Nijura - Das Erbe der Elfenkrone (Jenny-Mai Nuyen)




cbj Verlag, München 2006
511 Seiten, gebunden
ISBN 10: 3-570-13058-4
ISBN 13: 978-3-570-13058-2
Preis: 16,95 € (D)
(High Fantasy)



Steinernes Zeichen der Macht

Seit Stunden hing das Dämmerlicht über den Marschen von Korr. Nebel zogen durch die Sümpfe und Moore und hüllten das Land in düstere Farblosigkeit. Hinter den Dunstschleiern schwamm bereits der Vollmond am Himmel, bleich und wässrig im nieselnden Regen.
Wegen der dichten Nebelschwaden entdeckten ihn die Späher der Moorelfen nicht, bis er unmittelbar an den Grenzen ihres Dorfes angekommen war. Die dumpfen Rufe ihrer Hörner hallten über die Dächer der Hütten hinweg, die geduckt und zusammengedrängt wie ängstliche Kinder im grauen Land hockten. Doch es gab keinen Grund zur Beunruhigung, denn der Fremde, der aus dem Moor geschritten kam, hob die Hände zum Zeichen des Friedens.

- aus dem Prolog



Der Anschein trügt, denn diese Hände werden bald darauf die Steinkrone der Moorelfen an sich reißen und damit die Macht über dieses Volk erlangen – mehr als nur das. Die Ereignisse, die er lostritt, werden die Leben vieler prägen, miteinander verknüpfen, ob wissentlich oder unwissentlich. Das junge Diebespärchen Scapa und Arane in Kesselstadt, die Halbelfe Nill aus den Dörfern der Hykaden, die Freien Elfen Kaveh, Erijel, Arjas und Mareju, die aus den Dunklen Wäldern stammen – für sie alle bedeutet das Schicksal der Krone auch ihr eigenes. Und niemand ahnt etwas von dem Ausgang der Ereignisse ...

Leuchtende Farben, Gerüche, Details

So blass und trübe der Prolog in den Marschen von Korr beginnt, so schnell führt schon das erste Kapitel die Leser tief in die engen Gassen von Kesselstadt, in ein Gewirr aus Buntheit und Leben – derart schillernd geschildert, dass man vermeint, selbst die staubige Luft zu atmen. Und dieses vielversprechende Atmosphäregewebe bleibt erhalten: Nahezu durchgehend gelingt es der Autorin, das Geschehen so zu beschreiben, dass man sich inmitten einer Bilderflut wiederfindet, die voller liebevoll gestalteter Details steckt. Davon profitiert nicht nur die geschaffene Welt mit ihren Schauplätzen und Kulturen, sondern auch die Protagonisten: „Arane lächelte. Es war ein zufriedenes Lächeln, das sich immer nur dann zeigte, wenn sie ihren Kopf leicht nach unten neigte. Beinahe schien es, als berge dieses Lächeln ein Geheimnis, das ganz zu zeigen sie nicht wagte.“ Solche kleinen Eigenheiten in Aussehen und Verhalten lassen sie zum Leben erwachen und den Leser mit ihnen allen mitfiebern, ganz gleich, auf welcher Seite sie zu stehen scheinen.
Vereinzelte kurze Passagen, die diese visuelle Kraft nicht aufrechterhalten, sind da schnell vergeben und vergessen.

Klassische Muster mit Leben gefüllt

Jugendlich sind die Protagonisten, jugendlich war die Autorin selbst, jugendlich ist wohl auch die Zielgruppe dieses Romans – so verwundert der jugendliche Heroismus nicht, der den Kerncharakteren eigen ist und mit dem sie oft bedenkenlos ihr Leben riskieren, an Idealen festhalten, den Geschehnissen eine gute Wendung abzutrotzen versuchen, eine Haltung, die hin und wieder mit der Vorgehensweise der älteren Figuren kollidiert. Das ist nicht unbedingt ungewöhnlich für die High Fantasy unserer Tage, die sich vorwiegend an der entsprechenden Altersgruppe orientiert, und vermag auch zu überzeugen, sind sie doch nicht unverwundbar. Ohne Verluste gelingt es auch der zusammengewürfelten Gruppe nicht, ihr Abenteuer zu überstehen.
Ebenso entspricht die Queste im Grunde herkömmlichen Strukturen, wird jedoch schön variiert und wartet nicht nur mit einer gelungenen Wendung auf. Jenny-Mai Nuyen gelingt es, konventionelle Modelle mit ihren Eigenheiten und mit Leben zu füllen und damit für Lesespaß zu sorgen – angenehm ist auch, dass trotz relativ klarer Rollenverteilung keine eindeutige Schwarz-Weiß-Malerei vorherrscht, die Ziele und Beweggründe aller Figuren sind nachvollziehbar, sodass klassische Muster verwischt und bedeutungslos werden. Schlussendlich möchte man sich einfach weigern, den Träger der Elfenkrone als „böse“ zu bezeichnen, selbst in Anbetracht seiner Taten, die sehr wohl denen altbekannter Fantasy-Bösewichte entsprechen.

Fazit

Bei diesem Buch werden sowohl Anhänger des Genres als auch nur gelegentliche Fantasy-Leser auf ihre Kosten kommen. Geläufige Strukturen sind mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet, variiert und zu einem überzeugenden Geschichtengeflecht gesponnen, das vor allem durch Atmosphäre und Lebendigkeit besticht. Das Ende rundet die Geschehnisse konsequent und gelungen ab, wodurch das Ganze den leichten Anklang eines Märchens bekommt – überaus passend, wie der Leser feststellen wird. Diese Autorin lohnt es sich wohl, im Auge zu behalten.


Pro und Contra:

+ Atmosphärisch von hoher Dichte und Farbigkeit
+ Voll sorgfältiger Details in Handlung, Kulturen, Orts- und Charaktergestaltung
+ Nicht sonderlich ungewöhnlicher Handlungskern wunderbar verpackt und variiert
+ Sehr gelungenes, rundes Ende

o Jugendlicher Heroismus der Protagonisten

- Vereinzelt Schwankungen im Stil

Extras:

~ Karte

Bewertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4,5/5


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Tags: jenny-mai nuyen, Elfen