Andreas Völlinger und Flavia Scuderi (03.12.2013)

Interview mit Andreas Völlinger und Flavia Scuderi

berliner comicmesse 11 13Literatopia: Hallo Flavia, hallo Andreas! Ihr habt Wagners Leben in einer beeindruckenden Graphic Novel zusammengefasst. Warum habt Ihr Euch ausgerechnet für diese historische Persönlichkeit entschieden? Was fasziniert Euch persönlich an Wagner?

Andreas Völlinger: Hallo Victoria und Judith! Zu eurer ersten Frage muss ich vorausschicken, dass wir von der gebrueder beetz filmproduktion, die als Herausgeber fungierte, angesprochen und für dieses Projekt engagiert wurden. Das ursprüngliche Kreativteam war kurzfristig abgesprungen und so kam erst ich und später Flavia als Ersatz an Bord. Wir haben uns Wagner also nicht selbst als Thema ausgesucht und hätten es höchstwahrscheinlich auch nie. Mir war Richard Wagner früher immer sehr fern und ich besaß nur ganz oberflächliches Schulwissen über ihn. Aber mich reizte es sehr, einmal über eine historische Persönlichkeit zu schreiben, ich habe im Comicbereich bisher ja hauptsächlich Genrestoffe verfasst.

Bei näherer Beschäftigung mit ihm stellte sich dann heraus, was für einen widersprüchlichen und vielschichtigen Charakter Wagner besaß und was für ein dramatisches Leben er führte. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass er als Revolutionär versucht hatte, den sächsischen König zu stürzen und danach jahrelang steckbrieflich gesucht wurde. Sein Leben mit all seinen realen Höhen und Tiefen erwies sich also als ein gefundenes Fressen für Erzähler wie uns.

Flavia Scuderi: Genau wie Andreas kannte ich Wagner hauptsächlich aus dem Schulunterricht, mir waren seine berühmtesten Opern bekannt und ich wusste von seinem Antisemitismus. Ich fand es daher sehr spannend, die vielen Aspekte seines Lebens und seiner komplexen Persönlichkeit zu erforschen.

Literatopia: Wie habt Ihr es geschafft, Wagners Leben auf 48 Seiten festzuhalten? Wie schwer war es, zu entscheiden, was Ihr umsetzt und was nicht? Und welche Eigenschaften Wagners waren für die Arbeit und den Inhalt ausschlaggebend?

Andreas Völlinger: Sein Leben auf dieses Format zusammenzuquetschen, erwies sich wirklich als ziemlich harte Nuss, denn die relativ niedrige Seitenzahl schränkte unseren Spielraum doch merklich ein. Es war mühsam abzuwägen, welche Ereignisse in Wagners Leben und Aspekte seiner Person wichtig genug sind, um sie reinzunehmen und welche nicht. Letztendlich waren es dann oft dramaturgische Entscheidungen, denn wir wollten ja nebenbei noch eine lesbare Geschichte erzählen und manches fügte sich da einfach besser ein als anderes.

Ich habe jedenfalls viele Ideen und auch schon geschriebene Seiten laut seufzend wieder streichen müssen. Da wäre zum Beispiel Wagners erster Aufenthalt als junger, erfolgloser Komponist in Frankreich, wohin er wegen erdrückender Schulden geflohen war – und auch die spektakuläre Flucht dorthin, bei der er zusammen mit seiner ersten Frau Minna bei Nacht und Nebel die russische Grenze überquerte und von dort per Schiff durch ein schweres Unwetter zuerst nach London reiste, wo es ihm aber nicht sehr gefiel. Dann seine Wanderungen durch die Schweizer Bergwelt, durch die er viele Inspirationen für den „Ring des Nibelungen“ fand. Der sogenannte „Tannhäuser-Skandal“ in Paris. Die Freundschaft zum jungen Friedrich Nietzsche. Zu Wagners Antisemitismus und seinem verwirrend ambivalenten Verhältnis zu seinen jüdischen Kollegen und Mitarbeitern hätte ich auch gerne noch mehr geschrieben.

Literatopia: Wie  lange hat es gedauert, bis Ihr die Literatur über so einen facettenreichen Künstler gesichtet hat? Was habt Ihr alles für die Recherche verwendet?

