Literatopia: Hallo, Andrea! Mit “City of Angels” hast Du Dich bereits in die dunklen Gefilde der Phantastik gewagt, in “Purpurdämmern” schimmert es hingegen phantastisch bunt. Würdest Du Dich als eingefleischte Phantastin bezeichnen?
Andrea Gunschera: Ja, in der Tat, die Phantastik ist so etwas wie meine große Jugendliebe, der auch das Erwachsenwerden nichts anhaben konnte. Ich kann mich für Fantasy in all ihren Schattierungen begeistern, die klassische Ausprägung ebenso wie die modernen Formen, in denen sich reale Welt und übernatürliche Elemente mischen.
In kaum einem anderen Genre sind der Imagination so wenige Grenzen gesetzt. Alles ist möglich. Phantastik ist das, was früher die Märchen waren: Geschichten, die verzaubern und zum Staunen bewegen.
Literatopia: Kürzlich ist Dein Jugendroman „Purpurdämmern“ erschienen – was kannst Du uns darüber verraten?
Andrea Gunschera: "Purpurdämmern" erzählt die Geschichte von Ken, der in einem heruntergekommenen Viertel in Detroit in ständiger Furcht vor seinem gewalttätigen Vater aufwächst, der gegen alle Widerstände aufs College gehen will und der davon träumt, ein Entdecker wie einst Christoph Kolumbus zu sein. Sein Wunsch wird ihm auf unerwartete Weise erfüllt, als er der bezaubernden Fayeí-Prinzessin Marielle und ihrem Lehrer, dem Kriegermagier Santino begegnet. Er lernt, dass seine Realität nur eine in einem Universum unzähliger Welten ist, die durch Tore miteinander verbunden sind. Doch wenigen ist es gegeben, diese Portale zu eröffnen, oder gar neue zu erschaffen. Marielle, eine begabte Torformerin, zieht ihn auf ihrer Flucht vor einer Zwangsheirat mit sich in die fremdartige Welt von Dämmer-Detroit, in der Magie mit einem Wimpernschlag gewebt werden kann, die aber von einem schrecklichen Übel bedroht ist, das auch Marielles Heimat vernichten könnte. Ken besitzt selbst ein Talent für Magie und Santino lehrt ihn, seine Fähigkeiten zu gebrauchen, doch die Motive des Magiers, der ein dunkles Geheimnis verbirgt, sind nicht uneigennützig.
"Purpurdämmern" ist eine mystisch-magische Abenteuergeschichte in fremden Welten, bevölkert von fantastischen, skurrilen, hinterlistigen und furchterregend grausigen Kreaturen, eine Mischung aus Märchen, viel Action, etwas Romantik und einer Prise Humor. Es ist ein Buch, das ich für Jugendliche, aber auch für erwachsene Leser geschrieben habe.
Literatopia: „Purpurdämmern“ wartet mit fremdartigen Dimensionen wie dem Scharlachrot südlich des Zeithorizonts auf. Kannst Du uns mehr über Deinen schillernden Weltentwurf verraten? Was hat es mit diesem Zeithorizont auf sich?
Andrea Gunschera: Lass mich mit einem Zitat von Santino aus dem Buch beginnen: "Stell dir vor, deine Realität ist nur eine neben vielen anderen. Das Universum besteht aus tausend Spiegeln, in den unmöglichsten Winkeln zueinander verdreht. Diese Welt könnte der Traum eines Drachens sein, der auf dem Grund eines Ozeans schlummert. Und vielleicht ist das, was du in deinen Träumen siehst, wiederum die Reflexion der Drachen-Sphäre auf einer Pfütze."
Stell Dir das Universum in "Purpurdämmern" wie eine riesige, dreidimensionale Galaxie vor, im Zentrum fest und unbeweglich, an den Rändern wabernd und leicht verformbar. Es gibt darin stabile und instabile Welten, manche physisch-unveränderlich und den Naturgesetzen folgend, andere Kreationen wilder Magie - vor allem solche, die sich aus Träumen bilden, denn im Traum ist alles möglich.
