Der Nachtzirkus (Erin Morgenstern)

Ullstein (März 2012)
Hardcover mit Schutzumschlag
464 Seiten, 19,99 EUR
ISBN: 978-3550088742

Genre: Phantastik


Klappentext

Er kommt ohne Ankündigung und hat nur bei Nacht geöffnet: der Cirque des Rêves – Zirkus der Träume. Um ein geheimnisvolles Freudenfeuer herum scharen sich fantastische Zelte, jedes eine Welt für sich, einzigartig und nie gesehen. Doch hinter den Kulissen findet der unerbittliche Wettbewerb zweier verfeindeter Magier statt. Sie bereiten ihre Kinder darauf vor, zu vollenden, was sie selber nie geschafft haben: den Kampf auf Leben und Tod zu entscheiden. Doch als Celia und Marco einander schließlich begegnen, geschieht, was nicht vorgesehen war: Sie verlieben sich rettungslos ineinander. Von ihren Vätern unlösbar an den Zirkus und ihren tödlichen Wettstreit gebunden, ringen sie verzweifelt um ihre Liebe, ihr Leben und eine traumhafte Welt, die für immer unterzugehen droht.


Rezension

Der Zauberer Prospero verkauft seine Magie als Tricks, wie sie tausend andere Bühnenzauberer beherrschen – nur bei ihm sieht alles ein wenig feiner aus, leichter, magischer. Und tatsächlich steckt wahre Magie dahinter, die Prospero alias Hector Bowen seiner Tochter Celia vermittelt. Nach dem Tod der Mutter wird sie zum Werkzeug eines Wettstreits unter Magiern mit unterschiedlichen Konzepten. Bereits im Kindesalter wird sie auf eine Herausforderung vorbereitet, deren Regeln ihr niemand genau erklären kann. Das Waisenkind Marco ereilt ein ähnliches Schicksal: er wird von dem mysteriösen Magier Alexander H. aufgenommen und unterrichtet, allerdings auf eine völlig andere Weise als Celia. Noch bevor die beiden sich kennen, sind sie Gegenspieler. Der Rahmen ihrer Herausforderung wird ein Zirkus, in dem sie ihr Können unter Beweis stellen müssen.

„Der Nachtzirkus“ erzählt mehrere Geschichten rund um den geheimnisvollen Cirque de Rêves, der Schauplatz einer magischen Herausforderung ist. Celia und Marco spielen dabei die Hauptrollen und gestalten den Zirkus – Celia als Bühnenmagierin, die im Zirkus lebt und ihn von innen heraus gestaltet, und Marco, der dem Besitzer assistiert und von außen auf das Geschehen einwirkt. Die Artisten und Menschen, die zum Zirkus auf andere Weise beitragen, werden dabei in die Herausforderung verwickelt. Einige wenige wissen um das Machtspiel im Hintergrund und helfen mit Erfindungen, die anschließend magisch verschönert werden, oder mit Beobachtungen. Nach vielen Jahren in dem wundersamen Zirkus, der nur nachts seine mannigfaltigen schwarzweißen Zelte öffnet, bemerken sie, dass sie nicht mehr altern. Die einzigen, die sich äußerlich verändern, sind die Murray-Zwillinge, die in der Nacht der Zirkuseröffnung geboren wurden. Sie wachsen ganz normal heran – allerdings hat die Magie des Zirkus auf sie abgefärbt.

Erin Morgenstern erzählt ihre Geschichte in kurzen Kapiteln, die mit Zeitangaben versehen sind und anfangs nur lose zusammenhängen. Doch nach und nach verbinden sich die episodenhaften Abschnitte zu einem magischen Gesamtkunstwerk, das die Reichweite und Bedeutung des Cirque de Rêves wundervoll illustriert. Man erlebt, wie Celia und Marco sich gegenseitig übertrumpfen und wundersame Attraktionen wie einen Eisgarten oder einen Wunschbaum schaffen. Ein Feuer, das weiß brennt und niemals erlischt. Wolkenlabyrinthe und magische Karusselle. All ihre Bemühungen dienen letztlich nicht dazu, sich zu bekämpfen, sondern dem anderen eine Freude zu bereiten. Der Leser taucht ein in die Welt der rêveurs: leidenschaftliche Zirkusbesucher, die dem Zirkus nachreisen, sich dem Schwarz, Weiß und Grau optisch anpassen und rote Accessoires als Erkennungszeichen tragen. Man begleitet Bailey bei seinem ersten Zirkusbesuch und bei seiner Rückkehr, die ihn für immer mit dem Schicksal des Cirque de Rêves verbindet. Und letztlich erhält man Einblick in das Schicksal einzelner Artisten und Förderer, die auf verschiedene Weise in die magische Herausforderung eingebunden sind.

„Der Nachtzirkus“ wird von Erin Morgenstern im Präsens und mit einem besonderen Blick fürs Detail erzählt. Der Geschichte haftet ein wenig der Zauber von „Die fabelhafte Welt der Amelié“ und „Chocolat“ an, wo ebenso liebevolle Details die Komplexität und Innigkeit verschiedener Beziehungen darstellen. Zu Beginn ist „Der Nachtzirkus“ eine recht kreative Geschichte in altmodischem Stil, bei der man auf den großen Kampf wartet – vergebens. Stattdessen wird man Zeuge einer viel subtileren Herausforderung, aus der ein wundersamer Zirkus entsteht, der allen Charakteren viel bedeutet und die Menschen verzaubert. Bevor man darüber enttäuscht sein kann, dass es eigentlich gar keinen richtigen Kampf gibt, ist man selbst verzaubert und hungrig auf jede neue Idee, die den Zirkus und seine Geschichte in schillernden Farben ausmalt.

Ein wenig erinnert der Cirque de Rêves an den Cirque du Soleil und Erin Morgenstern beschreibt ihren Zirkus so eindringlich, dass man den Duft nach Karamell und schokoladenüberzogenem Popcorn riechen, die mannigfaltigen Abstufungen von Weiß, Grau und Schwarz und die erstaunten Gesichter der Zirkusbesucher sehen kann. „Der Nachtzirkus“ erblüht nach anfänglicher Verwirrung zu einer verzauberten Welt, in die man sich hineinfallen lassen und verlieren kann. Man muss diese Art zu Schreiben aber auch mögen: Erin Morgenstern überzeugt mit leisen Tönen, mit einem besonderen Gespür für das entscheidende Detail und einer berührenden Leidenschaft für ihre Geschichte. Die Liebe zum Zirkus ist hochansteckend und am Ende ist man traurig, dass man diese wunderbare Welt schon wieder verlassen muss – und möchte diesen zauberhaften Roman sofort nochmals lesen.


Fazit

„Der Nachtzirkus“ verzaubert seine Leser, sofern man gerne zwischen den Zeilen liest und sich von der Magie dieses traumhaften Zirkus einfangen lässt. Erin Morgenstern entspinnt um die Schicksale ihrer liebenswerten Charaktere eine phantastische Geschichte, die berührt und gleichermaßen nachdenklich wie sehsüchtig stimmt. Ein zauberhaftes Debüt, voll kreativer Ideen und unglaublich charmant!


Pro & Contra

+ absolut verzaubernd
+ liebenswerte, facettenreiche Charaktere
+ traumhafte Zirkusatmosphäre
+ Liebe zum Detail und zauberhafte Ideen
+ geschickte Auflösung
+ stimmungsvolles Setting im 19. Jahrhundert
+ wunderschöne Aufmachung des Hardcovers

o kleine Eingewöhnungsphase

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu "Das sternenlose Meer"

Tags: Zirkus, Magie, Enemies to Lovers