F (Daniel Kehlmann)

f kehlmann

Rowohlt Verlag, 30.8.2013
Gebunden, 384 Seiten
€ 22,95 [D] | € 23,60 [A] | CHF 36,90
ISBN: 978-3-498-03544-0

Genre: Belletristik


Inhalt

Arthur Friedland hat mit zwei Frauen drei Kinder in die Welt gesetzt, verlässt die Frauen, sieht seine Söhne selten und wird Schriftsteller. Jahre später ist der älteste Sohn Martin ein Priester, der sich mehr für seinen Rubikwürfel aus den 1980er Jahren und für das Essen interessiert, als für Kirche und Glauben. Martins Halbgeschwister Iwan und Eric sind eineiige Zwillinge. Iwan macht als Künstler Karriere unter dem Namen seines Geliebten. Eric scheitert als Investmentbanker. Arthurs Roman „Mein Name sei Niemand“, mit einem F genannten Protagonisten, ist ein nihilistisches Gedankenexperiment, das innerhalb kurzer Zeit vier Menschen in den Suizid treibt. Die Brüder haben sich derweil in ihrem Leben und in der Lüge eingerichtet, leiden aber jeder auf seine Weise.


Rezension

Der Verlag Rowohlt wirbt für Daniel Kehlmanns neuen Roman mit der Aussage: „Bislang war F nur ein Buchstabe“. Und betont: „F wie Fälschung“. Orson Welles hat 1975 F – For Fake (F - wie Fälschung) vorgelegt, einen Filmessay über Fälscher und Fälschungen. Darin interviewt er unter anderen Personen einen weltbekannten Kunstfälscher und einen nicht minder populären Tagebuchfälscher. Durch die Montage zeigt er manipulierend, wie manipuliert wird, und wie wenig es gelingt, zwischen Realität und Illusion zu unterscheiden. Damit ist Kehlmanns Roman im Wesentlichen beschrieben. (Auf S.180 besucht ein Bruder Welles’ letzten Film, dessen Titel nicht genannt wird.)

Der Roman besteht aus sechs Kapiteln. Im ersten Kapitel bestärkt der Hypnotiseur Lindemann, der später im Buch als Wahrsager auftritt, Arthur 1984 darin, Schriftsteller zu werden. Das dritte Kapitel besteht aus Arthurs Erzählung „Familie“, einer Abfolge von Kurzbiographien, die die Reihe der Vorfahren immer weiterführen und mit dem Tod der jeweiligen Person enden lassen. Während das erste Kapitel ein amüsanter Beitrag zum Thema Selbstbestimmung ist, nimmt das dritte dieses auf und erweitert es um die Frage nach dem Zusammenhang von Original und Kopie. Knapp vier Zeilen werden hier einfach als Kurzbiographie dreimal hintereinandergeschaltet. Die Kapitel 2, 4 und 5 spielen am 8.8.2008, dem Tag, an dem der Georgienkrieg begann, in dem Jahr, in dem die Investment Bank Lehmann Brothers, der Versicherungsgigant AIG, die Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie-Mac, Bear Stearns, HBOS und Merrill Lynch einen Riesencrash verursachten und der Kunstmarkt mit Verzögerung folgte. Im Verlauf dieses 8. August-Tages geschieht ein Mord. Das sechste Kapitel erzählt in der dritten Person Singular von den Entwicklungen danach, vier Jahre später.

Kehlmanns Protagonisten sind die drei Söhne, jeweils einer bestimmt die Perspektive als Ich-Erzähler. Priester Martin glaubt nicht an Gott und empfindet sein Spiegelbild nicht als beruhigend, so wie andere Menschen seinen priesterlichen Anblick. Finanzberater Eric, Zwilling von Iwan, verspekuliert sich mit Geld und Frauen, hat Ehefrau Laura und Tochter Marie sowie drei Geliebte, eine Villa für 7,5 Millionen Euro, einen teuren und verhassten Paul Klee an der Wand hängen und ist tablettensüchtig. Der schwule Künstler Iwan ist ein Spiegelbild Erics. Er macht die Bilder des erfolglosen Künstlers Heinrich Eulenböck, seines Geliebten, über eine Galerie und angesagte Kunstzeitschriften bekannt und teuer. Als Heinrich die Nachfrage nicht mehr befriedigen kann, malt auch Iwan echte Eulenböcks. Er promoviert über Eulenböck, wird nach dessen Tod sein Nachlassverwalter, Stiftungsvorstand, stellt Echtheitsexpertisen aus und beliefert Auktionen.

