Himmelsfern (Jennifer Benkau)

himmelsfern

Script5 (September 2013)
Hardcover mit Schutzumschlag
496 Seiten, 18,95 EUR
ISBN 978-3-8390-0143-1

Genre: Phantastik / Jugendbuch


Klappentext

Noa verliebt sich. Doch ihr bleiben nur zwei Wochen. In zwei Wochen wird der Junge, den sie liebt, dem Menschsein den Rücken kehren, vielleicht für immer. Hat ihre Liebe unter diesen Umständen überhaupt eine Chance? Wird der Schmerz am Ende nicht viel zu groß sein? Doch Noa kennt das Spiel mit dem Feuer – ihre Leidenschaft ist der Tanz mit den brennenden Poi. Wird sie es schaffen, ihre Furcht zu bezwingen, so wie sie bei jedem Training, jedem Auftritt ihre Angst überwindet? Denn sie ist seine einzige Hoffnung …


Rezension

Eine Stimme in ihrem Kopf will Noa davon abhalten, in eine U-Bahn zu steigen. Auch andere scheinen sie zu hören – eine Frau mit Kinderwagen steigt wieder aus. Doch Noa hört nicht auf die Stimme. Die U-Bahn entgleist. Ein Mann, der sich auf sie geworfen hat, hat ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. Noas beste Freundin findet das wahnsinnig romantisch, vor allem, da der mysteriöse Unbekannte einfach aus dem Krankenhaus verschwunden ist. Noa beschließt, ihn zu suchen – und trifft dabei auf Marlon, der vor einem steinernen Brunnen kniet und leise vor sich hinmurmelt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Noa noch nicht, was Marlon ist und was er ihr bedeuten wird. Und sie ahnt nicht, dass ihr Lebensretter aus der U-Bahn ihr Feind ist …

Nach einem dramatischen Einstieg beginnt Noas Weg zurück in den Alltag. Sie lebt mit ihrem Vater in einer kleinen, aber gemütlichen Wohnung und verkraftet den Schock über das U-Bahn-Unglück mit ihrem eigenwilligen, derben Humor. Man merkt ihr die Schicksalsschläge, die ihr junges Leben gezeichnet haben, an, doch Noa ist ein toughes Mädchen, das ihren Weg geht. Bis der geheimnisvolle Marlon alles auf den Kopf stellt. Der junge Mann hat rabenschwarze Augen und ihn umgibt eine unheimliche Aura, die Noa gleichermaßen fasziniert wie ängstigt. Umso charmanter ist seine eigenartige Sprechweise, denn Marlon hat früher gestottert. Ein wenig erinnern die beiden an Joy und Neél aus „Dark Canopy“: Noa ist emotionale junge Frau mit leichtem Sarkasmus und Marlon ein ruhiger Typ, der gleichermaßen sanft wie eiskalt sein kann. Dennoch bringen beide Eigenschaften mit, die sie einzigartig machen. Und beide bieten für junge Leser viele Identifikationspunkte.

Auch die Nebencharaktere in „Himmelsfern“ können überzeugen: Noas Vater ist dem Leser auf Anhieb sympathisch und ihre Oma, die nach einem Schlaganfall im Pflegeheim lebt, ist auf eine skurrile Art ziemlich „cool“. Jennifer Benkau beschreibt Noas Familie und Freunde sehr eindrücklich, von allen hat man sofort ein klares Bild vor Augen. Und alle verbindet eine gemeinsame Geschichte mit Noa, die sie authentisch macht. Marlons hingegen hat nur seinen Bruder und die gemeinsame Freundin Emma, die anfangs recht blass wirken. Es braucht Zeit, um mit ihnen warm zu werden und ihre Handlungen nachvollziehen zu können. Die Gegenspieler bleiben bis zum Ende eine diffuse Bedrohung, die für Noa und Marlon zwar sehr real wird, für den Leser aber schwer greifbar ist. Denn man erkennt die Angreifer meist nicht, sie haben bis auf eine Ausnahme keine Namen und keine Gesichter.

Der Fokus des Romans liegt auf der Liebesgeschichte zwischen Noa und Marlon, die – wie fast schon typisch für die Autorin – intensiv, kompliziert und bittersüß ist. Schon zu Beginn wird angedeutet, wie schmerzhaft diese Liebe für Noa werden wird und wer Jennifer Benkau kennt, weiß, dass sie es mit der kurzen Zeit, die Marlon bleibt, ernst meint. Es bleibt die Frage, wie sich diese Zeit am besten nutzen lässt – und die Aussage, dass das Hier und Jetzt zählt. Tiefe Verzweiflung und großes Glück wechseln sich in schwindelerregender Geschwindigkeit ab, sodass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Außer, um atemlos innezuhalten und zu verarbeiten, was man gerade gelesen hat. Die Protagonisten wachsen einem dabei richtig ans Herz und am Ende ist man mindestens genauso aufgewühlt wie Noa. Leider kommt das Poi-Spiel etwas zu kurz, das der Klappentext angekündigt hat. Man erlebt Noa zwar beim Training und auch bei einem großen Auftritt, doch insgesamt ist ihr Spiel mit dem Feuer nur Beiwerk.

Liest man die ersten Kapitel und betrachtet dabei das Cover, könnte man glauben, „Himmelsfern“ handle von Engeln – weit gefehlt. Jennifer Benkau widmet sich in ihrem wunderbaren Einzelroman mythologischen Wesen, von denen man selten liest: Harpyien. Um die Chimären strickt sie ihre ganz eigene Geschichte, die sich stückchenweise vor dem Leser offenbart. Die Wahrheit braucht dabei viel Zeit und wird in eine verträumte, tragische Legende gekleidet – bis Noa bereit ist, zu akzeptieren, was Marlon ihr erzählt. Die Spannung lebt in der ersten Romanhälfte von den dramatischen Ereignissen zu Beginn und dem großen Geheimnis um Marlons Identität. Die zweite Hälfte gestaltet sich deutlich actionreicher und man spürt, wie die Zeit verrinnt und dass die Hoffnung auf ein Happy End wohl vergebens ist. Jennifer Benkau findet dennoch ein Ende, das versöhnlich stimmt und positiv überrascht. 


Fazit

Mit „Himmelsfern“ hat Jennifer Benkau einen bittersüßen und originellen Jugendroman geschrieben, der seine Leser mit einer emotionalen Achterbahnfahrt bis in die Grundfesten aufwühlt. Die Geschichte um Noa und Marlon lebt von der Bedeutung der Gegenwart, die unvermeidlich verrinnt und damit umso wertvoller wird.  Eine wunderbare Geschichte, berührend, anders und schmerzhaft schön!


Pro & Contra

+ originelle Idee
+ emotionale Spannung
+ facettenreiche Charaktere
+ genialer Schreibstil mit dunklem Humor
+ märchenhaft und bittersüß

o Cover ist Geschmackssache

- Gegenspieler bleiben zu blass

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5

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