Im Kern befinden sich die stabilen Welten. Unsere Welt, wie wir sie kennen – Kens Welt – liegt hier. In den stabilen Welten existiert so gut wie keine Magie, die Materie ist engmaschig und bleibt in ihrer Form. Deshalb sind sie auch nicht spontanen Veränderungen unterworfen bzw. man kann nicht durch geistige Beeinflussung Materie verformen. Drei Schichten umgeben den Kern, von innen nach außen.
Zuerst haben wir die Dämmerschatten – stell sie Dir vor wie einen Staubschleier, der um einen festen Block schwebt, kurz nachdem dieser abgeschliffen wurde. Die Dämmerschatten sind instabile Reflexionen und Verzerrungen ‚unserer‘ Welt. Die Realitäten der Dämmerschatten wurden nicht künstlich erschaffen, sondern es handelt sich um ‚wilde‘, spontan entstandene Welten.
Ein Teil der Geschichte spielt in Dämmer-Detroit, einer Welt der Dämmerschatten. Diese ist ein instabiler Abdruck des echten Detroit, aber verzerrt durch Wünsche, Träume, Visionen, Überlieferungen und Ängste ihrer Bewohner. Es ist eine Alice-im-Wunderland-Version von Detroit, die zudem jeden Moment auseinanderbrechen kann.
Die anderen beiden Schichten werden Scharlachrot und Rabenfächer genannt. Im Scharlachrot, in dem sich auch Marielles Heimat befindet, hängt die Materie in perfekter Balance zwischen fest und veränderlich. Hier befinden sich künstlich erschaffene, magische Welten, die mit einem Anker in einer stabilen Welt nördlich des Zeithorizonts verbunden sind. Jenseits des Scharlachrot, an den Rändern unserer gedachten Galaxie, beginnt der Rabenfächer, eine Dimension voll wilder, ungelenkter Magie, die zu spontanen Eruptionen neigt und leicht beeinflusst werden kann. Eine heftige Emotion genügt, um eine ganze Welt zu verändern. Nicht viele können sie überhaupt betreten, denn ein Tor im Rabenfächer zu kontrollieren, erfordert höchste Kunstfertigkeit.
Durch diese gesamte Galaxie zieht sich nun eine vierte Dimension, die Zeit. Durch den Kern als gedachten Null-Punkt verläuft unsere Zeitachse. Diesen Null-Punkt bezeichnen wir als Zeithorizont. In Welten, die sich südlich dieses Punktes auf der Zeitachse befinden, vergeht die Zeit schneller, in denen nördlich des Horizonts verstreicht sie langsamer. Kens reales Detroit liegt genau auf dem Null-Punkt. Dämmer-Detroit liegt ein ganzes Stück weiter südlich, deshalb kann er sich dort eine Woche aufhalten, aber wenn er zurück kehrt, ist dort nur eine Nacht vergangen.
Literatopia: Dein Protagonist Ken lebt in unserer Welt – in Detroit. Warum hast Du Dich für Amerika als Setting entschieden? Und orientiert sich die gewalterfüllte Kindheit von Ken vielleicht an wahren Begebenheiten?
