Der Zorn der Wölfe (Jiang Rong)

Goldmann (Dezember 2008)
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
704 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
€ 24,95 [D] | € 25,70 [A]
ISBN: 978-3-442-31108-8


Klappentext

Der chinesische Student Chen Zhen reist während der Kulturrevolution in den 60er Jahren von Peking in die Innere Mongolei, um dort das Leben der nomadisierenden Viehzüchter kennenzulernen. Sofort ist er völlig in den Bann gezogen von dieser ihm gänzlich unbekannten und archaischen Welt. An der Seite Bilgees, seines alten mongolischen Lehrers, trotzt er Schneestürmen und sengender Hitze, und er erhält Einblick in die alten Mythen und Traditionen des mongolischen Volkes. Vor allem aber macht Chen Zhen die Bekanntschaft mit den Wölfen, deren Klugheit und Mut die Mongolen von jeher fasziniert haben – und bald verbindet ihn eine tiefe Liebe zu einem Wolfsjungen, das er aufzieht. Doch dann kündigt sich Unheil an, denn als die Chinesen das wirtschaftliche Potenzial der mongolischen Steppe wittern, drohen Profitgier und blinder Fortschrittsglaube das Jahrhunderte währende Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu zerstören …


Rezension

Bevor man mit Der Zorn der Wölfe beginnt, sollte man unbedingt die vorangestellte Information über den Autor Jiang Rong lesen. So erfährt man, dass Jiang Rong nur ein Pseudonym von Lu Jiamin ist, der bereits viermal als Konterrevolutionär verfolgt wurde und mehrere Jahre als politischer Gefangener in Haft saß. Andernfalls wäre das autobiografische Buch zweifelsfrei von der chinesischen Zensurbehörde verboten worden.

An den wachen Augen der konservativen Regierung vorbeigeschmuggelt, entwickelte sich Der Zorn der Wölfe zum erfolgreichsten Buch Chinas nach der Mao-Bibel. Und das trotz der eindeutigen Kritik am konservativen, nach Konfuzius ausgelegten, chinesischen Regime.
In erster Linie ist das Buch aber eine Hymne an den Wolf, an das nomadische Leben der Mongolen, deren Verständnis und Liebe zur Natur und den Drang nach Freiheit.

Chen Zhen, Rongs alter Ego, zieht zu den Nomaden des Olonbulag und verliebt sich schnell in das mongolische Land. Die Natur ist überwältigend, wunderschön und vor allem vom westlichen Menschen, mit seiner Agrarwirtschaft, völlig unberührt. Er wird eingeweiht in die Regeln, an die sich die Mongolen seit Generationen halten. Lernt den Respekt kennen, den die Nomaden dem Wolf zollen, obwohl er gleichzeitig der größte Feind, der Pferde- und Schafhirten ist. Alles beruht auf einem Geben und Nehmen und der Wolf ist bei weitem keine Bestie, sondern der Beschützer des Graslandes.
Allerdings muss Chen, als Folge der neuen Weltsicht, feststellen, dass die Einstellungen der Han-Chinesen, wie er einer ist, in vielen Punkten unendlich falsch sind.

Ab der ersten Seite wird der Leser in die, für die meisten unbekannte, Welt der Mongolen geworfen. Mit intensiven, schönen Bildern und vielen Details verzaubert Jiang Rong den Leser. Sofort fühlt man sich in die unberührte Natur versetzt und meint sogar den Geruch des Olonbulag wahrzunehmen.
Der Text ist wirklich schön zu lesen, ist informativ und atmosphärisch. Besonders die Jagden nach den Wölfen sind spannend und ab dem Zeitpunkt, als die Chinesen kommen, um das Land für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen und die heiligen Tiere auszurotten, ist es zum Haareraufen, in Anbetracht derer Sturheit.
Leider setzt das Buch einiges an politischem Wissen voraus. Zwar ist es nicht nötig über die politischen Verhältnisse der Zeit Bescheid zu wissen, um das Buch zu genießen und zu verstehen, aber wenn man als Leser wissen möchte, weshalb die Chinesen die Mongolei besiedeln wollten und warum sie Studenten zu den Viehzüchtern schickten während der Kulturrevolution der 60er, muss man sich die Informationen andernorts besorgen.
Dafür konzentriert sich Jiang Rong streng auf den Mythos Wolf, seine Lebensweise, die Bedeutung der Jagd und wie das Grasland nur durch seine Hilfe so fruchtbar sein konnte.

Der Zorn der Wölfe ist keine fiktive Geschichte und daher auch nicht spannend im klassischen Sinne. Am besten verdeutlichen kann man das, wenn man den deutschen und den originalen Titel vergleicht. "Der Zorn der Wölfe" klingt zwar atmosphärisch, verspricht aber etwas anderes als das Original "Wolfstotem". Es geht wirklich nur um den Wolf und dessen wahre Natur, die weit weg von der Stigmatisierung durch die Außenstehenden ist.
Kein Zwist, kein Feind, den es zu bekämpfen gäbe, außer Ignoranz und Unwissen.

Bedauerlich sind einige Längen durch den Mangel an Abwechslung (auch wenn man das einem autobiografischen Werk schlecht ernsthaft vorwerfen kann), denn Der Zorn der Wölfe verlangt nach ein wenig Sitzfleisch und großem Interesse, sein Weltbild in andere Bahnen zu lenken. Auch wenn die Bedeutung des Buches für einen Europäer nicht ganz so augenöffnend sein mag wie für einen Han-Chinesen, so erlaubt es doch einen informativen Einblick in eine fremde Welt, deren Kultur und Beweggründe. Auf jeden Fall macht es sich ungemein gut im heimischen Bücherregal, da das Cover ein echter Hingucker ist.


Fazit

Ein malerischer Roman über Wölfe, mongolische Nomaden und den Drang nach Freiheit. Eine gute Möglichkeit, die Welt der Mongolen, Chinesen und Wölfe aus anderen Augen zu erleben.


Pro und Kontra

+ malerisch
+ atmosphärisch
+ informativ
+ tolles Design

- gelegentliche Längen

Beurteilung:

Handlung 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5