W com page 13 col ballAndreas Völlinger: Ich habe aus der Berliner Landesbibliothek einiges zusammengetragen, was ich an Wagner-Biografien, Werkanalysen und relevanten Büchern über seine Mitmenschen und seine Zeit gefunden habe. Es ist unglaublich, wie viel Material allein zu Wagner verfasst wurde. Ich glaube, da kann kein anderer Komponist – nicht einmal Beethoven oder Mozart – mithalten.

Diesen Bücherberg, ergänzt um einige Aufsätze und Artikel aus dem Internet, habe ich dann in circa sechs Wochen, mehr stand wegen der ständig drohenden Deadline nicht zur Verfügung, sehr intensiv durchgeackert. Ich befand mich in dieser Zeit wirklich in einem vorübergehenden Wagnerwahn.

Dazu habe ich für Flavia viele Porträtbilder von ihm und den anderen relevanten Personen aus verschiedenen Jahrzehnten gesammelt und auch historische Darstellungen von den Städten und Gebäuden, in denen er gelebt und gewirkt hat. Das ging dann bis hin zu Kleinigkeiten, wie den ersten Füllfederhaltern, die im Laufe von Wagners Leben die Federkiele ersetzten.

Flavia Scuderi: Andreas’ ausführliche Recherche war fantastisch und er hat mir damit sehr bei meiner Arbeit geholfen. Ich selbst habe auch noch eine Menge in Büchern und im Internet recherchiert, vor allem was die Kleidung, Innenarchitektur und -einrichtung zu Wagners Zeiten anging. Den Stil des Viktorianischen Zeitalters in all seiner Opulenz und Detailverliebtheit habe ich dabei wirklich zugleich lieben und hassen gelernt!

Literatopia: Inwiefern musstet Ihr Kompromisse bei der Darstellung eingehen? Was stand im Vordergrund: historische Korrektheit oder die Geschichte an sich?

Flavia Scuderi: Ab und zu habe ich Andreas’ präzise und um historische Korrektheit bemühte Beschreibungen der Szenen etwas unterwandert und abgeändert, um eine spektakulärere Zeichnung herauszuholen. Ich habe das aber immer mit ihm und unserem Lektor abgesprochen, um keine großen Fehler einzubauen.

Andreas Völlinger: Wir haben versucht, beidem gerecht zu werden. In diesem Fall hatten wir das Glück, dass Wagners Leben wirklich so spannend war, dass ich als Autor gar nicht gezwungen war, es künstlich zu dramatisieren und Ereignisse zu erfinden, wie das oft bei Filmbiografien geschieht, die mehr oder weniger gelungen in ein Hollywood-Erzählschema gepresst werden. Natürlich ist nicht alles im Detail überliefert und so musste ich den einen oder anderen dunklen Flecken in der Geschichte ausfüllen und die einzelnen Szenen und Gespräche sind natürlich dramatische Konstrukte. An anderen Stellen wiederum mussten komplizierte Zusammenhänge etwas vereinfacht werden. Aber ich denke, das Ergebnis ist im Großen und Ganze immer sehr nah am historischen Wagner dran.

Literatopia: Inwieweit spielte die Musik des Komponisten (bei Eurer Arbeit) eine Rolle? Habt Ihr während dem Zeichnen / Schreiben seinen Werken gelauscht? Und könnt Ihr Euch noch an die erste Begegnung mit Wagners Musik erinnern?

Wagner test 01 kleinAndreas Völlinger: Ich habe beim Schreiben und der Recherche sehr viel Wagner gehört. Ich war dabei überrascht, wie viel seiner Musik, vor allem der Ouvertüren seiner Opern, ich bereits kannte. Das liegt wohl daran, dass kaum ein klassischer Komponist derart Einfluss auf Filmmusik hatte, wie er Meine erste Begegnung mit Wagner war mit Sicherheit der „Walkürenritt“, der ja unzählige Male in Hollywoodfilmen und -trailern eingesetzt wurde, am eindrucksvollsten natürlich in „Apocalypse Now“.