Andrea Gunschera: Ich habe selbst ein paar Jahre in den USA gelebt und kenne Detroit sehr gut. Mich fasziniert der morbide Charme dieser Stadt. Es gibt ganze Viertel, in denen Bäume und Efeu die Industrieruinen überwuchern. Fast wie Maya-Tempel, die im Laufe der Zeit vom Dschungel zurückerobert worden sind. Das Depot, in dem sich Ken sein Versteck eingerichtet hat, ist ein realer Ort, ebenso wie die Ruine des benachbarten Roosevelt Warehouse, in dem hunderttausende von Büchern verwittern, während dazwischen bereits Sträucher und junge Bäumchen Wurzeln fassen. Zudem ist es ein Ort, an dem die gewalttätige Kriminalität, mit der Ken aufwächst, glaubwürdig wird. Mit dem Niedergang der Industrie verelendeten viele Familien. Kens Vater, der nach dem Verlust des Jobs zu trinken begann und nie wieder richtig Fuß fasste, weil Leute wie er nicht mehr gebraucht wurden, ist jemand, wie man ihn in den ärmeren Gegenden der Stadt oft genug antrifft. Es gibt zu viele Kinder, die in solchen Verhältnissen groß werden, nicht nur im fernen Amerika, auch hier vor der Haustür. Ich hatte Leser, die mir sagten, dass sie auf den ersten Seiten schlucken mussten, weil es so schrecklich vertraut klingt, was da passiert. Ich dachte, wenn mein Protagonist die Kraft findet, trotzdem zu bestehen, sich trotzdem eine Integrität zu bewahren und sich seinen Weg zu bahnen, dann kann er auch alles andere. Sogar eine Welt retten.
Aber zurück zu Detroit. Mit seinen prachtvollen Ruinen und den zerbrochenen Straßen, mit den alten Industriedocks entlang des Flusses, mit seinen verwunschenen Winkeln und den rostigen Hochhäusern in Downtown und seiner Indianer-Vergangenheit ist es eine Stadt, in der man sich sehr gut vorstellen kann, dass es noch eine andere Realität gibt, außer der eigenen. Als mir die Idee zu 'Purpurdämmern' kam, wusste ich sofort, dass es Detroit sein muss.
Literatopia: Das klingt, als hättest Du die Schauplätze in Detroit besichtigt? Oder mussten Google-Earth und Wikipedia herhalten?
Andrea Gunschera: Ich habe es mir zur Regel gemacht, dass ich – mit ganz wenigen Ausnahmen – nur über Schauplätze schreibe, die ich persönlich erlebt habe. Kein Bild und kein Artikel können einem die einzigartige Atmosphäre eines Ortes vermitteln, die Ausstrahlung, die feinen sinnlichen Details, die diesen Ort ausmachen. Ich habe beruflich bedingt viel Zeit in Detroit verbracht und die Kulissen, die ich in "Purpurdämmern" beschreibe, auch selbst gesehen. Mir geht es so, dass viele Ideen in meinem Kopf erst entstehen, wenn ich die Straßen meines Schauplatzes erkunde. Wenn ich über den rissigen Asphalt laufe und mein Blick auf ein Graffiti an einer Hauswand fällt, wenn ich in die Gerüche von Fluss und modrigen Blättern und verrostendem Eisen eintauche, wenn ich die Nebelhörner der Frachtschiffe höre. Auf das Depot, die verfallene alte Michigan Train Station als einen zentralen Handlungsort bin ich überhaupt erst gekommen, weil ich zufällig an dieser großartigen Ruine vorbeigefahren bin und dann nähere Details dazu herausfinden wollte.
An dieser Stelle kommen dann Google & Wikipedia doch wieder ins Spiel. Wenn ich später am Schreibtisch sitze, bleiben oft viele Details, an die ich mich im Nachhinein nicht mehr genau erinnere. Was weiterführende Recherche betrifft, ist das Internet einfach unschlagbar. Vor allem Google Street View hat mir schon oft aus der Patsche geholfen, zum Beispiel bei einer Frage wie der, ob man von einer bestimmten Straße aus nun die Brücke über den benachbarten Fluss sieht oder nicht.
Literatopia: Ken weckt unweigerlich Assoziationen mit dem männlichen Barbie-Pendant. Wieso hast Du ausgerechnet diesen Namen für Deinen Protagonisten gewählt?
Andrea Gunschera: Ich schwöre, Barbies Ken hatte nichts damit zu tun ;-)
Die Barbie-Assoziation, das ist eines der Dinge, die man als Autor voll Überraschung erst feststellt, wenn das Buch im Laden ist und die Leser einen reihenweise darauf ansprechen. Ich gestehe, ich hatte an diese Querverbindung wirklich überhaupt nicht gedacht. Tatsächlich heißt mein Ken eigentlich Kenneth, ein Name, der sich durch die irische Abstammung der Familie begründet.
