Chew - Bulle mit Biss Bd. 3 - Eiskalt serviert (Layman / Guillory)

Cross Cult (Dezembber 2011)
Hardcover, 128 Seiten
ISBN 978-3942649209
€ 16,80 [D]

Genre: Krimi


Klappentext

Zum ersten Mal läuft es so richtig schön rund im Leben des cibophatischen Kriminalermittlers Tony Chu. Ja, richtig gelesen: Tony Chu, der Mann mit dem übersinnlichen Gaumen, dem Schicksal und Vorgesetzte im wahrsten Sinne des Wortes Scheiße fressen lassen, hat grüne Welle. Er hat eine Freundin (und sie sieht sogar richtig gut aus). Er hat einen Partner, dem er vertraut. Und sogar mit seinem Stinkstiefel von einem Boss kommt er gut klar.

Aber die Idylle ist trügerisch: Sein psycho- und cibopathischer Ex-Partner ist noch auf freiem Fuß und intrigiert gegen die FDA. Es ist nur eine Frage der Zeit, die bei beiden Feinschmecker aufeinander treffen, die Fetzen fliegen und Körperteile verspeist werden ... "Chew - Bulle mit Biss" ist eine der originellsten und erfolgreichsten Independent-Comic-Importe aus den USA. Ausgezeichnet mit dem EISNER-Award als "Beste Comic-Serie des Jahres 2011".


Rezension

Tony Chu könnte es kaum besser gehen. Sein Chef unterlässt es nicht nur, ihn wortwörtlich Exkremente fressen zu lassen, sondern ist auch insgesamt aus irgendeinem Grund sichtlich bemüht, nett zu ihm zu sein. Auch wenn sein Kopf dabei aussieht, als würde er demnächst explodieren. Das Ganze wird nur noch übertroffen von seiner Bekanntschaft mit Amelia Mintz. Die Frau seiner Träume, die für seine Fähigkeiten hoffentlich ein offenes Ohr hat. Nicht jeder kann damit umgehen, dass er ein Cibopath ist. Die Fähigkeit alles bis ins kleinste Detail analysieren zu können, wovon er abbeißt, ist für seinen eigenen Magen schon anstrengend genug. Aber Amelia ist anders. Als Saboskripterin, was ihr erlaubt, Essen so treffend zu beschreiben, dass die Leser die rezensierten Speisen wie echtes Essen im Mund schmecken können, ist sie prädestiniert, seine bessere Hälfte zu werden. Während Tony versucht sein Privatleben in die richtigen Bahnen zu leiten, schläft die Unterwelt jedoch nicht. Der letzte Auftrag war zwar erfolgreich, dennoch sind die meisten Fragen ungeklärt geblieben - vielleicht sind es sogar mehr als zuvor. Poyo, der wohl brutalste Kampfhahn aller Zeiten, ist wieder aufgetaucht und noch immer hat Tony seine Nemesis, Mason Savoy, nicht in die Finger bekommen.

„Rule #1 of Food-Club: Don’t speak about Food-Club“

Nur wer “Chew – Bulle mit Biss” selbst liest, kann erahnen, wie durchgeknallt die Storys, wie schräg die Zeichnungen sind und wie schwarz der Humor ist. Im Interview im Anhang des Comics erzählt Rob Guillory, besonders erfreulich am Erfolg seines Projekts sei, dass sie es trotz innovativem Inhalt geschafft haben, Fuß zu fassen. Wie in der Filmwelt, in der es von Remakes, Fortsetzungen und warmen Aufgüssen nur so wimmelt, scheint sich auch die Comicindustrie bevorzugt auf Lukratives und Risikofreies zu konzentrieren. Langlebige Superhelden halten sich seit 75 Jahren und werden immer wieder etwas abgeändert und neu aufgelegt. Dies gestaltet sich gewohnt spaßig, aber die Innovationen halten sich eben in Grenzen. Allein die Grundstory von „Chew“ ist kreativer als manche ganze Comicreihe. Denn noch immer herrscht die Geflügelprohibition. Eine kritische Form der Vogelgrippe, brachte ein vollständiges Verbot von Hühnerfleisch und Konsorten, was den Kriminellen einen ganz neuen Markt eröffnet hat. Wen interessiert Heroin, wenn er auch Brathähnchen unterm Tisch verticken kann? Und besonders ein Mann profitiert von der Misere, in dem er mit Ersatzprodukten Unmengen an Geld macht, Montero. Nach und nach verdichten sich die Hinweise, dass der Geschäftsmann nicht nur ein goldenes Näschen hat, sondern irgendwie involviert in die ganze Epidemie zu sein scheint.
Nach Band 3 muss man sagen, dass die Story langsam ziemlich kompliziert wird. Wenn man am Schluss die letzte Seite umblättert - weil man gar nicht aufhören konnte zu lesen - kann es einem passieren, dass man eigentlich gar nichts verstanden hat. „Eiskalt serviert“ setzt direkt an die Geschehnisse seiner Vorgänger an. Falls man sich nicht mehr genau an Band 2 erinnert, entgeht einem schnell der Zusammenhang. Die Dichte der Geschichte ist aber keineswegs ein Minuspunkt. War der erste Teil besonders unterhaltsam, weil er vollgestopft war mit überaus unappetitlichen Bildern und Situationen, ist es inzwischen die Story selbst, mit ihrer Situationskomik, cineastischen Anspielungen und die Charaktere, die für das Lesevergnügen sorgen.