Doch nicht nur, dass viele seiner Stücke in Filmen verwendet wurden, auch beziehen sich viele der erfolgreichsten Filmkomponisten auf Wagner und seine Leitmotivtechnik, sei es John Williams mit dem „Star Wars“-Soundtrack oder Howard Shore mit seiner Musik für die „Herr der Ringe“-Trilogie. Vielen Leuten ist auch gar nicht bewusst, dass der so beliebte, weil in unzähligen Hollywoodfilmen verwurstete „Brautchor“, ihr wisst schon: „Ta-ta--ta-taa“, aus Wagners Oper „Lohengrin“ stammt. Neben dem Hochzeitsmarsch von Mendelssohn-Bartholdy ist das wohl die am häufigsten gewünschte Trauungsmusik der westlichen Welt.

Flavia Scuderi: Während ich an den Seiten gearbeitet habe, habe ich ebenfalls viel von Wagners Musik gehört und mir auch online einige Inszenierungen seiner Opern angesehen. Es hat mir wirklich geholfen, um in die passende Stimmung für viele Szenen zu kommen, vor allem jene, in denen wir die Musik bildlich darstellen. In der App-Version des Comics werden die Bilder von Musik untermalt, aber für den gedruckten Comic war es meine Aufgabe, Wege zu finden, um die Musik in Bilder zu übersetzen und die Epik von Wagners Schöpfungen in unbewegte Zeichnungen zu bannen. Ich hoffe, das ist mir überzeugend gelungen. Und genau wie Andreas war ich überrascht, wie viele Stücke ich bereits kannte, ohne sie vorher mit Wagner in Verbindung gebracht zu haben.

Literatopia: Wie sah Eure Arbeitsteilung aus? Habt Ihr strikt nach Zeichnungen und Text getrennt oder ging beides Hand in Hand?

Flavia Scuderi: In dieser Hinsicht war es wirklich eine Freude mit Andreas zusammenzuarbeiten. Er hat ein extrem genaues Script als Grundlage abgeliefert, aber war dennoch völlig offen für Änderungsvorschläge, wodurch ich die Freiheit hatte, mir meine eigenen Bilder im Kopf zu schaffen, und die Dialoge hat er dann später noch meinen Zeichnungen angepasst.

Andreas Völlinger: Das Kompliment kann ich ganz klar zurückgeben! Flavia hat als visuelle Künstlerin mit viel Erzählerfahrung oft ganz eigene Ideen für ein Panel oder das Layout einer kompletten Seite und die sind nicht selten viel interessanter als das, was ich mir als zeichnerisch eher ungeübter Mensch ausdenken kann. Häufig hatte das dann zur Folge, dass ich auch die Dialoge noch einmal ändern musste, damit sie zu den Bildern passen. Es war also  ein ziemlich fließender Prozess.

Literatopia: Die „Wagner“-Graphic-Novel wurde als Teil eines Crossmedia-Events anlässlich des Geburtstags des Komponisten angeboten – könnt Ihr uns mehr darüber erzählen?

Andreas Völlinger: Das Ganze begann als Beitrag für die TV-Dokureihe „Die Kulturakte“, die von der gebrueder beetz filmproduktion entwickelt wurde mit dem Ziel, Persönlichkeiten aus der Kulturgeschichte einem jungen Publikum nahezubringen. Die Filme enthalten sowohl Doku-Elemente als auch Spiel- und Animationsszenen und kommen visuell wirklich ansprechend daher. Im Fall von „Wagnerwahn“, wie der Film in diesem Fall betitelt wurde, gesellte sich die Idee, auch eine Comicbiografie herauszugeben, die zudem als Vorlage für eine interaktive App dienen sollte.

W com page 34 col balWir wollten damit aber nicht einfach den Film nacherzählen, sondern etwas Eigenes schaffen. Während Ralf Pleger, der Autor und Regisseur von „Wagnerwahn“, relativ frei mit Wagner umgeht und ihn in einer Art stilisierten 1950er-Umgebung agieren lässt, was im Film wirklich hervorragend funktioniert, haben wir uns für einen eher klassischen Ansatz entschieden, um Wagner möglichst authentisch in seiner Zeit zu zeigen. Die „Wagnerwahn“-App schließlich enthält neben der Comicbiografie noch einen Soundtrack, einen Sprachmodus, eine interaktive Landkarte, anwählbare Personenporträts, historische Briefe sowie eine schicke visuelle Umsetzung der Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“.

Flavia Scuderi: Dass die Comicseiten auch in der App zum Einsatz kommen sollten, hieß für mich, auf meinem Zeichentablet mit vielen verschiedenen Grafikebenen zu arbeiten, um die Figuren und andere Elemente vom Hintergrund trennen zu können. So konnten dann später animierte Elemente eingefügt werden. Es war eine Menge Arbeit, aber angesichts des Ergebnisses hat sie sich gelohnt.