Literatopia: Deine Protagonistin Marielle ist eine Prinzessin, die das Abenteuer dem dekadenten Leben am Hof vorzieht. Wie würdest Du ihren Charakter beschreiben? Und schwingen in ihren bissigen Bemerkungen Deine eigenen Gedanken mit?
Andrea Gunschera: Marielle ist eine junge Frau, die ihre Abenteuerlust und ihr manchmal überschäumendes Temperament der Unschuld einer sorglosen Kindheit verdankt. Ihr ist noch nie etwas Böses zugestoßen, und bei Hofe hat ihr Vater, der König sie vor allen Intrigen und Gefahren abgeschirmt, so dass ihr kühles Taktieren, Zurückhaltung oder Vorsicht fremd sind. Vor allem aber hat sie nie am eigenen Leib erfahren müssen, dass Handlungen auch Konsequenzen haben, die manchmal verheerend sind. Sie redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist und tut, wonach ihr gerade der Sinn steht. Dass sie damit andere Menschen vor den Kopf stößt oder sogar etwas Schlimmes anrichten kann, muss sie erst auf die harte Tour lernen, als sie im Verlauf des Buches in echte Gefahr gerät und von ihren Handlungen auch das Wohl ihrer Freunde abhängt.
Und bei all der Exotik, in der sie aufgewachsen ist, steckt in ihr auch ein sechzehnjähriger Teenager mit der ganzen Unsicherheit, die sie dann mit Flapsigkeit und bissigen Sprüchen zu verstecken versucht. In ihren Bemerkungen schwingt die Schlagfertigkeit, die ich gern gehabt hätte, als ich selbst sechzehn war. Denn mal ehrlich, die wirklich coolen Kommentare fallen einem doch immer erst hinterher ein ;-)
Ein Stück weit steckt natürlich mein eigenes Weltbild in den Charakteren. Marielles Abscheu vor der oberflächlichen Dekadenz des Königshofs, wo sich alles nur um Äußerlichkeiten und Protokoll zu drehen scheint kann ich selbst gut nachvollziehen.
Literatopia: Níval, Marielles Welt im Scharlachrot, erinnert stark an ein orientalisches Märchen – war dieser Hauch von Morgenland von Dir beabsichtigt?
Andrea Gunschera: Die orientalische Pracht und Detailverliebtheit der Tausend und eine Nacht – Märchen war auf jeden Fall eine Inspirationsquelle. Ich finde die traditionelle orientalische Kunst und Kultur berauschend schön und kann vollkommen nachvollziehen, dass es in vergangenen Epochen in Europa immer wieder einmal regelrechte Orient-Moden gab, bei denen die ganze Gesellschaft in orientalisch inspirierter Romantik schwelgte.
Ich würde gern einmal einen Roman in einem Orient-Setting schreiben, was sich bislang nicht ergeben hat – aber bis dahin habe ich das Orient-Flair wenigstens ins Scharlachrot gemogelt ;-)
Literatopia: „Purpurdämmern“ sieht nicht nur traumhaft aus, es gibt auch einen schicken Trailer und Desktophintergründe. Wie gefällt Dir die Gestaltung des Romans und des Bonusmaterials? Und wie kommt letzteres bei den Lesern an? Lassen sich Leseratten von solchen Beigaben begeistern?
Andrea Gunschera: Ich bin ganz begeistert. Den Trailer finde ich ausgesprochen gelungen, vor allem die stimmungsvolle Musik. Natürlich kann man nie genau sagen, wie viel Wert Leser auf solche Bonus-Beigaben legen, aber ich persönlich finde es schön, wenn man sich solchermaßen auf ein Buch einstimmen kann. Und bisher habe ich nur positive Rückmeldungen auf die Zusatzmaterialien bekommen.
