Spieler Eins. Roman in fünf Stunden (Douglas Coupland)

coupland spieler

Klett-Cotta, 24.10.2013
Originaltitel: Player One. What Is to Become of Us? (2010)
Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Gebunden, 246 Seiten
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 29,90
ISBN: 978-3-608-93774-9

Genre: Belletristik/Mystery


Autor

Der Kanadier Douglas Coupland wurde 1991 international bekannt mit seinem Roman Generation X. Dieses Buch definierte eine ganze Generation, der Titel wurde zum Etikett, wie auch die Bezeichnung McJob.


Rezension

Glückliche Kreaturen müssen einfach nur da sein und leben, wie Tiere und junge Menschen. Irgendwann erreichen junge Menschen einen Umschaltpunkt, von dem an sie daran arbeiten, ihrem Leben eine Story zu verpassen. Vielleicht beginnt an diesem Umschaltpunkt die Zeit als erwachsener Mensch.

In der Cocktaillounge des Toronto Airport Camelot Hotels kommen fünf Menschen zusammen. Karen ist geschieden, hat eine Tochter und wird bald vierzig Jahre alt. Sie lässt sich auf ein Date mit einer Internetbekanntschaft ein, Warren, mit dem sie sich in der Cocktaillounge treffen will. Es ist nicht wirklich ein klassisches Blind Date, weil sie einander vorher geschrieben und Fotos geschickt haben. Es ist beinahe ein Blind Date, muss Karen beim Eintreffen Warrens feststellen, weil der Eintreffende der Person auf dem Foto allenfalls ein wenig ähnelt. Rick ist geschieden, hat einen Sohn, gibt sich als Single aus, weil das weniger nach Loser klingt, und arbeitet als Barmann in der Cocktaillounge. Er hat eine Vergangenheit als Gärtner hinter sich, die durch Diebstahl seiner Arbeitsgrundlage (Pickup und Geräte) beendet wurde, und für einen Neuanfang 8.500 Dollar gespart. Luke war bis zum Vormittag Reverend. Nun ist er ein Dieb, der den Renovierungsfonds seiner Gemeinde geplündert hat und deshalb um 20.000 Dollar reicher ist.

Rachel ist Kleinunternehmerin und züchtet weiße Mäuse. Ihre Eltern glauben nicht mehr daran, dass aus der Neunzehnjährigen ein Mensch werden könnte. Rachel verlässt die Garage ihres Elternhauses, nimmt ihre Ersparnisse, lässt sich teuer einkleiden und dazu passend frisieren. Sie sitzt in der Cocktaillounge, weil sie gelesen hat, an solchen Orten würden sich Sexwillige treffen. Rachel ist auf der Suche nach einem Mann mit Geld, der sie schwängern und in die Gemeinschaft der Menschen aufnehmen soll. Die fünfte Stimme ist Spieler Eins, ein körperloser Beobachter der Vorgänge in der Cocktaillounge.

Douglas Coupland führt in Spieler Eins fünf Menschen zusammen und verdichtet ihr Leben, ihre Wünsche, Träume und Erinnerungen auf (maximal) fünf Stunden. Einer von ihnen wird auf S.87 von einem Heckenschützen erschossen. Wer dies ist, erfahren wir durch einen Blick in den Klappentext. Alternativ durch einen Vergleich der Namen, die den Kapiteln als Überschrift dienen: Karen, Rick, Luke, Rachel, Spieler Eins. In der letzten Stunde und auf S.41 erfahren wir, wer Spieler Eins ist. Karen, Rick und Luke sind Menschen, die ihrem Leben eine Story verpasst haben. Alternativ wurde ihrem Leben eine verpasst. Sie funktionieren, sind frustriert, leiden am Leben und wollen aus dieser Story heraus, wenigstens einmal oder für kurze Zeit. Weil ihnen ihre Geschichte nicht gefällt?

Rachel hat gelebt, bis sie den Entschluss fasste, unterstützt durch massiven und stetigen äußeren Druck, ein Mensch zu werden. Das verschafft ihr nun große Irritationen und ist der Anlass für eine Reihe absurder Dialoge. Absurd aus Sicht der drei Charaktere, die uns ähnlicher sind als Rachel. Natürlich sind bei Rachel aufgrund ihrer Abweichungen von der Norm bereits verschiedene Krankheiten diagnostiziert worden, die sich ebenso natürlich mit Medikamenten behandeln lassen. Die Kommunikation mit Rachel hat etwas von E-Mail, die Stimme ist monoton, emotionslos.

Während die Geschichten der namentlich genannten Figuren aus der subtil kommentierenden Sicht eines Erzählers vorgetragen werden, liefert Spieler Eins aus der Ich-Perspektive am Ende der ersten vier Stunden jeweils ein Story-Upgrade mit Diskussion, am Ende der fünften Stunde einen Ausblick darauf, was aus der Menschheit werden dürfte. Einmal spricht Spieler Eins über das Kinderspiel „Totstellen“: Herumlaufen, Stoppen, Umfallen, Rufen, als was man wiedergeboren werden will. Auffallend: nie als Mensch. Die brauchen für ihre Emotionen und Dramen immer eine Bühne. Am Ende folgt ein Glossar mit Begriffen zur Zukunft, die nicht direkt im Roman vorkommen.


Fazit

Spieler Eins erzeugt einen großen Erzählbogen, der in verknüpften Bruchstücken vorgetragen wird. Coupland geht der Frage nach, was aus uns Menschen in einer Zukunft, die teils absehbar und nicht schön sein dürfte, werden könnte. Die Erzählung vermittelt ein Gefühl dafür, wie die technologische und die soziale Entwicklung in zwei Geschwindigkeiten die Welt und unsere Wahrnehmung verändern kann. Ein Buch auch über den Zusammenbruch eines Sinnsystems, das über die Gestaltung von Storys dem Leben Bedeutung verleihen will.


Pro und Contra

+ ein Buch für Menschen, die nicht erfahren wollen, wieso Hühnchen nicht wie Ei schmeckt
+ Versagen wird nicht als Chance begriffen, sondern als dem Leben natürlich innewohnend

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5