Die Fälscherstory weist Parallelen zu Patricia Highsmiths Ripley Under Ground von 1970 auf. In ihrem zweiten Kriminalroman um ihren Lieblingshelden steht der windige Amerikaner Tom Ripley im Zentrum eines Fälscherrings. Er hatte ihn nach dem spurlosen Verschwinden des Malers Derwatt vor sechs Jahren gegründet, um Derwatt mit Hilfe von dessen Freunden, dem Fotografen Jeff und dem Journalisten Ed, berühmt zu machen. Als nach zwei Jahren sämtliche Derwatts über die Londoner Buckmaster-Galerie verkauft waren, überredete Tom den Maler und einstigen Derwatt-Freund Bernard, neue Bilder im Derwatt-Stil zu malen. Hatten Ed und Jeff zunächst noch behauptet, die Gemälde zufällig gefunden zu haben, streuten sie nun das Gerücht, Derwatt lebe als Einsiedler in einem Nest irgendwo in Mexiko. Durch Bernards Bilder wurde Derwatt zum höchstbezahlten „lebenden“ Maler Englands. Das Geld fließt in die Derwatt Ltd., an der Tom mit zehn Prozent beteiligt ist. Jeff und Ed konnten von ihren Anteilen die Buckmaster-Galerie kaufen. Kehlmann entwickelt diesen fiktionalen Ansatz weiter.

F ist angelegt wie ein Episodenroman, der nach einem Prolog mit dem Vater über die Brüder drei Geschichten erzählt, die kausal und zeitlich miteinander verkoppelt sind. Die Welten in den Episoden sind als Subsysteme relativ geschlossen. Die Hauptfigur einer Episode ist in den beiden anderen als Nebenfigur präsent. Wie in einem Hypertext werden in jedem dieser Kapitel Links zu anderen erzeugt, wodurch der Plot die lineare Erzählung fragmentiert. Material in einem Kapitel geht einer Szene in einem anderen Kapitel voraus oder bezieht sich (später) darauf. Die engen Verkopplungen geschehen durch Szenen, die aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden.

Kehlmann arbeitet mit Spiegelungen und Echos. So findet die Listung der Familienbiographien ihren Nachhall im Bogenschießen des Schlusskapitels („Georg schoss und traf, Marie schoss und traf nicht,...“). Auch nimmt er interessante Verschachtelungen nach Innen vor. Iwan denkt einmal über Zenon von Eleas’ Paradoxon von Achilles und der Schildkröte nach. Später heißt es, jedes Jahr sei voller Tage, jeder Tag voller Stunden etc. In beiden Beispielen, einmal Raum, einmal Zeit, letztendlich aber nur Zahlen, entsteht eine Vorstellung von Unendlichkeit in der zunehmenden Verdichtung. F liefert seinen Lesern Partikel, die sich zu einem großen Ganzen fügen könnten, über das wir jedoch nicht viel sagen können, weil wir es in seiner Ganzheit nicht wahrnehmen. Die Welt von F ist ein Steinbruch, der die Idee eines Gebirges in sich birgt – wie der kleine Fälscher vielleicht sagen würde.

Die drei Brüder sind die Brut des Nihilismus, den ihr Vater Arthur in seinem Roman „Mein Name sei Niemand“ thematisiert, eine Art unheilige Dreifaltigkeit in Religion, Wirtschaft und Kultur, frei von Illusionen und Glauben, allesamt Fälscher, von Glauben, Bilanzen und Gemälden. Die Familie ist Fiktion, das Leben ebenso. Eine Biographie ist die Fiktionalisierung von Erinnerungs- oder Erlebnisfetzen zu einer genehmen und homogenen Lebensgeschichte.


Fazit

Daniel Kehlmann erzählt in F temporeich, leicht distanziert und voller Komik die ineinander verwobenen Geschichten dreier Lebensfälscher. Philosophische Gedanken über Schicksal und Selbstbestimmung, über Erscheinungsformen von Täuschung und Fälschung werden, je nach Perspektive der Leser, entweder etwas flach entwickelt, oder aber für eine breitere Leserschaft aufbereitet, die Kehlmann seit seinem Vermessungsroman haben dürfte.


Pro und Contra

+ unterhaltsame Satire
+ unaufdringliche, nicht ausgestellte Intertextualität

o Figuren sind nur Träger themenrelevanter Eigenschaften

Wertung: sterne5

Handlung: 5/5

Charaktere: 5/5

Lesespaß: 5/5

Preis/Leistung: 4/5