Das Buch selbst ist natürlich ein Hingucker, dafür gebührt den Kollegen vom Ueberreuter Verlag großer Respekt. Ich war hingerissen, als ich es zum ersten Mal in den Händen hatte. Die Covergrafik ist direkt auf den Leineneinband gedruckt, das fasst sich nicht nur gut an, sondern sieht auch toll aus.
Literatopia: Zu „Purpurdämmern“ hast Du eine Leserunde bei den Büchereulen begleitet – welche Erfahrungen nimmst Du daraus mit? Fragen die Leser im Netz mehr als live auf Lesungen?
Andrea Gunschera: Leserunden sind für mich eine einzigartige Möglichkeit, mit Lesern in Austausch über meine Bücher zu treten und zu erfahren, wie das Geschriebene ankommt. Deshalb freue ich mich auch über jede Leserunde, die ich begleiten darf. Der Unterschied zu einer Live-Lesung liegt vor allem darin, dass man nicht unter Zeitdruck steht, dass Leser und Autor nachdenken können, bevor sie etwas schreiben und die Diskussion dadurch an Tiefe gewinnt. Außerdem entfällt für den Leser die Scheu, Fragen vor Publikum stellen zu müssen. Dadurch entsteht eine viel privatere Atmosphäre, in der man ausführlicher und entspannter als bei einer Live-Lesung Fragen stellen und beantworten kann.
Als Erfahrung nehme ich mit, dass der Interpretationsspielraum des Lesers immer viel größer ist, als man sich das als Autor beim Schreiben vorstellen kann. Bücher können auf hundert verschiedene Arten gelesen werden. Das wurde mir auch bei dieser Leserunde wieder bewusst, die ein bisschen kontroverser ausgefallen ist als andere Runden. Ich hatte Leser, die 'Purpurdämmern' richtig gut fanden, und andere, die damit nur wenig anfangen konnten. Eingehen wollte ich auf beide; es ist nur legitim, ein Buch auch einmal nicht zu mögen. Die gegensätzlichen Meinungen machen eine Leserunde dann aber auch herausfordernd, denn als Autor bin ich zugleich auch Moderator und versuche, niemanden zu verlieren.
Bei den Büchereulen ist es mir aber immer eine besondere Freude, wenn eine Leserunde zustande kommt, da ich in diesem Forum auch privat gern mitlese- und schreibe.
Literatopia: In „City of Angels“ hast Du Fantasy- und Thrillerelemente zu einer erotischen Lovestory vermischt. Was hat Dich an dieser Kombination gereizt? Ist die Reihe mit drei Bänden abgeschlossen oder kommen noch weitere Romane?
Andrea Gunschera: Es gibt in Autorenkreisen dieses Gerücht, dass Action- und Liebesszenen gleichermaßen schwer zu schreiben seien. Ich finde, dass sie vor allem gleichermaßen viel Spaß machen, denn es verbindet sie eine ganze Menge: Damit Action ebenso wie erotisches Knistern beim Leser fühlbar wird, muss man nahe am Geschehen schreiben. Vom Film übertragen bedeutet das, dass die Kamera sehr dicht am Geschehen ist, dass man die Details erkennt, die Anspannung fühlt, die man sonst über andere Sinne erfassen würde, Geschwindigkeit und Chaos bildlich erfasst. Die Sinne ansprechen, das ist der Schlüssel für eine gelungene Kampfszene ebenso wie für prickelnd geschriebenen Sex.
In der City of Angels Serie gibt es von beidem eine Menge. Die Thriller-Elemente bescheren rasante Action, die Liebesgeschichte schwelgt in Sinnlichkeit und richtet sich klar an ein erwachsenes Publikum. Und der Anteil Fantasy macht Dinge möglich, die in einem realistischen Szenario nicht funktionieren würden, überhöht die Helden und übersteigert die Geschehnisse in einen Rausch. So etwas zu schreiben macht Spaß und ist Adrenalin auf der Tastatur.