Ich habe außerdem alle Illustrationen für die Animations-Sequenzen im „Wagerwahn“-Film beigesteuert. Dafür  habe ich in Zusammenarbeit mit Ralf Pleger und der Animatorin Ina Findeisen Storyboards der animierten Szenen erstellt und dann ausgetüftelt, wie viele verschiedene Ebenen wir brauchen, um eine einfache, aber wirkungsvolle Animation meiner Zeichnungen zu bekommen. Ebenfalls eine Menge Arbeit, die zu einem sehenswerten Ergebnis geführt hat.

Literatopia: Wagners Leben war gezeichnet von Armut und Reichtum, Höhen und Tiefen, darunter auch der Vorwurf des Antisemitismus. Glaubt Ihr, dass dieser Vorwurf gerechtfertigt war beziehungsweise noch ist?

Andreas Völlinger: Wagner war ohne jede Frage ein Antisemit. Er hat wirklich widerliche Schriften über Juden und die jüdische Kultur verfasst. Wie tief sein Antisemitismus ging und wie man ihn heute einordnen muss, darüber streiten Historiker und Biografen jedoch seit Jahren. Es gibt unzählige Bücher und Artikel über Wagners Verhältnis zum Judentum, die sich teils heftig widersprechen. Interessanter Fakt ist, dass er trotz aller judenfeindlichen Äußerungen eine Reihe jüdischer Freunde und geschätzter Mitarbeiter hatte. Er war in dieser Hinsicht so  widersprüchlich, wie in vielem anderen auch. Das Thema ist auf jeden Fall derart komplex, dass es wohl eines kompletten Interviews bedürfte, um ihm einigermaßen gerecht zu werden.

Literatopia: Wenn Ihr die Chance gehabt hättet, Richard Wagner persönlich zu treffen, was  würdet Ihr ihn fragen?

Flavia Scuderi: Ich würde ihn gerne zum Essen einladen, um herauszufinden, warum er so eine Anziehungs- und Überzeugungskraft auf viele Menschen ausübte. Er muss ein ziemlicher Charmeur gewesen sein.

Andreas Völlinger: Ich würde ihn fragen, welche von den zahlreichen Überzeugungen, die er im Laufe seines Lebens vertrat, ihm eigentlich wirklich ernst waren. Aber wahrscheinlich hätte er mich mit einer blumigen und wortreichen Erklärung einfach um den Finger gewickelt. Das war wirklich eine seiner Stärken.

Literatopia: Andreas, Du arbeitest ja auch an „RIA – Die Lichtklan-Chroniken“ mit. Was hast Du als Scriptautor dabei alles zu tun?  Und kannst Du uns vielleicht einen kleinen Ausblick auf den dritten Band geben?

Andreas Völlinger: Zu Thorsten Kieckers RIA-Serie kam ich ursprünglich dazu, als es galt, den ersten Band für die erweiterte Neuveröffentlichung beim Splitter Verlag zu überarbeiten. Ich habe dafür mit Thorsten und Fabian Schlaga die Hintergrundgeschichte der Serie, die ihnen nicht mehr so richtig gefiel, neu aufgerollt und umgestaltet.

Für Band 2 habe ich dann nach Thorstens Story-Vorgaben ein Script verfasst. Der dritte Band ist gerade in der Mache und für eine Veröffentlichung 2014 geplant. Hier ist die Vorgehensweise etwas anders: Thorsten und sein Künstlerteam setzen die Geschichte in grober Outline-Form zeichnerisch um und ich werde erst später die Dialoge beisteuern. Ich bin momentan also nicht so ganz auf dem Laufenden, kann aber verraten, dass die Entwürfe, die ich bisher gesehen habe, echte Hingucker sind.

Literatopia: Du bist im Comicbereich auch als Journalist tätig. Betrachtest Du dadurch Deine eigenen Produktionen kritischer?

Andreas Völlinger: Ich würde behaupten, dass der innere Kritiker dadurch bei mir besonders stark ausgeprägt und meinungsfreudig ist. Das ist beim Schreiben eher ein Nachteil, denn ständige Selbstkritik kann ganz schön einschränken und blockieren. Da gilt es also, den Kritiker in die Zwangspause zu schicken und dem Erzähler das Feld zu überlassen. Im Nachhinein hilft es mir aber vielleicht, die Schwächen meiner Geschichten auszumachen oder auch die Kritik anderer besser zu akzeptieren.

