Heyne, 1. Auflage Januar 2013
Broschur, 512 Seiten
€ 9,99 [D] | € 10,30 [A] | CHF 14,90
ISBN: 978-3-453-40927-9
Leseprobe
Genre: Mystery-Thriller
Klappentext:
Sein Schatten verfolgt dich
Eines Abends verschwindet Hannas Mann Steve spurlos und lässt siemit ihrer einjährigen Tochter Lilou zurück. Hanna ist sich sicher, dass etwas Schlimmes passiert ist, doch niemand glaubt ihr. Also begibt sie sich allein auf die Suche nach ihrem Mann. Als Lilou sich immer seltsamer verhält, scheint es, als stehe sie in Kontakt mit Steve. Hanna begreift, dass sie den Zeichen ihrer Tochter folgen muss, denn dies ist ihre einzige Chance, Antworten zu bekommen. Bisher hat ihre verzweifelte Suche nur eines zutage gefördert: Der Mann, den sie unter dem Namen Steve Warrington kennen und lieben lernte, hat offiziell nie existiert. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit und begibt sich dabei in tödliche Gefahr ...
Rezension:
Vor dem großen Spiegelschrank hockte Lilou mit Steves Schal und lachte ihr Spiegelbild an.
Mit drei Schritten war Hanna bei ihr, ging neben ihr in die Hocke und hob sie auf ihren Schoß. Plötzlich veränderte sich das Licht im Schlafzimmer, als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, und sie sah nach oben.
„Steve!“ Sie rang nach Luft. „Um Gottes willen!“
Er blickte sie aus dem Spiegel an. Das Gesicht blutüberströmt und schmutzig. Der Blick starr.
Sie fuhr herum.
Er war weg.
Aber er musste noch hinter ihr stehen. So schnell kann er den Raum nicht verlassen haben. Doch außer ihr und Lilou war niemand im Schlafzimmer.
Eine Sinnestäuschung. Du bist übermüdet und angespannt. Sie wandte den Kopf wieder dem Spiegel zu.
Steve starrte sie immer noch an.
(Seite 135/136)
Als Hanna nach einer Veranstaltung spät nach Hause kommt, findet sie ihre Wohnung hell erleuchtet vor, doch von ihrem Mann fehlt jede Spur und ihre Tochter liegt, bereits blau angelaufen, in ihrem Bettchen. Lilou kann zurück ins Leben geholt werden, doch diese Nahtoderfahrung scheint ihr Wesen komplett verändert zu haben. Plötzlich hat sie Gebärden an sich, die Hanna deutlich ihrem Mann zuordnen kann, von dem nach wie vor niemand weiß, wo er abgeblieben ist. Während Lilou sich immer seltsamer benimmt, steht ihre Nachbarin Britt der verzweifelten Hanna zur Seite, auch wenn sie Hanna davon zu überzeugen versucht, dass Steve sie einfach verlassen hat. Doch daran glaubt die junge Frau nicht einen Moment – sie ist überzeugt, dass ihr liebevoller Mann einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Sie beauftragt den Privatermittler Marten Stein mit der Suche nach Steve, richtet eine Facebook-Suchseite für ihn ein und begibt sich selbst ebenfalls auf die Suche nach Hinweisen zu Steves Aufenthaltsort. Als dann auch noch zwei Entführungsversuche Lilou in Gefahr bringen, steht für Hanna fest: Ihr Mann ist nicht einfach so abgehauen. Doch Stein bringt immer brisantere Details ans Licht und irgendwann muss Hanna sich fragen, wie gut sie ihren Steve wirklich kannte. Trotzdem ist für Hanna klar, dass sie die Wahrheit herausfinden muss – um Lilous und um ihretwillen begibt sie sich auf eine Reise, die sie zu den Spuren von Steve Warrington führt und alles, woran sie bisher glaubte, schwer erschüttert. Es ist eine Reise in eine Vergangenheit, die noch lange nicht vergessen ist ...
