Ein Vertrag mit Gott (Will Eisner)

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Verlag: Carlsen
Gebundene Ausgabe: 508 Seiten; 36 €
ISBN-13: 978-355175044-0

Genre: Roman/ Gesellschaftskritik/ Alltag


Klappentext

Ein Vertrag mit Gott ist ein Meilenstein der Comic-Literatur. Mit seiner Reminiszenz an das jüdische Mietshausmilieu der 1920er- und 30er-Jahre lotet Will Eisner die Grenzen des Erzählens in Bildern aus und bereitet den Weg für die Gattung der Graphic Novel. In den weiteren Geschichten dieses Bandes kehrt Eisner zurück in die Dropsie Avennue, eine fiktive Straße in der New Yorker Bronx, und schafft mit seinen Erinnerungen ein sehr persönliches Porträt urbanen Lebens und eine schillernde Hommage an seine Heimatstadt in der realistischen Tradition amerikanischer Erzähler wie John Dos Passos oder John Steinbeck.

Der vorliegende Band der „Will Eisner Bibliothek“ enthält die Geschichten:
Ein Vertrag mit Gott
Lebenskraft
Dropsie Avenue


Mit einem Vorwort des Autors sowie einem Nachwort von Andreas C. Knigge

„Will Eisner hat die Welt der Comics erschaffen, wie ich sie kennengelernt habe. Mit seiner nie versiegenden Vitalität als Erzähler und Künstler fordert er Sinn und Verstand heraus, Zeit und Geschichte – und nicht zuletzt die Zeichner von heute.“
Michael Chabon, Autor des Romans Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay

„Eisner war seiner Zeit nicht nur voraus, unsere heutige Zeit hat ihn noch immer nicht eingeholt.“
John Updike

„Amerikas wichtigster Zeichner.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung


Rezension

Will Eisner, 1917 geboren und gestorben 2005, zählt zu den ganz großen der Comic-Literatur. Wobei dieser Begriff tatsächlich eine Einschränkung darstellt, wenn man sein Werk und vor allem sein Spätwerk einer genaueren Betrachtung unterzieht. Ihm die Qualität von berühmten Romanautoren wie Hemingway abzusprechen, wäre ein großer Fehler.
Anfangs verfasste er zwar noch einfache Geschichten für die aufkommenden Comichefte.aber auch dort brach sich schon seine Kreativität bahn, er ordnete für verschiedene Ausgaben die Panels seiner Comics unterschiedlich an und entdeckte, dass eine Seite auch als Gesamtkonzeption verstanden werden kann und somit auch ein kreativerer Umgang mit den Panels möglich ist. Als er damals in den 30ern äußerte, Comics hätten literarisches Potenzial, erntet er nur Spott. Laut Eisner waren für die damaligen Verleger „der typische Leser ein debiler Zehnjähriger aus Kansas City“. Er kehrte den Comicheften den Rücken und entwarf für Zeitungen eine Sonntagsbeilage in Comicform, ohne zu ahnen, welche Folgen dies haben würde. The Spirit wurde ein voller Erfolg und ein Klassiker in der Comicgeschichte. Die Geschichten um Denny Colt wurden durch ihre filmische Erzählweise, zu Vorbildern für andere Zeichner – und Regisseuren. William Friedkin, Regisseur von French Connection ist nur einer von vielen. Heute sind die Comics um seinen populärsten Helden wieder bzw. immer noch verfügbar und bewirken die gleiche Faszination wie vor 60 Jahren.

1978 war dann das Jahr, welches sich für Will Eisner und die Comicwelt vielleicht als am Wichtigsten herausstellte.
Ein Vertrag mit Gott erschien. Eine Sammlung von vier Kurzgeschichten, die zur Zeit der großen Depression spielten und vom Leben der Einwohner der fiktiven Dropsie Avenue erzählten. Will Eisner prägte für sie den Begriff Graphic Novel, ein heute üblicher Begriff, damals etwas vollkommen neues und ungewöhnliches. Comics hatten bis dahin keinen offiziellen literarischen Anspruch in Amerika. Will Eisner forderte ihn nun ein. Zu Recht.
Was er mit Ein Vertrag mit Gott geschaffen hat, ist nicht weniger als ein Werk höchster literarischer Qualität. Die vier versammelten Geschichten beschäftigen sich mit dem Leben und Leiden der Menschen, die zufällig in derselben Straße wohnen. Es geht um Zweifel, um Glauben, um das Leben an sich in seinen verschiedenen Variationen. Sei es, dass junge Menschen einen Weg aus dem Elend ihrer Herkunft suchen oder ein Mann zu Fall kommt, der verführt wurde seiner Begierde nachzugeben. Will Eisner zeigt sie ungeschminkt, so wie sie sind und lässt den Leser unmittelbar teilhaben. Dabei sind es nicht die großen bedeutsamen Dinge, die den Leser gebannt halten. Nein, es ist der Alltag, es ist der arbeitslose Mann, der sein Geld mit Singen in Hinterhöfen verdient, oder der arme Schlucker, der im Urlaub reich tut, um sich die Erbin eines Vermögens zu angeln. Die Geschichte, die den Leser vermutlich am nachhaltigsten dabei beschäftigen wird, ist gleich die erste und titelgebende für das vorliegende Buch. In ihr verliert ein Vater seine Tochter und stellt sein bisheriges Leben in Frage, ändert sich, nur um letztendlich an den Anfang zurückzukehren, in der irrigen Annahme er hätte mehr erreicht als je zuvor. Jede Geschichte für sich ist im Kern tragisch und ist wirklich eine „Mietshausgeschichte“, wie sich Will Eisner ausdrückte. Die Lebenswege seiner Protagonisten sind lose miteinander verknüpft und bilden den alltäglichen Überlebenskampf der Menschen in den Zeiten der Wirtschaftskrise und Börsenkrach ab.