Wenn ich selbst Rezensionen schreibe, erkenne ich umgekehrt in den Werken anderer Comicmacher oft deren Arbeit, Mühe und guten Ansätze und beginne, mit ihnen zu sympathisieren. Ich habe die Befürchtung, das macht mich als Rezensent manchmal etwas zu nachsichtig. Man kann wohl kein guter Kritiker für ein Medium sein, wenn man gleichzeitig selbst für dieses Medium schafft. Die angesehensten, knallharten Vollblutkritiker halten immer einen gewissen Abstand zum Gegenstand ihrer Kritik. Ich schreibe aus Zeitgründen aber mittlerweile eh nur noch selten Rezensionen.

Literatopia: Auf Deiner Homepage steht, Du arbeitest auch an einer Animationsserie – kannst Du uns mehr darüber verraten?

Andreas Völlinger: So richtig viel kann und will ich da gerade nicht verraten, weil die Sache einfach noch weit davon entfernt ist, spruchreif zu sein. Nur soviel: Es handelt sich dabei um ein Projekt, an dem ich mit Armin Prediger arbeite, der als Autor bei vielen Animationsserien wie „Schule der kleinen Vampire“ und „Simsalagrimm“ die Finger im Spiel hatte. Eine humorvolle Serie um Helden und Schurken für Kinder ab 8 Jahren. Wir sind deswegen gerade mit ein paar TV-Redakteuren und Produktionsfirmen in Kontakt, aber ob etwas daraus wird, ist noch schwer zu sagen.

Literatopia: Flavia, Du hast mit Andreas bereits auf der Berliner Comicmesse signiert. Wie hat es Dir in Deutschland gefallen? Und wie kommt die „Wagner“-Graphic-Novel bei den Lesern an?

Flavia Scuderi: Ich lebe bereits seit 2006 in Berlin und liebe es! Berlin ist eine der inspirierendsten und freundlichsten Städte, die ich kenne. Die deutsche Comicszene mag ich sehr gerne. Sie ist im Vergleich zur italienischen zwar eher klein, aber sie wächst definitiv, ist sehr lebendig und voller wunderbarer Menschen aus der ganzen Welt. Zum Wagner-Comic habe ich bisher nur positives Feedback bekommen und eine Menge begeisterte Kommentare. Auf Facebook und in der Künstler-Community Deviantart habe ich viele nette Nachrichten erhalten, manche von Comiclesern, die sich durch diese Biografie zum ersten Mal Wagner genähert haben, andere von Wagner-Interessierten, die positiv von unserem Comic überrascht waren. Bisher bin ich sehr zufrieden.

Literatopia: Welche Künstler haben Deinen Stil beeinflusst? Hast Du vielleicht Vorbilder?

W com page 25 col balFlavia Scuderi: Das ist eine schwierige Frage für mich. Es gibt eine Menge Künstler, die mich inspiriert haben, aber ich habe immer versucht, keinen von ihnen zu kopieren. Und dann habe ich viele Jahre für Disney gearbeitet und dort muss man eine ganze Reihe verschiedener Stile beherrschen, die ich mir alle aneignet habe. Und jetzt muss ich wiederum aufpassen, dass sie nicht zu stark in meiner Arbeit durchscheinen. „Wagner“ war eine ziemliche künstlerische Herausforderung, für die ich mich neu erfinden musste, um einen realistischeren, mehr erwachsenen Stil hinzubekommen.

Ich sage einfach mal, dass ich künstlerisch von vielen unterschiedlichen Comiczeichnern, Illustratoren, Character-Designern, Malern, Bildhauern und auch Filmregisseuren beeinflusst wurde. Wenn ich jetzt Namen aufzähle, würde ich wahrscheinlich einige wichtige vergessen, daher lasse ich es lieber.

Literatopia: Seit wann zeichnest Du eigentlich? Und hat sich Dein Stil seit der ersten Zeichnung sehr verändert? Oder haben sich schon früh typische Merkmale für Deinen Stil herauskristallisiert?   

