Sieben Verlag (September 2013)
Taschenbuch, 244 Seiten, 14,90 EUR
ISBN: 978-3864432170
Genre: Steamfantasy
Klappentext
Eine zauberhafte Liebesgeschichte, ein Kriminalfall und ein charmanter Zyniker.
London, die Hauptstadt der Neuen Zeit: Nach dem Jahrzehnte andauernden Krieg gegen ein alles verzehrendes Europa erhebt sich die Stadt wie ein erschöpfter Phoenix aus ihrer Asche und reckt sich neuem Leben entgegen. Als Ceras beste Freundin entführt wird, ist der Buchhändler und verhinderte Abenteurer Valender Beazeley ihre einzige Hilfe. Cera ahnt bald, dass Valender, Sohn eines Konservativisten, ein magisches Geheimnis verbirgt. Wie sonst ließe sich das Knistern im Äther erklären, das sie in seiner Nähe immer wieder überkommt? Im Zuge ihrer gemeinsamen Ermittlungen verliebt sie sich in ihn. Doch wie kann Valender ihre Gefühle erwidern, ist sie doch kein Mensch, so wie er?
Rezension
Eigentlich ist Valender Soldat der Royal Army, doch seit die Menschen durch Maschinen ersetzt wurden, arbeitet Valender in der konservativistischen Buchhandlung seines Vaters. Immerhin hat dieser ihm seine Ausbildung finanziert. Eines Tages, als Valender in einem düsteren Viertel Londons Bücher von magisch begabten Schriftstellern kauft, wird er Zeuge, wie eine junge Dame verfolgt wird. Kurzentschlossen eilt Valender ihr zu Hilfe – und wird von dem undankbaren Biest niedergeschlagen! Kurz darauf taucht die Dame, die sich als Cera vorstellt, in der Buchhandlung auf und bittet förmlich um Entschuldigung. Zudem vertraut sie Valender an, dass ihre beste Freundin entführt wurde und sie daher dringend seine Hilfe braucht. Zur Polizei kann sie nicht gehen, denn die behandelt den Fall als schnöden Diebstahl. Denn ihre Freundin ist eine Puppe – genauso wie Cera …
Zunächst ist Valender abgeneigt, einer Puppe zu helfen. Er teilt zwar die konservativistische Einstellung seines Vaters nicht, doch er fürchtet um sein Ansehen, sollte er mit der Puppe zusammen gesehen werden. Doch Valender muss bald einsehen, dass Cera eine ganz besondere Puppe ist – und obendrein eine unheimlich liebenswerte Person. Sie tanzt im Theater der Keymans, die zwar ihren Schlüssel verwalten, sich aber ungewöhnlich großzügig zeigen. Cera wird täglich aufgezogen und darf sich ihre Zeit abseits der Vorstellungen frei einteilen. Somit stören sich ihre Besitzer auch nicht daran, dass sie einen Privatdetektiv – Valender – engagiert, um ihre Freundin wiederzufinden. Valender spielt den Ermittler so überzeugend, dass die Keymans keinen Verdacht schöpfen. Schließlich hat er zahlreiche Krimis gelesen und irgendwann ist er von seinen Qualitäten als Detektiv selbst überzeugt. Dennoch kommen sie dem Rätsel um das Verschwinden der Keyman-Puppe nur quälend langsam näher.
Cera und Valender erhalten unverhofft Unterstützung von dem Maler Nathaniel Charles. Im Gegensatz zum ruhigen und verantwortungsbewussten Valender ist Nathaniel ein exzentrischer Egoist, der mit seinen Katzen, die allesamt Mrs Charles heißen, zusammenlebt. Er malt seine Kundinnen so, wie sie wirklich sind, aber sich nicht sehen wollen. Ab und an stilisiert er den einen oder anderen Schönheitsfehler auch. Die meisten verlassen wutentbrannt sein Atelier, doch seine Skandalträchtigkeit sorgt dafür, dass der Strom an Frauen, die von ihm gemalt werden wollen, nicht abreißt. Dass Nathaniel die Konkurrentin der Keymans unterstützt, macht die ganze Situation noch heikler – doch gerade diese Konstellation sorgt für amüsante Momente und trägt zum Fortschritt der Ermittlungen bei.
