Eddies Gespenster (Barbara Büchner)



Dachs Verlag, Wien 2004
157 Seiten, gebunden
ISBN 3-85191-327-2
(Jugendbuch)



Niemals losgelassen

„Guten Morgen, Fräulein Muff.“ Eddies Vater setzte sich an den Frühstückstisch in der Autobahnraststätte und angelte nach der Kaffeekanne. Seinem zerknitterten Gesicht war anzusehen, dass er schlecht geschlafen hatte, und entsprechend schlecht war seine Laune. „Was hältst du eigentlich davon, wenigstens beim Frühstück ein freundliches Gesicht zu machen, wenn du schon sonst dreinsiehst wie sieben Tage Regenwetter?“
Eddie spürte, wie sich die Muskeln in ihren Wangen verkrampften. Die Cornflakes in ihrem Mund schienen auf die doppelte Menge aufzuquellen. Sie schluckte mühsam.

- aus dem Beginn des Buches

Denn viel zu oft hat sich Edith, genannt Eddie, diese Nörgelei von ihren Eltern schon anhören müssen, viel zu oft gesagt bekommen, dass sie doch nichts als ein unfähiger, fetter Trampel sei. Doch auch wenn sie es noch nicht weiß: Ab diesem Tag wird sich alles ändern – durch einen Autounfall, den nur sie überleben wird.
Das neue Leben wirbelt viel zu schnell, Eddie fühlt sich innerlich seltsam taub; wo Trauer um Vater und Mutter sein sollte, ist nur eine Art grimmige Erleichterung. Und Angst. Denn immer wieder begegnen ihr unheimliche Gestalten, die sie beschimpfen, sie zu ihren Eltern rufen, zum Selbstmord überreden wollen. Ist sie kurz davor, verrückt zu werden? Oder wird sie tatsächlich von Geistern verfolgt? Eddie verschließt sich immer mehr, zeigt sich abweisend und unnahbar. Auch den Verwandten, die sie bei sich aufgenommen haben, gelingt es nicht, sie da herauszulocken.
Dann taucht Nita auf, das seltsame Mädchen, das sich in den Kopf gesetzt hat, zu ihr durchzudringen ...

Stachelschwein und Kuscheligel

Eddie zählt mit Sicherheit zu den stärksten Charakteren in Barbara Büchners Jugendromanen. Beeindruckend authentisch und eigenwillig lässt sie sich nicht glattbürsten – vielleicht ist sie in ihrem Misstrauen und ihrer Ruppigkeit anfangs auch keine einfache Identifikationsfigur, aber gerade das macht es so interessant, in ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle einzutauchen. Und eigentlich ist auch dieses „Stachelschwein“ ein „Kuscheligel“, wie man Nita zustimmen muss.
Im Grunde verwundert auch keiner ihrer Wesenszüge, vielleicht höchstens das Kindliche, das manchmal noch zum Vorschein kommt und daran erinnert, dass Eddie doch tatsächlich noch eine Jugendliche ist, die innerlich viel zu schnell altern musste. Wieder einmal hat Büchner bewiesen, dass sie keine Scheu vor schwierigen Themen hat und diese darzustellen vermag – auf die ihr eigene Art, die für Wiedererkennungswert sorgt.

Bewältigung der eigenen Art

Ebenfalls charakteristisch für Büchner ist es, dass Eddie die Erlebnisse nicht „einfach so“ verarbeitet. Die Methoden sind nicht unbedingt konventionell und immer wieder verwischen die Grenzen zum Übernatürlichen – oder ist alles doch nur Illusion? Wer sich eine klare Antwort erhofft, wird hier enttäuscht werden, denn dieses Buch will und muss gar keine geben. Viel eher stehen die innermenschlichen Vorgänge im Vordergrund, die in all den Erscheinungen vielleicht nur ihre Projektion nach außen erfahren und so deutlicher erkennbar werden. Selbst meine große Esoterik-Skepsis hat mich vielleicht ab und an die Stirn runzeln lassen, aber nicht vom Lesen abhalten können.
Schade ist, dass die Geschichte, die trotz des geringen Platzes nicht zu schnell erzählt wirkt, gegen Ende doch ein wenig die Konturen verliert – Nita, die doch so eine wichtige Rolle gespielt hat, verblasst und wird zur Randfigur, ganz generell liegt der Fokus zu sehr auf einer raschen Darstellung der Veränderungen in Eddies Beziehung zu den Menschen um sie herum. Ein paar Seiten und ein wenig Zeit mehr hätten hier nicht geschadet, um auch den anderen Figuren die verdiente Tiefe zukommen zu lassen.

Fazit

Bei der Recherche im Internet stößt man auch auf Seiten, auf denen „Eddies Gespenster“ als Unterrichtsmaterial aufbereitet wurde – verständlich, denn dieses Buch vermittelt teils offensichtlich, teils unterschwelliger viel Wertvolles über zwischenmenschliche Beziehungen, Vorgänge, Verletzlichkeiten, über Nähe, Distanz und Verständnis, ohne dabei langweilig oder abgedroschen zu werden. Auf knapp 157 Seiten gelingt es Büchner, eine spannende und berührende Geschichte zu erzählen, bei der manches vielleicht ein wenig zu kurz kommt, die aber vor allem durch die Hauptfigur zu überzeugen vermag.
Vom kindlich anmutenden Titel nicht abschrecken lassen: Nicht nur für Jugendliche lesenswert!


Pro und Contra:

+ Sehr starke, eindrückliche Protagonistin
+ Hohe Dichte zwischen- und innermenschlicher Themen, ohne überladen zu wirken
+ Kurzweilig, interessant und berührend

o Zeitweise Verwischungen zwischen Realität, Wahnvorstellungen und Geistererscheinungen

- Zu wenig Platz für die Beziehung zwischen Eddie und Nita
- Generell ein bisschen zu schnelle Abhandlung der Beziehungen am Ende

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Hauptcharakter: 5/5
Nebencharaktere: 2,5/5
Lesespaß: 4/5


Anmerkung: Preis / Leistung wird hier nicht berücksichtig, da der Roman im Moment vergriffen ist. Wann eine Neuauflage erscheint, wissen wir noch nicht. Das Buch kann man jedoch gebraucht oder auch mit Glück als Restposten erwerben.