Gold und Stein (Heidi Rehn)



Knaur-Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag
714 Seiten; 19,99 EUR
ISBN: 978-3426652619

Genre: Historik

Klappentext (innerer Schutzumschlag)

Das Städtchen Wehlau in Preußen im Jahre 1452. Hier leben die fünfzehnjährige Agnes und ihre Mutter Gundula als angesehene, wohlhabende Bierbrauerinnen. Doch so tatkräftig Gunda nach außen scheint, so deutlich spürt ihre Tochter, dass mit ihr etwas nicht stimmt, dass sie ein düsteres Geheimnis hütet.

Als 1454 die Truppen der Deutschordensritter Wehlau belagern, fliehen Mutter und Tochter nach Königsberg. Hier begegnet Agnes dem gleichaltrigen Caspar. Auf seltsame Weise fühlen sich die beiden jungen Leute zueinander hingezogen. Agnes ist dadurch zutiefst verunsichert - schließlich gehört ihr Herz doch einem anderen. Ihre Verwirrung wächst, als sie an Caspar dasselbe Feuermal entdeckt, mit dem auch sie selbst gezeichnet ist ...


Rezension

Heidi Rehn ist mittlerweile gut etabliert im historischen Genre; ihre Romane erscheinen mit schöner Regelmäßigkeit und haben zu recht viele Liebhaber gefunden. Auch wenn sie sich im Ganzen recht eng an die Regeln ihres Genres hält und immer mehr oder weniger typische Geschichten von dramatischen Frauenschicksalen in wechselnden historischen Rahmen erzählt, spürt man doch bei ihr deutlich das Bemühen, auch neue,ungewöhnlichere Elemente einzuarbeiten. Gerade ihr letzter Roman wirkte mit seinen vielfältigen, immer wieder gebrochenen Charakteren deshalb deutlich interessanter als viele ihrer Kollegen. "Gold und Stein" konnte man also mit einiger Spannung erwarten.

Die Handlung fasst der Klappentext zusammen: Ein junges Mädchen mit unklarer Familiengeschichte, Agnes, lernt die erste Liebe kennen und enträtselt dabei die Geheimnisse der Vergangenheit, die zuallererst seine eigenen Geheimnisse sind, ohne dass es zu Beginn des Romans davon ahnt. Wie häufiger bei Heidi Rehn spielt dabei die Beziehung zur Mutter eine wichtige Rolle, die ein starker Charakter mit vielen scheinbar widersprüchlichen Zügen ist - vor allem den Eigensinn hat Agnes von ihr geerbt. So kommt es immer wieder zu Konflikten, bis Agnes sich schließlich - zunächst allein und gegen Gundas Wünsche - nach Königsberg aufmacht und versucht, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Natürlich hat ein Mann damit zu tun - der erste Geliebte, Laurenz, der wie sie selbst mit körperlicher Unvollkommenheit geschlagen ist: Während sie das hässliche Feuermal an ihrem Hals immer durch ein Tuch verdeckt, hat er zwei verschiedenfarbige Augen …

Heidi Rehn erzählt die Geschichte sicher und flüssig, wie man es von ihr gewohnt ist. Sie neigt an manchen Stellen vielleicht ein wenig zu sehr zur romantischen Verklärung des Landlebens in alten Zeiten - singende Mägde bei der Heuernte ...! - hat aber insgesamt „ihre“ Zeit gut im Griff. Problematisch ist bei „Gold und Stein“ allerdings der Plot. Der größte Teil der Handlung hängt an einem Ereignis in der Vergangenheit, das, wie ja oft gemacht, in einem Vorspann geschildert wird: Agnes kommt als Zwilling auf die Welt, aber irgendwo zwischen Vorspann und dem Beginn der eigentlichen Geschichte verschwindet ihr Bruder spurlos. Sie wächst allein auf, ohne von ihm zu ahnen. Der Leser seinerseits ahnt aber schon an dieser Stelle so einiges: Wenn Zwillinge in Romanen bei der Geburt getrennt werden, ist es – Pratchett würde sagen, nach dem Gesetz der narrativen Kausalität – eigentlich immer zu erwarten, dass sie im Lauf der Geschichte wieder aufeinander treffen , ohne von der gemeinsamen Vergangenheit zu wissen. Und wenn es ein männlicher und ein weiblicher Zwilling sind, dann wird das Ganze nicht ohne romantische Verwicklungen abgehen. Ganz genauso ist es auch in „Gold und Stein“. Das führt dazu, dass der Leser schon nach den ersten zwanzig Seiten weiß, wie der Hase laufen wird – und ist der Spannung leider nicht sehr zuträglich. Eine so klar vorhersehbare Grundgeschichte hätte mehr Brüche, mehr Kehrtwendungen, mehr Überraschungen gebraucht, um wirklich zu fesseln. Heidi Rehn wäre dazu durchaus in der Lage gewesen, hat aber, aus welchen Gründen auch immer, weit gehend darauf verzichtet. Das ist sehr schade.

Eine zweite Eigenheit des Romans ist nicht schade, sondern tatsächlich ärgerlich. Es geht um das bereits erwähnte Muttermal der Protagonistin Agnes, das sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch die Handlung zieht und dem handlungstechnisch durchaus auch einige Bedeutung zukommt. Nur: Muss es deshalb in praktisch jeder Szene mit Agnes irgendwie erwähnt werden? Ist es wirklich nötig, dass die junge Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit an dem Tuch, das das Mal verdecken soll, herumzieht, -schiebt und -rückt? Wird dem Leser wirklich so wenig eigene Gedächtnisleistung zugetraut, dass es nicht einmal für zehn oder zwanzig Seiten reicht? Und vor allem: Diese Geste des Herumziehens, an sich ja harmlos und schlicht zur Charakterisierung der Hauptfigur gebraucht, ergibt psychologisch eigentlich keinen Sinn. Wer etwas verstecken will, weil er sich dafür schämt, weist nicht gleichzeitig ständig darauf hin, in dem er, platt gesagt, pausenlos daran herumfummelt. Heidi Rehn, die eigentlich über ein angenehm sensibles psychologisches Gespür verfügt, ist an dieser Stelle nicht nur sehr weit über das Ziel hinausgeschossen, sondern hat den Pfeil auch in die falsche Richtung angelegt. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn das Feuermal eben nicht so ungeheuer häufig vorkäme. Da es das aber tut, ärgert man sich irgendwann mit jeder weiteren Erwähnung mehr darüber. Und dieser Ärger schadet dem Roman – bzw. dem Vergnügen an ihm – doch erheblich.


Fazit

In "Gold und Stein" erzählt Heidi Rehn eine weitere historische Frauengeschichte, die zwar wieder mit interessanter historischer Umgebung aufwartet, aber inhaltlich leider nicht so recht zu fesseln versteht. Zu vorhersehbar, zu glatt gestrickt die Handlung, und dem Leser zu wenig zugetraut. Gut lesbar, aber keine Pflichtlektüre.

Pro und Kontra

+ flüssig erzählt
+ sauber recherchiert
+ historisch detailreich
+ schön ausgestattet

- extrem vorhersehbar
- wenig wirkliche Entwicklung
- kaum Spannung kann aufkommen
- Hinweise an den Leser viel zu aufdringlich und zu oft wiederholt

Wertung:

Handlung: 2/5
Historische Bezüge: 4/5
Charaktere: 3/5
Sprache: 3/5
Lesespaß: 2/5
Preis/Leistung: 4/5