heraufbeschwört, sondern ein unreales Unwesen. Smog. Durch Katalysatoren und Regierungsabkommen mit der Wirtschaft aus dem realen London verbannt, hat sich die dunkle Wolke in die Unstadt verzogen. Passenderweise lebt der Smog nicht nur von Verbranntem, sondern wächst auch daran. Vermehrt also sein Wissen, wenn Bücher verbrannt werden oder entwickelt neue Fähigkeiten im Fall von chemikalischen Abfällen. Ausgestattet mit diversen Handlangern, wie zum Beispiel den Smombies (Smog und Zombies), stellt er Deeba, ihre Freunde die restlichen Unlondoner vor eine scheinbare unlösbare Aufgabe. Denn wie bekämpft man etwas, das weder wirklich körperlich ist und durch jedes kleinste Feuer an Stärke gewinnt?


 

 

 

Fazit

 

Un lon dun ist ein Festschmaus für alle, die Skurriles lieben, sich immer wieder gerne Überraschen lassen und Sprachwitz schätzen, wobei dieser natürlich insbesondere im englischen Original seinen vollen Zauber entfalten kann. China Miéville brennt ein wahres Feuerwerk an Ideen ab, ohne dabei den Faden oder die Echtheit seiner Welt aus den Augen zu verlieren. Absolute Leseempfehlung!


Pro & Contra

+ Skurrile Welt und Figuren
+ herrlicher Sprachwitz
+ Vielfalt und Authentizität der Nebencharaktere
+ Unvorhersehbarkeit der Wendungen
+ Smog als „Bösewicht“
 
o Wortspiele funktionieren zum großen Teil nur im Original
 

Wertung: alt

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5