Flavia Scuderi: Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich mich durch Zeichnungen ausgedrückt und mit ihnen erzählt. Ich habe schon in meiner Kindheit und Jugend eine Menge an Geschichten geschrieben und illustriert. Meinen ersten Comic habe ich produziert als ich elf Jahre alt war. Es war immer das, was ich in meinem Leben machen wollte, und ich war dickköpfig genug, um es Realität werden zu lassen.

Den ersten großen Einfluss auf meinen Zeichenstil hatten japanische Animationsserien und die wenigen Manga, die ich in die Finger bekam, damals war das eine weitgehend unbekannte Welt. Ich war aber auch ein großer Fan der Disney-Zeichentrickfilme. Meine ältere Schwester las viele Comics aus Argentinien und ich klaute sie ihr, so oft es ging. Dann entdeckte ich „Dylan Dog“ und andere italienische Comics und Zeichner. Und als ich mich immer mehr in dieses Medium verliebte, lernte ich auch viele amerikanische und französische Comics kennen. Das ist wohl auch ein Grund, warum ich meinen Stil so oft geändert habe. Ich kann gar nicht genau sagen, was eigentlich „mein Stil“ ist, weil ich ihn immer gerne an die Geschichte und das Publikum anpasse.

Literatopia: Was lest Ihr persönlich gerne? Überwiegend Comics und Graphic Novels? Oder dürfen es gerne auch dicke Romane sein?

Flavia Scuderi: Oh ja, beides! Ich liebe es, zu lesen und neben meinem Bett liegt ein ständig wachsender Berg von Comics und Büchern. Manchmal bin ich leider einfach zu beschäftigt oder müde, um soviel zu lesen, wie ich möchte. Im Moment liegen dort die „Calvin & Hobbes“-Gesamtausgabe (Watterson), „Una storia“ (Gipi), „Un lavoro vero“ (Madrigal), „Dylan Dog: Mater Morbi“ (Recchioni & Carnevale), "Dodici " (Zerocalcare) sowie die Romane "Moby Dick" (Melville), "Alice in Wonderland" (Carroll), "The Yellow Admiral" (O'Brian) und "Kafka on the shore" (Murakami).

Andreas Völlinger: Ich lese natürlich viele Comics, aber kämpfe mit dem Phänomen einer nie schrumpfenden Leseliste voller vermutlich großartiger Comicperlen, die mir Kolleginnen und Kollegen in schöner Regelmäßigkeit ans Herz legen. Vor allem in Sachen Manga muss ich noch einiges nachholen. Gerade fertig bin ich mit „Roxanne & George“ von Carolin Walch, womit ich viel Spaß hatte, dem wunderbaren „Hilda und der Mitternachtsriese“ von Luke Pearson und dem sechsten Sammelband der süchtig machenden Serie „Y – The Last Man“. Wenn ich mehr Zeit und Muße habe, darf es aber auch gerne ein dickes Buch sein. Zuletzt habe ich „Drop City“ von T.C. Boyle geschmökert, mein erster Boyle-Roman, und mich in seinen Erzählstil und lakonischen Humor verliebt. Jetzt will ich unbedingt mehr von dem Mann lesen!

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Euch erwarten? Wird es weitere gemeinsame Projekte geben? Oder widmet sich jeder erst einmal wieder seinen eigenen Werken?

Flavia Scuderi: Wir haben gerade einen gemeinsamen vierseitigen Comic für einen Wettbewerb des Goethe-Instituts eingereicht. Und wir schmieden bereits Pläne für die Comicbiografie einer weiteren, sehr ikonischen deutschen Persönlichkeit. Im Moment will ich dazu noch nicht mehr verraten, aber ich bin sicher, ihr werdet in Zukunft noch weitere gemeinsame Projekte von uns beiden lesen können!

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

 Wagnerwahn TV characters

Entwurf im 50er-Jahre-Look für den TV-Film "Wagnerwahn"

von links nach rechts: Hans von Bülow, Cosima Wagner, Richard Wagner, Ludwig II.


Autorenfoto und "Wagner"-Bildmaterial: Copyright by Andreas Völlinger und Flavia Scuderi

Homepage von Andreas Völlinger: andreas-voellinger.de

Flavia Scuderi auf DevianArt: skudo.deviantart.com

Rezension zu "Wagner"


Dieses Interview wurde von Victoria Thill und Judith Gor für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.