Besonders schön lesen sich die Szenen mit Valenders Schwester Melissa, die geistig behindert ist. Seit einem tragischen Unfall befindet sie augenscheinlich auf dem Niveau eines Kleinkindes, doch das Mädchen bekommt oftmals mehr mit, als man denkt. Valender schreibt ihr ab und an Briefe, in denen er offen über seine Gedanken und Gefühle spricht. Allerdings kommt nur der Leser in den Genuss, sie zu lesen. Valender kümmert sich liebevoll um seine kleine Schwester und ist zutiefst beeindruckt, als er ihr Cera vorstellt. Die Puppe geht ganz natürlich auf Melissa zu und scheint sie zu verstehen. Doch Valender ist zu diesem Zeitpunkt noch weit davon entfernt, sich seine Gefühle einzugestehen. Die Liebesgeschichte zwischen ihm und Cera wird von beiderseitiger Zurückhaltung verkompliziert. Zudem fürchtet Valender die Kritik und Ablehnung der Gesellschaft und insbesondere seines Vaters, der alles Magische – und damit auch die Puppen – verdammt.
„Schlüsselherz“ spielt in einer alternativen Zeitlinie im Jahr 2012. Lange Kriege haben Europa erschüttert und die Welt hat sich gänzlich anders entwickelt: Die Straßen werden von Gaslicht erhellt, die Gebäude von Kohlestaub verdunkelt und mechanische Puppen tanzen zur Unterhaltung der höheren Gesellschaft. Eigentlich hat die Autorin eine spannende und stimmungsvolle Welt kreiert, allerdings stören die realen Elemente darin. So lebte beispielsweise Prinzessin Diana und starb bei einem Unfall mit ihrem Geliebten. Auch die Boygroup Take That wird erwähnt, die noch weniger ins Bild passt – ungeachtet dessen, dass es unglaubwürdig ist, dass in einer alternativen Zeitlinie die gleichen Personen wie in unserer Gegenwart leben und dazu noch dasselbe tun. „Schlüsselherz“ erzeugt zwar kräftig Steampunkatmosphäre – man stellt sich ein viktorianisches London mit bizarren Maschinen vor – aber die modernen Elemente werden als störende Anachronismen empfunden und die Welt bekommt dadurch unschöne Risse. Es passt einfach nicht alles richtig zusammen.
Hinter dem Pseudonym Liv Abigail verbirgt sich niemand geringeres als Jennifer Benkau, die mit „Schlüsselherz“ einmal etwas ganz anderes geschrieben hat. Allerdings scheint ihr das Thema Steampunk nicht richtig zu liegen, denn der Roman liest sich teilweise zäh. Vor allem dann, wenn die Welt oder deren Technologie beschrieben wird. Die Puppen und ihre Mechanik sind faszinierend und fügen sich hervorragend in den Weltentwurf ein, doch daneben gibt es allerhand Erfindungen, hinter denen zwar interessante Ideen stecken, die aber schlicht schwer vorstellbar sind oder physikalisch fragwürdig erscheinen. Die Dialoge hingehen sprühen geradezu vor Charme und Witz und so ist das Lesen ein Auf und Ab aus Begeisterung und unliebsamen Längen. Die Sprache des Romans und die Atmosphäre des viktorianischen Londons ergänzen sich perfekt, umso bedauerlicher ist es, dass immer wieder Unstimmigkeiten auftreten. Wer „Schlüsselherz“ jedoch schlicht als romantische Steamfantasy mit einem ungeheuerlichen Kriminalfall betrachtet, wird dennoch seine Freude an dem Roman haben.
Fazit
„Schlüsselherz“ ist ein Detektivroman inklusive komplizierter Liebesgeschichte, die mit einer gehörigen Prise Magie verfeinert wurde. Im Weltentwurf gibt es leider ein paar Unstimmigkeiten und so manch zähe Stelle stört den Lesefluss. Doch wer einfach nur eine romantische Geschichte mit Steampunkatmosphäre lesen möchte, kann sich über knackige und amüsante Dialoge sowie liebenswerte und außergewöhnliche Charaktere freuen.
Pro & Contra
+ liebenswerte Protagonisten
+ Atmosphäre eines viktorianischen Londons
+ komplexe Mechanik der Puppen
+ vor Charme und Witz sprühende Dialoge
+ Überraschungen im Storyverlauf
- störende Anachronismen
- liest sich phasenweise zäh
- Ende wird unnötig hinausgezögert
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5