Ich habe große Lust, die Serie weiterzuführen, es steht nur noch nicht fest, wann genau ein weiterer Teil erscheinen wird, da zuvor noch ein paar andere Bücher geschrieben werden wollen. Zwar sind die bisherigen Bände immer in sich abgeschlossen, die übergreifende Rahmengeschichte aber, die sich durch alle Bücher zieht, ist noch nicht zu Ende erzählt.
Literatopia: Mit „Die dunklen Farben des Lichts“ ist ein Kunstfälscher-Krimi von Dir als eBook erschienen – warum nicht als „richtiges“ Buch? Und was erwartet die interessierte Leserschaft?
Andrea Gunschera: 'Die dunklen Farben des Lichts' ist eines dieser Manuskripte, die in keine Genre-Schublade passen und deshalb zwischen allen Stühlen zu sitzen scheinen. Geschrieben habe ich es schon vor einigen Jahren, doch es gelang mir nicht, einen Verlag dafür zu erwärmen.
Mit dem Aufschwung der eBook-Welle wurde das Selbstverlegen auch unter gestandenen Schriftstellern mit einiger Ernsthaftigkeit diskutiert. Vor allem in den USA redeten ein paar Bestseller-Autoren schon das Ende der traditionellen Verlagswege herbei, Kollegen, die dank ihrer riesigen Fangemeinden mit selbstverlegten eBooks aufgrund der viel höheren Tantiemen große finanzielle Erfolge einfuhren. Ich hatte Lust, mir selbst ein Bild zu machen und brauchte dafür ein geeignetes Projekt. Der Kunstfälscher-Krimi bot sich an, da er praktisch fertig war und auf konventionellem Weg wohl nicht das Licht der Welt erblicken würde. Also kümmerte ich mich um Lektorat, Covergestaltung und Marketing und versuchte mich in einem Selbstverlags-Experiment. Für ein eBook war der Aufwand vertretbar, auf ein gedrucktes Buch habe ich verzichtet, da sich das bei einer Selbstveröffentlichung ohne entsprechende Vertriebsstruktur eines Verlags nicht wirklich rechnet und der Großteil der Verkäufe ohnehin über das eBook passieren. Ich habe auf jeden Fall eine Menge gelernt und kann als Resümee ziehen, dass ich das nicht wiederholen würde.
Aber zum Buch selbst: 'Die dunklen Farben des Lichts' ist ein zeitgenössischer Roman, eine Mischung aus Drama, Liebesgeschichte und leisen Krimi-Untertönen. Es ist ein ruhiges Buch, ganz anders als meine anderen Romane, eine poesievolle Novelle, fast ein Kammerspiel. Erzählt wird die Geschichte des talentierten, aber finanziell erfolglosen jungen Malers Henryk, der aus der Not heraus einen Kunstfälscher-Auftrag annimmt und sich in seine wohlhabende Auftraggeberin verliebt. Als dann ein Unglück passiert und das Gemälde als echt deklariert in einer Ausstellung auftaucht, gerät Henryk in den Sog von Ereignissen, die ihm den gesellschaftlichen Aufstieg zu ebnen scheinen, aber ihn in Wahrheit von innen zerreißen. Es geht um Leidenschaft in diesem Roman, Leidenschaft für die Malerei und das Handwerk der alten Meister und Leidenschaft für zwei Frauen, die dem Porträt eines Mädchens auf Henryks Fälschungen auf fatale Weise ähnlich sehen.
Literatopia: Der Trend um Vampire und andere übernatürliche Gestalten wurde in den vergangenen Jahren von den Dystopien abgelöst – was hältst Du vom neuen Trend zur düsteren Zukunftsvision?
