Der Verrat (Val McDermid)

mcdermid verrat

Droemer Verlag, September 2013
Originaltitel: The Vanishing Point (2012)
Übersetzt von Doris Styron
Gebunden 507 Seiten
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 29,90
ISBN 978-3-426-19969-5

Genre: Thriller


Autorin

Val McDermid wurde 1955 in Kirkcaldy im schottischen Fife geboren und wuchs in einer Bergarbeiterfamilie auf. Nach dem Studium in Oxford arbeitete sie als Dozentin für Englische Literatur und als Journalistin für diverse britische Tageszeitungen. Sie ist eine der erfolgreichsten britischen Autorinnen von Thrillern und Kriminalromanen. 2010 erhielt sie für ihr Lebenswerk den Diamond Dagger. Dem Fernsehpublikum wurde sie bekannt durch die Verfilmung ihrer Reihe um das Ermittlerduo Tony Hill und Carol Jordan.


Inhalt

Die Engländerin Stephanie Harker will mit ihrem fünfjährigen Adoptivsohn Jimmy eine Amerika-Reise machen. Als sie am Flughafen von Chicago im Körperscanner auf das Sicherheitspersonal wartet, wird Jimmy von einem Mann in Security-Uniform weggeführt. Sie will Jimmy nachlaufen, wird von der Security überwältigt und als Terrorverdächtige in den Verhörraum der Flugsicherheit TSA gebracht. Bis die Security endlich das FBI hinzuzieht, ist der Kidnapper längst mit Jimmy verschwunden.  Während Special Agent Vivian McKuras von der Einwanderungsbehörde die Suche einleitet, erzählt Stephanie Jimmys und ihre Geschichte. Denn wer auch immer der Entführer ist, er muss aus ihrem Umfeld stammen.

Jimmy ist das Kind ihrer im letzten Jahr an Krebs verstorbenen Freundin Scarlett Higgins. Scarlett wuchs im Problemviertel von Leeds auf, ihr Vater war ein Krimineller und starb an AIDS, ihre Mutter ist Alkoholikerin, ihre Schwester ein Junkie. Aufmerksamkeit erlangte sie als Teilnehmerin der Reality-Show Goldfish Bowl, wo sie dem Publikum durch Dreistigkeit und Kampfgeist auffiel. Sie wurde zu einer festen Größe in der Sensationspresse, zum Vorbild für junge Frauen, Showmasterin und Werbeikone. Als sie schwanger wurde, engagierte sie Stephanie Harker als Ghostwriterin für ihre Autobiografie.

Wider Erwarten freundeten sich die beiden Frauen an, denn Scarlett war nicht das oberflächliche Dummchen, das sie in der Öffentlichkeit spielte, sondern intelligent und zielstrebig. Stephanie erlebte aus nächster Nähe, wie Scarlett ihre Karriere steuerte und ihr Image polierte, ein Spendenprojekt für ein Waisenhaus in Rumänien gründete, an Krebs erkrankte und sich von ihrem nichtsnutzigen Ehemann Joshu trennte, der kurz darauf an einer Überdosis Morphium starb. Bei ihrem Tod vertraute sie Stephanie ihren Sohn an, ihr gesamtes Vermögen hinterließ sie ihrem Spendenprojekt in Rumänien. Hilfe bekommt McKuras von Detective Nick Nicolaides aus London. Er hatte seinerzeit Joshus Drogentod untersucht und sich mit Stephanie angefreundet, sie sogar vor ihrem stalkenden Ex-Freund Pete beschützt. Bald haben sie einen Hauptverdächtigen, doch der erweist sich als unschuldig und die Suche beginnt von Neuem.


Rezension

Die ungewöhnliche Verhörkonstruktion des Romans erzählt die Backstory aus Sicht der Protagonistin Stephanie Harker. Sie umfasst vierhundert der insgesamt fünfhundert Seiten und wird nur gelegentlich unterbrochen von kürzeren Abschnitten über die Ermittlungsarbeit von McKuras in Chicago und Nick Nicolaides in London. Stephanie erzählt ihre Geschichte detailliert und präzise, denn sie weiß, dass hier der Schlüssel zur Lösung des Falls liegen muss. Offensichtlich war die Entführung kein Zufall, sondern von langer Hand geplant. Jimmy vertraute dem Entführer und ging widerstandslos mit. Der Täter kannte Stephanies Reisepläne und wusste, dass bei ihr die Metalldetektoren immer anschlagen und sie in den Körperscanner muss.

Die Leser fühlen sich herausgefordert, aufmerksam zu lesen und nach Hinweisen zur Lösung des Rätsels zu suchen. Stephanie gerät zeitweilig selbst unter Verdacht, Drahtzieherin der Entführung zu sein. Denn als erfolgreiche Ghostwriterin ist sie eine professionelle Geschichtenerzählerin und Lügnerin. Doch die Leser werden genauso in die Irre geführt wie Stephanie. Sie glaubt nur, die Wahrheit zu erzählen. Etwas an ihrer Geschichte kann nicht stimmen, etwas Entscheidendes muss ihr entgangen sein.

Die Ghostwriterin, die ein Profi im Lügen und Erkennen von Lügen ist, ist diesmal selbst die Düpierte. Neben Stephanie sind Scarletts und Joshus Familien verdächtig, außerdem Stephanies psychisch labiler Ex-Freund Pete. McDermid orientiert sich am klassischen Whodunnit, wie er beispielsweise von Agatha Christie bekannt ist. Eine Reihe von Verdächtigen wird aufgebaut und der Unverdächtigste wird im Finale als Täter überführt. McDermid erneuert diese Form des Krimis, indem sie die Figuren in der realen Welt verankert und ihnen eine psychologische Tiefe verleiht, die ihre Motive glaubwürdig und nachvollziehbar macht.

Im starken Kontrast zu den ersten vierhundert Seiten (abgesehen von dem Einstiegskapitel über die Entführung) stehen die letzten hundert Seiten, auf denen erzählt wird, wie Stephanie sich nach ihrer Rückkehr nach London gemeinsam mit Nick auf die Suche nach Jimmy begibt. Die Geschichte nimmt an Fahrt auf, nimmt einige überraschende Wendungen und spitzt sich in einem starken Finale zu, das in seiner psychischen und physischen Brutalität von logischer Konsequenz ist.


Fazit

Der Verrat ist ein düsterer Psychothriller, spannend, intelligent und mit einem kühnen Plot. Wie bei Val McDermid nicht anders zu erwarten, basieren die Fakten auf einer intensiven und sorgfältigen Recherchearbeit. Man erfährt Informatives über die Arbeit von Ghostwritern und die Promi-Welt und welche Folgen es hat, wenn man unerlaubt den Körperscanner verlässt.


Pro und Contra

+ atemberaubend spannender Psychothriller 
+ Whodunnit zum Miträtseln
+ clever konstruierte, gut erzählte Story
+ psychologisch stimmige Figuren
+ ein Kind, das mal nicht nervt
+ böser Kommentar auf die Klatschmedien und das Leben von C-Promis
+ Einblicke in die Arbeit eines Ghostwriters

Wertung: sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu "Cross and Burn" (Originalfassung)