und nachts die angst (Carla Norton)

norton c-und nachts die angst

Droemer Knaur Verlag, 1. Auflage, Juni 2013
Taschenbuch, 398 Seiten,
OT: The Edge of Normal
aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter
8,99 Euro [D] 9,30 Euro [A]
ISBN-13:978-3-426-51377-4

Genre: Thriller


Klappentext

»Hast du Narben?«
Reeve blinzelt unsicher. »Ja.«
»Darf ich die mal sehen?«

Mein Name ist Reeve. Ich wurde als Zwölfjährige entführt und über mehrere Jahre vergewaltigt und gefoltert. Jetzt bin ich 22, seit langem in Therapie und mache gute Fortschritte. Heute treffe ich zum ersten Mal die kleine Tilly. Sie konnte als einzige von drei Mädchen ihrem Peiniger entkommen. Ihr Körper und ihre Seele tragen dieselben Narben. Tilly hat immer noch große Angst, denn der Mann, der ihr das alles angetan hat, läuft frei herum. Doch sie hat der Polizei nicht alles erzählt. Hoffentlich verrät sie mir ihr Geheimnis. Denn die Angst muss ein Ende haben.


Die Autorin

Die US-Amerikanerin Carla Norton ist eine erfolgreiche Gerichtsjournalistin und berühmte Autorin von True-Crime-Büchern. Mit »Und nachts die Angst « legt sie ihr beeindruckendes Thriller-Debut vor, das über Nacht in zahlreiche Länder verkauft wurde.


Rezension

Vorneweg eine Anmerkung der Redakteurin: Ich wünschte, Klappentexte würden den Büchern gerechter werden. Immer öfter frage ich mich zu einen, ob der Autor dieses Textes das Buch gelesen hat, und zweitens, ob er Leser anlocken oder vergraulen möchte. Im vorliegenden Fall ist der Klappentext teilweise falsch und verrät zudem viel zu viel. Was schade ist, denn …

und nachts die angst bietet ausgezeichnete Unterhaltung.

Bereits die ersten paar Sätze ziehen den Leser tief in seine Fänge. Im Prolog erleben wir aus Sicht eines Psychopathen, wie er plant, sein ‚Spielzeug‘ zu verlegen – von einem Haus in ein anderes, oder besser von einem Keller in den anderen. Dieses Vorhaben scheitert jedoch und so kommt Regina LeClaire nach über drei Jahren Gefangenschaft frei. Viele Jahre später hat sie zwar ihren Namen geändert und ist umgezogen, das Trauma ihrer Entführung verfolgt sie allerdings immer noch. Angstzustände, Paranoia und Probleme, Bindungen einzugehen, treiben sie regelmäßig zu Dr. Lerner, dem Spezialistin für traumatisierte Entführungsopfer weltweit. Obwohl die Termine nur noch einmal pro Woche stattfinden, ist Regina, mittlerweile Reeve, unzufrieden. Denn abgesehen von ihrer Familie beschränken sich ihre sozialen Kontakte auf ihre Spinne Persephone. Als Dr. Lerner zu einem neuen Fall gerufen wird und sie um Mithilfe ersucht, sieht sie ihre Chance, nun ihrerseits zu helfen. Es gelingt ihr schnell, Zugang zu der jungen Tilly zu finden. Doch Tilly ist nur eine von dreien. Reeve will die anderen Mädchen finden, ohne zu ahnen, mit welch perfidem Gegner sie sich eingelassen hat.

Debuts sind zumeist schwierig. Schwächen in der Geschichte, unausgereifte oder langweilige Charaktere – die Liste der Anfängerfehler ist lang. Norton hingegen hat alles richtig gemacht. Reeve ist als Opfer eines Martyriums fürs Leben gezeichnet. Die Erfahrung hat sie zugleich stark als auch misstrauisch gemacht, und vor allem eines in ihr geweckt, den Wunsch, anderen zu helfen, auch wenn sie sich damit selbst in Gefahr begibt. Ihr Gegenspieler ist hoch intelligent und schreckt vor nichts zurück, um seine Lüste zu befriedigen. Er hat scheinbar für alles einen Plan, überall Wanzen und Kameras und nimmt Reeves Anwesenheit am Anfang nur als zusätzliche Würze in seinem Spiel wahr. Aus der Sicht dieser beiden unterschiedlichen Charaktere entwickelt Norton eine beängstigend realistische Geschichte, die ungeschönt die Gedanken der Entführer, Vergewaltiger und Folterer offenlegt.

Neben der Dynamik der eigentlichen Jagd nach den Tätern und den vermissten Mädchen erhalten auch andere Figuren Raum. Einfühlsam führt Norton den Leser in die Familien der Opfer, ihr Leid und ihre Unsicherheit im Umgang miteinander. Reeve selbst ist äußerst belesen; es gibt keinen Fachartikel, kein Lehrbuch zu Entführten und deren Traumata, das sie nicht kennt, dennoch steht sie ihren eigenen Angstspiralen und eingefahrenen Verhaltensweisen relativ hilflos gegenüber. Erst Tilly bietet ihr einen Ansatzpunkt, denn das Mädchen versteht, zumindest im Ansatz, was sie durchgemacht hat und versucht nicht zu trösten, wo man nicht trösten kann.

Norton treibt die Geschichte in kurzen Kapiteln voran, die einer Zeitleiste folgen, so dass der Leser dichter an das Geschehen rückt. Ihr Stil ist nicht überladen, sondern wie für Thriller und Schwedenkrimis üblich schnörkellos und knackig, liest sich daher angenehm. Nur die verwendete Zeitform, Präsens, nötigt etwas Gewöhnung ab.


Fazit

und nachts die angst bietet einen gekonnten Balanceakt zwischen Einsichten in den kranken Geist eines Pädophilen und dem Kampf eines ehemaligen Opfers mit seinen Erinnerungen. Mit Reeve LeClaire schafft Carla Norton eine überzeugende Protagonistin, die versucht, zwei entführte Mädchen aus den Händen ihrer Peiniger zu befreien, ohne dabei ihren eigenen Ängsten zu erliegen. Spannend bis zur letzten Seite.


Pro/Contra

+ packendes Katz-und Maus Spiel
+ Reeve und ihr Gegenspieler
+ Einsicht in die Familiendynamik ehemals entführter Kinder
+ brisant und perfekt durchdacht

o Präsens

- schlechter Klappentext

Bewertung:sterne5

Charaktere: 5/5
Handlung: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5