Andrea Gunschera: Als alter Science-Fiction-Fan freue ich mich natürlich, dass das Genre über die Hintertür der Dystopien seine heimliche Erneuerung feiert. Ich glaube, das ist ein ganz spannendes Betätigungsfeld mit vielen unterschiedlichen Facetten, denn das Wort 'Dystopie' bezeichnet zunächst ja nur ein Setting: Nämlich ein endzeitliches Szenario mit potentiell düsteren Zukunftsaussichten, angesiedelt in einer Welt nach unserer bekannten Zivilisation. Das kann eine archaische Mittelalter-Gesellschaft sein, die aus dem vierten Weltkrieg hervorgegangen ist, oder eine hochtechnisierte neue Zivilisation, in der unter matriarchalischer Regierung Armeen von Klon-Arbeitern die Fabriken bevölkern. Eine Dystopie kann als Abenteuergeschichte erzählt werden, als Thriller, als Drama, Love Story oder vieles mehr. Spannend finde ich es, wenn die Zukunftsvisionen wirklich durchdacht sind, wenn es sich dabei um die projizierte Weiterentwicklung heutiger Probleme handelt, wenn der Autor die 'Was wäre, wenn?'-Frage wirklich hartnäckig stellt.
Bislang beschränkt sich das Genre ja auf den Jugendbuch-Bereich, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Ich fände es schön, wenn auch der erwachsene Markt wieder davon befruchtet würde.
Literatopia: Als alter Science Fiction-Fan – welche Spielarten dieses Genres gefallen Dir noch? Darf es auch schön utopisch sein? Und wie sieht es mit der Techniklastigkeit aus? Je mehr, desto besser? Oder lieber mit Fokus auf gesellschaftliche Entwicklungen?
Andrea Gunschera: Ich mag am liebsten Settings, bei denen alle Elemente ganzheitlich und sinnvoll miteinander verschmolzen sind, also wo es eine Story hinter der Story gibt. Technologie ja, wenn sie sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung sinnvoll ableitet. Ein Autor, den ich in diesem Genre hemmungslos bewundere, ist Richard Morgan, dem es stets gelingt, Sozialkritik, technischen Fortschritt, tiefschürfende Charaktere und eine temporeiche, ungeheuer spannende Thrillerhandlung in seine Bücher zu packen. Die meisten seiner Romane spielen in einer Welt in tausend Jahren, in der neben der Erde eine weitere Welt kolonialisiert ist und das menschliche Bewusstsein nicht mehr an einen festen Körper gebunden ist. Das ist schon sehr utopisch, aber zugleich so unglaublich gut durchdacht, dass man sich beim Lesen vorstellen kann: Ja, genauso könnte es sein. Mit allen Problemen, die sich daraus ergeben. Und wenn wir schon bei den technologie-lastigen Settings sind, mag ich Cyberpunk-Romane ganz gern, sofern sie gut geschrieben sind. Womit man mich dagegen nicht hinter dem Ofen hervorlocken kann, sind Space Operas. Perry Rhodan oder Raumschiff Enterprise und dergleichen waren nie wirklich mein Ding. Seitenlange Beschreibungen technischer Details zum Antrieb eines Raumschiffs können mich nicht fesseln. Für mich ist Technologie in Büchern Kulisse und Mittel zum Zweck, nicht Zentrum des Geschehens.
Literatopia: Auch Du hast eine Autoren-Facebook-Seite. Was denkst Du – eine schöne Möglichkeit, mit seinen Fans in Kontakt zu bleiben oder auch zwingendes Übel, sich auf der Datenkrake präsentieren zu müssen?
Andrea Gunschera: Ach, ich bin entspannt, was Facebook angeht. Die Plattform macht es sehr komfortabel, mit Fans und anderen Autorenkollegen Kontakt zu pflegen. Ich sehe das als eine Art interaktives Webforum. Letztlich stelle ich dort nur Infos ein, von denen ich will, dass sie sich in der Weltgeschichte verbreiten. Natürlich darf man sich nicht ganz und gar davon vereinnahmen lassen, sonst kommt man vor lauter Austausch ja nicht mehr zum Schreiben.
Literatopia: Unsere beliebte Standardfrage bei jedem Interview-Debüt: Wie bist Du eigentlich zum Schreiben gekommen? Hast Du schon in jungen Jahren eigene Geschichten verfasst oder diese Leidenschaft erst später für Dich entdeckt?
