Unsere Highlights aus 5 Jahren Literatopia (Teil 4)

Liebe LeserInnen,

altin den vergangenen fünf Jahren habe ich einige Bücher gelesen, deren Autoren mittlerweile zu meinen Lieblingen zählen, darunter Hilary Mantel, Aravind Adiga, Anthony Horowitz und Ngũgĩ wa Thiong’o. Wie in diesem Jubiläumsblog üblich, möchte ich davon fünf Bücher noch einmal hervorholen. Sie sind nicht meine fünf absoluten Lieblinge der vergangenen Jahre, sondern die Titel, die mir von den für Literatopia rezensierten am besten gefallen haben.

Anfangen möchte ich mit einer Gruppe von Literatur, die mir seit einigen Jahren zunehmend ans Herz wächst. Diese Beziehung entwickelte sich langsam, war mir anfangs gar nicht bewusst. Irgendwann stellte ich fest, dass diese Literatur durch einen Sammelbegriff erfasst wird: Literatur des Postkolonialismus. Der Begriff erfasst Autoren aus früheren Kolonien, wird in diesen Ländern und von darunter subsumierten Autoren grundsätzlich nicht verwendet, grenzt aber ein diskursives Gebiet ein, das in den Literaturwissenschaften, besonders in angelsächsischen Ländern, angesagt ist. Auffällig ist, dass die Autoren, wenn sie nicht ohnehin in den Ländern leben, in denen die Sprache der früheren Kolonialmacht gesprochen wird, oftmals in diesen Ländern studiert haben und in deren Sprache schreiben.

altZwei der Autoren, die mir am besten gefallen, sind Aravind Adiga und Ngũgĩ wa Thiong’o. Adiga ist ein typischer Vertreter der postkolonialen Literatur. Er ist ein früherer Mitarbeiter des Time Magazine, hat in England und den USA studiert und lebt in Indien. Sein erster Roman, Der weiße Tiger, gewann den Man Booker Prize. Adiga ist der vierte indische Schriftsteller, dem dies bisher gelungen ist. Sein Buch ist zwar unterhaltsam, aber der Autor will nicht mit einer schönen Geschichte über das heutige Indien unterhalten. Indem er das Leben des Aufsteigers Balram Halwai erzählt, entzaubert er Indien, entwickelt eine differenzierte Sicht auf das Kastensystem, die Korruption, das soziale Elend und die der Sklaverei ähnlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen. Dies geschieht in einer Weise, wie wir uns das Wissen vielleicht aus Bollywood-Filmen – die durchaus auch kritisches Potenzial enthalten – und Fernsehreportagen zusammensetzen könnten.

Etwas anders als mit Adiga verhält es sich mit Ngũgĩ wa Thiong’o. Er ist in der britischen Kolonie Kenia aufgewachsen, und sein Werk fungiert als ein wichtiges Scharnier zwischen den Pionieren afrikanischer Literatur und der jüngeren Generation des Postkolonialismus. Bis zu einem Gefängnisaufenthalt 1978 schrieb Ngũgĩ primär in der englischen Sprache, danach wechselte er zu seiner Muttersprache Gikuyu. Zugleich veränderte sich sein Fokus: setzte er sich früher mit der Zeit des Kolonialismus kritisch auseinander, behandelt er seitdem verstärkt Korruption und Ausbeutung im modernen Kenia.

altIn dieser Übergangszeit entstand Ngũgĩs Verbrannte Blüten, sein vierter Roman. Er verbindet den Kriminalroman mit dem politischen Roman in der Geschichte Ilmorogs, einem ehemals traditionellen afrikanischen Dorf und einer wohlhabenden Gemeinschaft, der die Industrialisierung, betrieben durch externe Kräfte, Ungleichheit, Korruption und den Niedergang des sozialen Gefüges brachte. Er ist vielleicht Ngũgĩs wichtigster Roman, ein Dokument dieses politischen, gesellschaftlichen und literarischen Übergangs.

Ngũgĩ verließ Kenia 1982 und ging ins Exil nach England. Von 1982 bis 1998 arbeitete er für das in London ansässige Committee for the Release of Political Prisoners in Kenya. Im Jahr 2006 veröffentlichte er die englische Übersetzung des zwei Jahre zuvor in Gikuyu erschienenen und 2008 aus dem Englischen ins Deutsche übertragenen Herr der Krähen. Der Roman ist eine politische Allegorie über Diktaturen, die Mechanismen, die Diktatoren an der Macht halten, Mechanismen, die dazu führen, dass ein Volk seine Stimme verliert und wie es sie zurückerhalten kann. Komisch und düster zugleich, simuliert Ngũgĩ in seinem bislang letzten Roman einmal mehr die afrikanische orale Erzähltradition.

altDas Verbrechen fasziniert, gleich, ob in einem eher politischen Roman wie Verbrannte Blüten oder in Kriminalromanen. Da ich seit eh Fan von Sherlock Holmes bin, soll hier der einzige Holmes erwähnt werden, den ich für Literatopia rezensiert habe: Das Geheimnis des weißen Bandes von Anthony Horowitz, ein düsterer Detektivroman, mit einem Holmes und einem Watson, wie man sie kennt, einem clever konstruierten Plot um eine Geheimorganisation, entfaltet vor atmosphärisch dichter Kulisse, aufgefüllt mit zahlreichen Details, Vignetten und Erinnerungen aus dem Leben von Sherlock Holmes und Dr. John Watson.

Zum Schluss etwas ganz anderes, ein Sachbuch von einem meiner Lieblingsautoren. Jonathan Franzen wird zumeist in Verbindung gebracht mit seinen zwei großen Romanen Die Korrekturen und Freiheit, weniger mit seinen Essays. Wie die meisten anderen Leser und Leserinnen hierzulande vermutlich auch, habe ich Franzen kennen gelernt durch Die Korrekturen, der auf mich so intensiv wirkte, dass ich anschließend nahezu alles von ihm gelesen habe, auch seine Essaybände. Im Januar 2013 ist die Übersetzung seiner letzten Essaysammlung erschienen, Weiter weg, 21 Texte, geschrieben und erstveröffentlicht zwischen 1998 und 2011.

altFranzens Essays lese ich gerne, weil sie mir oftmals einen anderen Zugang zu seinen Romanen eröffnen. Hat man an denen kein Interesse, dann dürften die Essays auch nicht auf viel Zustimmung treffen. Sie sind persönliche Einlassungen Franzens, teils solipsistisch, teils provokativ, und gelegentlich münden sie in die Selbstentblößung. Sie legen den Gedanken nahe, Franzen sei ein Mensch, der mit der Welt genauso beschäftigt ist, wie mit sich selbst. Und dass sein Leben aus Themen besteht, über die er improvisiert.

Damit beende ich die Ausstellung der fünf Lieblinge meiner für Literatopia bislang bearbeiteten Bücher. Gerne hätte ich noch etwas über Håkan Nesser geschrieben, aber von dem habe ich hier nichts rezensiert, so dass er leider „draußen bleiben“ muss. Wobei mir auffällt, dass er hier noch mit keinem seiner Bücher vertreten ist. Wie auch Hilary Mantel nicht, und Alan Hollinghurst, und Stephen Fry...Es gibt noch viel zu tun. Man fühlt sich bisweilen wie ein kleines Kaninchen in einem riesigen Gemüsefeld, das man aufgrund seiner Größe nur zum Teil erfassen kann aber dennoch für die ganze Welt hält.

Aber nicht aufgeben, das nächste Salatblatt wartet schon.

Herzliche Grüße, Almut