Wen der Rabe ruft (Maggie Stiefvater)

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script5, 1. Auflage Oktober 2013
Originaltitel: The Raven Boys
Aus dem Amerikanischen von Jessica Komina und Sandra Knuffinke
HC mit SU und LB, 464 Seiten
18,95 € (D) | 19,50 € (A)
ISBN: 978-3-8390-0153-0
Leseprobe

Genre: Belletristik mit Mystik-Einflüssen


Klappentext:

Jedes Jahr im April empfängt Blue die Seelen derer, die bald sterben werden, auf dem verwitterten Kirchhof außerhalb ihrer Stadt. Bisher konnte sie sie nur spüren, nie sehen – bis in diesem Jahr plötzlich der Geist eines Jungen aus dem Dunkel auftaucht. Sein Name lautet Gansey, und dass Blue ihn sieht, bedeutet, dass sie der Grund für seinen nahen Tod sein wird.

Seit Blue sich erinnern kann, lebt sie mit der Weissagung, dass sie ihre wahre Liebe durch einen Kuss töten wird. Ist damit etwa Gansey gemeint?


Rezension:

Blue ist mit ihrem Leben eigentlich ganz zufrieden. Sie geht zur Schule, hat ein paar mehr oder weniger nervende Nebenjobs, war nie rebellisch oder in irgendwelchen Schwierigkeiten und lebt in einem Haus, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Eines der Highlights in jedem Jahr ist diese eine besondere Nacht, in der sie gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem verwitterten Kirchhof in der Nähe ihrer Stadt die Seelen bald Versterbender begrüßt. Doch in diesem Jahr ist alles ein wenig anders, denn Blue begleitet nicht ihre Mutter, sondern ihre Tante, die lange verschwunden war und nun aus heiterem Himmel wieder auftauchte. Und das ist nicht die einzige Veränderung, zusätzlich kann Blue zum ersten Mal auch eine der Seelen sehen und sogar ein paar Sätze mit ihr austauschen. Der Grund hierfür ist, dass Blue für seinen Tod verantwortlich sein wird. Da sie laut einer Familienweissagung ihre wahre Liebe mit einem einzigen Kuss töten würde, ist Blue nach dieser Erfahrung ziemlich durcheinander – und als der echte, lebendige Gansey gemeinsam mit seinen Freunden plötzlich für eine Kartenlegung im Hause ihrer Mutter auftaucht, gerät Blues bisheriges, sehr geregeltes Leben heftig aus den Fugen ...

„Heute“, dachte Blue, „ist der Tag, an dem ich aufhöre, nach der Zukunft zu lauschen, und stattdessen anfange, sie zu leben.“
(Seite 211)


Als Auftaktband hat Wen der Rabe ruft die schwere und mitunter undankbare Aufgabe, Maggie Stiefvaters neue Tetralogie an den Leser zu bringen – unabhängig, ob dieser zum ersten Mal ein Buch der Autorin in den Händen hält oder die anderen vier Titel bereits kennt. Fans haben aufgrund der Vorgängerromane einen hohen Anspruch, Neulinge aufgrund der zahlreichen Lobeshymnen eine hohe Erwartungshaltung – so oder so wird dem ersten Band über die sogenannten Ravenboys einiges abverlangt. Thematisch hat sich Maggie Stiefvater an eine Mischung aus mystischen Legenden, die eine düstere Atmosphäre mit sich bringen, einem nicht ganz durchsichtigen Familiengeheimnis und einer sehr langsam aufkeimenden Liebesgeschichte heran gewagt – eine Mischung, die durchaus ihren Reiz hat und einige interessante Ansätze zu verzeichnen hat. Doch bei der Umsetzung hat die sich bislang recht erfolgreiche Autorin möglicherweise ein wenig übernommen, denn das umfangreiche Thema der Seelenwanderung und den damit verbundenen Energiefeldern bzw. –linien wird, wie auch die Liebesgeschichte und das Familiengeheimnis, nur in minimalen Zügen angerissen. Was irgendwie klar ist, da der Auftaktband mit knapp 460 Seiten nur ein begrenztes Kontingent an mit Inhalt zu füllendem Platz hat und den Leser ja im besten Falle gerade soweit anfüttern soll, dass er unbedingt weiterlesen möchte.

Das gelingt Maggie Stiefvater auch ohne Probleme, allerdings beruht dieser Drang weitestgehend auf der Tatsache, dass der Leser schlichtweg unbefriedigt bleibt, nachdem er die letzte Seite gelesen hat. Wen der Rabe ruft ist aufgrund der Themenvielfalt recht verworren und zu viele Längen schmälern das ohnehin schon strapazierte Lesevergnügen noch zusätzlich. Maggie Stiefvater hält sich an einigen Stellen zu lange mit zu vielen Details und Beschreibungen auf, die möglicherweise erst im weiteren Verlauf der Geschichte wirklich einen Sinn ergeben. Dass der Griff zu diesem Buch ein Fehlgriff sein könnte, darf trotz der lange Liste an negativ angehauchten Kritikpunkten allerdings nicht angenommen werden – Maggie Stiefvater zieht in ihren Bann und kann, zumindest im Auftakt zu ihrer neuen Tetralogie, ganz klar mit der Gestaltung der Charaktere punkten. Hier blickt man in jedem Fall auf eine hoffentlich tendenziell steigende Weiterentwicklung entgegen. Spannende Ansätze lassen nun auf die Fortsetzung hoffen, in der nicht nur die überaus interessante Hintergrundidee noch ein wenig mehr ausgebaut, sondern auch die zahllosen ineinander verknoteten Fäden ein wenig entwirrt werden sollten.


Fazit:

Seelen demnächst Versterbender, Energielinien, seltsame Weissagungen, zarte Liebesbande und ein wohlgehütetes Geheimnis – der Auftaktband zu Maggie Stiefvaters neuer Tetralogie ist vor allem eins: Ziemlich verwirrend. Obwohl das Thema ein wirklich interessantes ist, verliert sich Wen der Rabe ruft in vielen Längen und schafft es nur an wenigen Stellen, den Leser wirklich zu fesseln. Zahlreiche tolle Ansätze und Anreize laden zwar zum Weiterlesen ein, doch in der Summe kann dieser Startschuss nur bedingt überzeugen. Alle Hoffnung ruht auf dem Nachfolger, der zumindest einige der verknoteten Fäden lösen können sollte, um den Leser weiterhin bei Laune zu halten.


Wertung: alt 

Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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