Sturm über roten Wassern (Scott Lynch)

Heyne (Juni 2008)
Taschenbuch, 944 Seiten
ISBN: 978-3453531130
€ 16,00 [D]

Genre: Fantasy


Klappentext

Ein Fantasy-Abenteuer im Breitwandformat

Dies ist die Geschichte von Locke Lamora – Meisterdieb, Lügner und wahrer Gentleman. Aus seiner Heimat Camorr geflohen, macht es sich nun auf nach Tal Verrar, wo er zusammen mit seinem Freund Jean das dortige Spielkasino um seine Schätze erleichtern will. Das erregt die Aufmerksamkeit des Oberbefehlshabers der Stadt, der die beiden Ganoven zwingt, für ihn auf hoher See einen Krieg anzuzetteln. Doch er hat nicht mit der Piraten des Messing-Meers gerechnet …


Rezension

Der Sündenturm in Tal Verrar. Nur die Reichen haben Zugang zu dem Nobelkasino. Die Spiele sind komplex und nicht manipulierbar, die Hausregeln hingegen sind simpel: Spiele fair, denn wenn du mogelst, fliegst du aus dem Fenster - und deine Familie darf die Rechnung für die zersplitterten Steinplatten und das Entfernen der Überreste aufkommen. Im fünften Stockwerk sitzen Locke Lamora und Jean Tannen und spielen um Summen, die zahlreiche Familien ein Jahr über Wasser halten würden. Natürlich mogeln sie was das Zeug hält. Auf diese Art gelingt es ihnen wie erwünscht, die Aufmerksamkeit von Requin zu erlangen, dem Besitzer der Spielhalle, der, ohne es zu wissen, kurz davor steht, von den beiden Dieben bis aufs letzte Hemd ausgezogen zu werden. Nach zwei Jahren Planung haben sie ihn endlich dort, wo sie ihn haben wollen, doch droht der Coup plötzlich zu platzen, als sie der Archont der Stadt auf unliebsame Art und Weise zu sich befördert. Er hat ganz eigene Pläne mit ihnen und anstatt reiche Männer zu werden, hissen sie plötzlich die Segel.

Zwei Jahre sind vergangen seit den Geschehnissen in Camorr. Locke und Jean haben den Grauen König besiegt und ihren Hals aus den restlichen Schlingen ziehen können. Doch der Blutzoll war enorm und so sind nur noch zwei der Gentlemen Ganoven übrig. Auch die brutale Rache an dem Soldmagier aus Karthain bringt nicht die erhoffte Genugtuung. Stattdessen müssen sie die Stadt verlassen, um nicht von den anderen Soldmagiern aufgeknüpft zu werden, und es dauert sehr lange bis Locke seine Depressionen nicht mehr im Alkohol ertrinkt. In Rückblenden werden Lockes innerer Kampf und Jeans fruchtlose Bemühungen geschildert, seinen Freund auf die Beine zu bringen. Erneut bedient sich Scott Lynch dieser Erzähltechnik in den richtigen Momenten und gibt den Figuren dadurch eine sehr emotionale Seite. Nicht dass die Diebe bisher oberflächlich gewesen wären. George R.R. Martin (Das Lied von Eis und Feuer) wird auf dem Cover zitiert und ausnahmsweise zweifelt man nicht daran, dass das Zitierte der Wahrheit entspricht. Wenn jemand herausragende Charaktere erschafft, dann ist es Martin und auch Lynch hat es geschafft, grandiose Protagonisten zu kreieren. Und ebenso brutal wie Martin, hat er erbarmungslos seine Figuren dezimiert, egal wie liebenswert, witzig oder einzigartig sie waren. Aber immerhin haben es Locke und Jean überlebt.

In ihrem zweiten Abenteuer wandeln sie aber direkt wieder auf Messers Schneide. Alles erinnert an Steven SoderberghsOcean’s 13“, in dem ein Kasino in Las Vegas ausgenommen werden soll. Auch hier wird versucht, zu manipulieren, anstatt heimlich die Panzertür zu umgehen. Lange halten die Parallelen dem Vergleich aber nicht stand. Die Vorkehrungen der Diebe sind so gut wie abgeschlossen. Es fehlen nur noch wenige Schachzüge und der König ist matt gesetzt. Allerdings mischt sich der Archont ein und droht, zwei Jahre Arbeit zu zerstören. Hier geht die eigentliche Geschichte erst los. Locke und Jean müssen nicht nur Requin bei Stange halten, um ihn letztlich doch noch auszunehmen, sondern auch den Archonten zufrieden stellen, während sie ihn in Wahrheit ausspielen wollen. Erschwert wird das Ganze durch die Tatsache, dass sie von beiden Parteien nicht aus den Augen gelassen werden und sich immer wieder um Kopf und Kragen reden müssen, um beide Seiten bei Laune zu halten.
Wie der Titel aber vermuten lässt, verbringen die Diebe ihre meiste Zeit auf einem Schiff. Auf den letzten Seiten gibt Lynch zu, dass seine Beschreibungen ohne jeden Zweifel Fehler enthalten. Zum einen, weil er sich künstlerische Freiheiten herausnehme und zum anderen, weil er keinen Schimmer habe. Wenn man sich mit nautischen Begriffen nicht auskennt, oder gar ein riesiges Segelschiff zu steuern weiß, wird das zu keinem Zeitpunkt merken. Gäbe es Lynchs Stellungnahme nicht, würde gar nicht auf die Idee kommen, irgendetwas könne nicht stimmen. Mit einer unbändigen Freude wird mit Fachbegriffen (echte und unechte) herumgeworfen, bis einem die Ohren rauchen. Überfordert sind aber höchstens Locke und Jean, der Leser lässt sich einfach berieseln von einem Überzeugenden Piratenspektakel.

Vergleichen lassen sich Band 1 und 2 nur schwer. „Die Lügen des Locke Lamora“ war ein ziemlich brutales Buch. Auch wenn Camorr ein fiktiver Ort ist und es sich hier ganz offensichtlich um Fantasy handelt, waren die Thrilleranteile überaus hoch und so gar nichts für zarte Gemüter. Außerdem waren die Coups der Gentleman-Ganoven im Vordergrund, die nicht nur ihre Opfer sondern auch die Leser an der Nase rumführten. „Sturm über Roten Wassern“ hingegen beginnt nur so und entpuppt sich recht schnell als waschechter Abenteuer-Roman. Zwar gibt es die ein oder andere Wendung in der Story, aber an den ersten Band reicht das nicht ran. Dafür bietet der zweite Roman etwas Romantik. Somit schafft es Scott Lynch nicht nur einen einzigartigen Beitrag, sondern gleich zwei abzuliefern und das innerhalb einer Bücherreihe.


Fazit

Scott Lynch
schickt Locke Lamora und Jean Tannen in ihr zweites Abenteuer, das sich kaum mehr von ihrem ersten unterscheiden könnte. Aber anstatt einem besseren oder schlechteren hält man einfach einen weiteren, einzigartigen Roman in der Hand. Selten waren einem die Figuren so nah und eine Bücherreihe so fesselnd.


Pro und Kontra

+ einzigartig
+ Locke und Jean wachsen einem schnell ans Herz
+ spannend
+ Tal Verrar ist eine ebenso berauschende Stadt wie Camorr
+ Liebe zum Detail
+ gewöhnungsbedürftiger aber gekonnter Erzählstil

Beurteilung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Rezension zu Die Lügen des Locke Lamora (1)