Andrea Gunschera: Lange Geschichte :)
Ich habe natürlich in zarten Jugendjahren "Romane" vom Umfang je eines A5 Mathematikhefts verfasst, schwer inspiriert von Karl Mays Indianergeschichten. Wenn ich so darüber nachdenke, müssen es vier oder fünf Stück gewesen sein, allesamt Western. Da war ich zwölf. Als meine Mutter einen davon in die Finger bekam, war es mir so schrecklich peinlich, dass ich meine schriftstellerischen Ambitionen unverzüglich aufgab und zwar für fast fünfzehn Jahre. Dass ich dann wieder zum Schreiben zurückfand, ergab sich durch einen Zufall. 2001 geriet ich an einen Auftrag, die Story für ein Computerspiel zu schreiben. Daraus entstand Jahre später ein Fantasy-Romanmanuskript, das hoffentlich niemals das Licht der Welt erblicken wird. Ich entdeckte die Lust am Fabulieren wieder, beschäftigte mich mit dem Handwerk, las jede Menge Schreibratgeber, schrieb weiter. Einen Thriller, der 2007 im damals frisch gegründeten Sieben Verlag erschien und sich kaum zweihundert Mal verkaufte. Danach fragte mich die Verlegerin, ob ich auch UrbanFantasy könnte. Zu dieser Zeit lebte ich in Los Angeles. Ich sagte ja und dachte, wie schwer kann das schon werden, wenn man die inspirierenden Schauplätze vor der Tür liegen hat. Ein Jahr später war 'Engelsbrut' fertig, der erste Band der City of Angels Serie, und aus dem Hobby wurde eine Profession.
Literatopia: Findest Du eigentlich noch Zeit und Ruhe zum Lesen? Welche Genres tümmeln sich in Deinem Bücherregal? Und würdest Du sagen, wenn man selbst schreibt, liest man automatisch anders? Vielleicht mit dem Blick: „Das hätte ich anders geschrieben“?
Andrea Gunschera: Da sprichst Du einen wunden Punkt an. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit zum Lesen. Aber ich will nicht jammern, im Schnitt schaffe ich immer noch 20 bis 30 Bücher pro Jahr. Und ja, man wird wählerischer beim Lesen, wenn man selbst schreibt. Anfälliger, was Schwächen im Stil und in der Dramaturgie angeht. Wenn ich heute in einem Buch auf Perspektivbrüche oder ungeschickte Formulierungen stoße, zucke ich zusammen. Das verleidet mir schnell den Lesegenuss. Früher wäre mir so etwas nicht aufgefallen. Es fällt mir jetzt schwerer, Bücher zu finden, die mich wirklich begeistern.
Was Genres angeht, so lese ich vor allem Fantasy in allen Spielarten, gut gemachte Science Fiction oder Thriller, und ab und an Belletristik oder historische Romane von Autoren, die ich sehr schätze und bei denen ich ohnehin jedes Buch verschlinge, egal aus welchem Genre.
Literatopia: Was wird uns in naher Zukunft von Dir erwarten? Und wo wird man Dich 2013 live erleben können?
Andrea Gunschera: In Kürze erscheint eine historische Saga von mir, die im 19.Jahrhundert in Boston und auf Hawaii spielt und demnächst angekündigt wird.
Was Live-Events angeht – noch nichts Festes. Für den Mai ist eine Lesung in München geplant. Darüber hinaus werde ich vermutlich auf der Booklovers Conference im Sommer und auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst unterwegs sein. Sobald konkrete Termine vorliegen, gibt es die News über meine Webseite und meine Facebook-Präsenz.
Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Andrea!
Andrea Gunschera: Sehr gern! Herzlichen Dank für's Plaudern, es war mir eine Freude!
Autorenfoto: Copyright by Andrea Gunschera
Autorenhomepage: www.andreagunschera.com
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