Allen voran natürlich Tony Chu, dessen widerwärtige Verkostung von toten Tieren, suspekten Gerichten und Leichenteilen noch so wirkungsvoll ist wie zu Beginn. Mit einer Mischung aus Schadensfreude und Ekel beschert das dem Leser eine ungeahnte Menge Spaß. Neben seinem Liebesleben wird auch ein Blick auf sein Familienleben geworfen, das mindestens so chaotisch ist, wie seine Fälle. Sein homosexueller Partner – der ihm heimlich den Chef vom Hals hält – sorgt mit seinen blöden Sprüchen für Lacher, seine Freundin ist süß und sein zähneknirschender Boss liebenswürdig hinterhältig. Wie in jeder guten Gangsterstory sind es aber die Widersacher, die finsteren Gestalten und natürlich die Gockel, wie Poyo, an denen sich die Schöpfer austoben können. Während sich die Guten noch eine Portion Normalität erhalten müssen, können die Bösen bedingungslos durchgeknallt sein, wie der ‚Vampir’ in Band 2 oder wahlweise ultracool wie Mason Savoy. Chus Expartner, der ihm sein Ohr wortwörtlich abgekaut hat, war untergetaucht und nun ist er zum Glück wieder da. Seine imposante Statur und kühle Ausstrahlung machen ihn zu einem optimalen Konterpart. Außerdem ist er kein eindimensionaler Bösewicht, sondern ein undurchschaubarer Charakter, der seine ganz eigenen Motive hat für seine Taten. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Caesar, der hier zu einer Hommage an Samual L. Jackson stilisiert wird.

Die 128 Seiten sind vollgepackt mit fantastischen Zeichnungen. Wie auch immer das möglich ist, sind diese noch besser als in den Vorgängern. Der Stil ist derselbe: Sehr kantige Striche, gelegentlich überzogene Mimik und Körperproportionen, viel Blut oder wahlweise unappetitlich. Trotzdem gelingt es Guillory irgendwie, sich selbst zu steigern. Nicht nur die Figurendarstellung wird immer perfekter, aber auch die Präsentation erinnert viel mehr an ein bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Storybord für einen Film. Immer öfter wird das obligatorische Aneinanderreihen von Panels durchbrochen, was besonders bei Kampfszenen die richtige Wirkung entfaltet und die „Kameraeinstellungen“ sind abwechslungsreicher. Wer wissen möchte, was eine meisterhafte Leistung im Storytelling ist, schlägt Kapitel 5 auf überzeugt sich selbst.


Fazit

Chew – Bulle mit Biss“ entwickelt sich stetig von einer spaßigen Ekelorgie zu einem formvollendeten Comicmeisterwerk. Während die Geschichte immer mehrschichtiger und komplexer wird, werden die Zeichnungen immer genialer. Spätestens nach Band 3 „Eiskalt serviert“ fällt die Reihe in die Kategorie: unbedingt lesen.


Pro und Kontra

+ geniale, perfektionierte Zeichnungen
+ Story bekommt immer mehr Tiefe
+ ebenso die Charaktere
+ das Fricken (selber herausfinden)
+ witzig, witzig, witzig
+ Cross Cult Qualität wie gewohnt

Beurteilung:

Zeichnungen: 5/5
Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Fricken: 5/5
Coolness: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Rezension zu Chew - Bulle mit Biss - Leichenschmaus (1)

Rezension zu Chew - Bulle mit Biss - Reif für die Insel (2)