Diese Elemente griff Will Eisner 1983 in Lebenskraft wieder auf, dem zweiten Band, der in dieser Ausgabe enthalten ist. Er verdichtet sie, indem er sich auf die Familie von Jakob Shtarkah konzentriert. Zunächst einfacher Zimmermann gewinnt dieser im Laufe der Zeit immer mehr an Erfolg, wird Holzhändler und muss sich mit vielfältigen Problemen auseinandersetzen. Die aufkommenden Gewerkschaften, die von der Mafia ausgenutzt werden, der Mafia selbst und, da die Nazis in Deutschland an die Macht gekommen sind, auch mit seiner Vergangenheit und Fragen der Einwanderung. Er und seine Familie auf der Suche nach dem Glück und obwohl sie nicht viel vom Leben verlangen, ist es mehr als schwer zu finden.

Das dritte und letzte Buch ist Dropsie Avenue. Waren in den beiden zuvor die Menschen an sich das Zentrum der Erzählung ist dies nun die Straße an sich. Ihre Geschichte verfolgt Will Eisner von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis in die 80er Jahre. Zeigt, wie sie  sich von Farmland in eine wohlhabende Wohngegend wandelt, nur um im Laufe der Zeit sich in ein Wohnviertel der Einwanderer und Armen zu verwandeln, indem die Hoffnung meist das einzige ist, was den Menschen geblieben ist. Bevor sie dann wieder in neuem Glanz erstrahlt und den Kreislauf von neuem beginnt. Die Geschichte begleitet das Auf und Ab dieser Gegend, in dem sich die verschiedenen Einwandererströme abbilden, begegnen und mitunter auch bekämpfen. Sie ringen um die Vorherrschaft, um ein bisschen Glück zu erlangen. Will Eisner seziert das Leben in dieser Straße und gewährt damit Einblick in das Leben der Großstadt der entsprechenden Zeit. Er zeigt seine Charaktere als das was sie sind: Menschen, die voller Ängste und Hoffnungen sind und sich nicht wirklich unterscheiden, egal welcher Nationalität, Ethnie oder Religion.
Will Eisner erzählt im Vorwort, er habe so manches Geschilderte, in etwa so erlebt. Bei der Kraft, die seinen Geschichten innewohnt, glaubt man dies nur gerne. Und so ist Ein Vertrag mit Gott eines der ganz großen literarischen Werke des letzten Jahrhunderts. John Updike hat Recht, wenn er sagt:

„Eisner war seiner Zeit nicht nur voraus, unsere heutige Zeit hat ihn noch immer nicht eingeholt.“

Die Zeichnungen zeigen Will Eisner auf dem Höhepunkt seines Könnens und dürften auch heute noch für jeden angehenden Zeichner ein Ansporn sein. Genauso kreativ und tiefgehend wie seine erzählten Geschichten sind auch sein Aufbau und seine Gestaltung der Seiten. Perspektiven und Anordnung der Panels sind perfekt aufeinander abgestimmt und die Gestaltung der Charaktere ist passend zu ihrem Verhalten und ihren Gefühlen. Eisner weiß genau, was er tun muss, um Atmosphäre und Spannung aufzubauen. Es gibt zwar viel Text zu lesen, aber dieser ist sehr gut eingebunden in die Zeichnungen und es fällt nicht im Mindesten auf, wie viel eigentlich zu lesen ist.

Carlsen hat Ein Vertrag mit Gott zusammen mit Lebenskraft und Dropsie Avenue in einem Band, entsprechend seiner Bedeutung, wunderbar gestaltet, herausgebracht. Dies fängt schon beim Titel auf dem Einband an, bei dem die Buchstaben mit kleinen Schnörkeln versehen sind und so das Aussehen des Ivrits haben, der hebräischen Schrift. Die Zeichnungen wurden nicht schwarz-weiß reproduziert, sondern in einem dunklen Braunton auf beigefarbenen, hochwertigen Papier. Dies verleiht ihnen zusätzlichen Glanz und lässt sie im besten Licht erstrahlen.

Ausstattungsmäßig kann auch nichts bekrittelt werden. Will Eisner hat für diese Ausgabe eigens zwölf Zeichnungen geschaffen und Vorwort und Nachwort sind beide höchst informativ. Dazu gibt es noch einen kurzen, biographischen Abriss des Autors und ein, bei dem 500 Seiten dicken Buch nötiges, Lesebändchen.


Fazit

Will Eisner setzt sich mit seiner eigenen Herkunft sensibel auseinander und liefert dabei das Porträt einer Straße im Wandel der Zeiten ab. Viele große und kleine tragische Geschichten spielen sich hier ab und lassen den Leser nachdenklich zurück. Ein wahres Meisterwerk, welches in keiner Literatursammlung fehlen darf.


Pro & Contra

+ erste Graphic Novel der Comicgeschichte
+ erfüllt höchste literarische Ansprüche
+ zieht den Leser ins Geschehen und lässt ihn mit den Figuren mitleiden
+ Zeichnungen, die auch heute noch nicht im mindestens veraltet wirken, im Gegenteil
+ anspruchsvoll

Bewertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Zeichnungen: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Literatopia-Links zu weiteren Titeln von Will Eisner:

Rezension zu Das Komplott