Der Veröffentlichung von Rachekind blickte nicht nur die Leserschaft kritisch entgegen, auch die Autorin äußerte sich mehrfach mit leicht ängstlichem Unterton dazu, dass ihr neuestes Buch ein Mystery-Thriller sein und ihr dieses Projekt gerade wegen des Genrewechsels besonders am Herzen liegen würde. Entsprechend gespannt fieberte man dem Erscheinungstermin entgegen und freute sich auf unterhaltsam-spannende Lesestunden. Und obwohl die Messlatte durch Vorgänger-Romane reichlich hoch lag, konnte auch der neue Roman der Autorin überzeugen – denn dass sie Thriller schreiben kann, hat Janet Clark bereits bewiesen, und die nun hinzugefügten Mystery-Elemente schaffen einen zusätzlichen Gänsehauteffekt, der diese Kunst noch zu unterstreichen weiß. Für ausgiebige Thriller-Liebhaber wird Rachekind zwar nichts wirklich Innovatives sein, gute Unterhaltung wird hier jedoch in jedem Fall geboten. Denn auch hier wird dem Leser wieder einmal eine gut durchdachte Geschichte mit überraschenden Wendungen und überzeugenden Charakteren geboten, die zwischendurch genau die richtige Dosis an Fragen aufwirft, zum Ende jedoch alle losen Fäden miteinander verbinden kann und den Leser das Buch schließlich zufrieden, aber auch ein wenig gegruselt zuklappen lässt. Wer bereits Bücher von Janet Clark kennt und liebt, der kann ohne Probleme auch hier wieder beherzt zugreifen – auch der dritte Roman schafft es trotz Genre-Sprung, dem Leser eindeutig im Gedächtnis zu bleiben.
Schon mit dem Prolog kann die Autorin den Leser einnehmen und vollends in die Geschichte ziehen. Wie wichtig der Prolog jedoch wirklich ist, wird erst im weiteren Verlauf der Story ersichtlich, sodass unaufmerksame Leser eventuell verspätet die richtigen Schlüsse ziehen können. Überhaupt baut Janet Clark sehr schnell eine enorme Spannung auf, die durch eingeschobene Tagebucheinträge noch zusätzlich angestachelt wird – immer genau dann, wenn die normale Geschichte ein wenig an Tempo rauszunehmen scheint und der Leser eigentlich ganz froh wäre, mal durchatmen zu können. Obwohl die Handlung größtenteils aus Hannas Sicht erzählt wird, bleibt durch die Erzählweise in der dritten Person eine gewisse Distanz erhalten, die es dem Leser so ermöglicht, das Geschehen quasi von allen Seiten betrachten zu können. Die Tagebucheinträge schaffen neben der eigentlichen Handlung eine unbehagliche Atmosphäre und bringen immer mehr Aufruhr in die ohnehin schon sehr aufgewühlten und unsicheren Gedanken des Lesers, der natürlich schon während des Lesens versucht, lose Enden sinnvoll miteinander zu verknüpfen und Licht ins Dunkel zu bringen. Zwar kommt irgendwann der Punkt, an dem sich endgültige und unumstößliche Vermutungen verhärten, sodass manches dann gar nicht mehr so überraschend ist, doch insgesamt spielt die Autorin ihre künstlerischen Karten ziemlich gut aus. Was letzten Endes unerklärlich bleibt und was durch einfache Tricks oder Sinnestäuschungen zu erklären ist, lässt Janet Clark wahrscheinlich ganz bewusst offen – denn selbst heute weiß man über noch so viele Dinge kaum etwas, was eine große Chance für den Mystery-Bereich darstellt.
Lediglich die teilweise großen Zeitabschnitte, die einfach mal übersprungen werden, nehmen einen Teil vom Lesespaß. Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie plötzlich mehrere Monate einfach vergangen sein können und der Leser rein gar nichts darüber erfährt, was in dieser Zeit passiert ist. Hierdurch wird manchmal das Gefühl vermittelt, als wären diese großen Pausen absichtlich gesetzt worden, um später auftauchende Tatsachen zu verschleiern. Allerdings fällt das wahrscheinlich auch nur dann auf, wenn man sich zu lange mit den Zwischenüberschriften aufhält, denn insgesamt bleibt alles sehr schlüssig. Daher kann sich die Autorin ganz beruhigt zurücklehnen und gerne direkt an ihren nächsten Mystery-Thriller setzen – auch dieses Handwerk beherrscht sie, sodass ihre erwachsenen Leser wahrscheinlich schon jetzt auf glühenden Kohlen sitzen und auf den nächsten Roman warten. Wer sich diese Wartezeit versüßen möchte, kann jedoch schon im März auf den neuen Jugendthriller Sei lieb und büße zurückgreifen und sich davon überzeugen lassen, dass Janet Clark in jedem Sub-Genre des Thrillers ganz eindeutig begabt ist.
Fazit:
Mit Rachekind wagt sich Janet Clark auf eine nicht ganz ungefährliche Abzweigung des Thriller-Genres und bindet zum ersten Mal deutlich mystische Elemente in ihre Geschichte ein. Diese sorgen neben dem spannenden Plot für kribbelnde Gänsehaut und bringen den Leser dazu, über Übersinnliches nachzudenken und sich diesem zu öffnen. Ein grundsolider und gut durchdachter Mystery-Thriller, der sich ohne Schwierigkeiten neben seinesgleichen sehen lassen kann und so manchen Leser überzeugen dürfte. Lesenswert!
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5
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