Die Stern-Bande (Luca Enoch, Claudio Stassi)

Verlag: Panini (19. Mai 2014)
Gebundene Ausgabe: 120 Seiten; 19,99 €
ISBN-13: 978-3862019533

Genre: Historik


Klappentext

In seiner jungen Geschichte hat der israelische Staat schon viele unruhige Zeiten erlebt. Der Dauerkonflikt mit Palästina ist heute jedermann bekannt, doch was geschah in dieser Region eigentlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Welche Ereignisse prägten die Entstehung des Staates und führten im Verlauf der Jahre zu der heutigen Problematik?

Damals war nicht in erster Linie das palästinensische Volk der Feind des Zionismus, sondern das britische Königreich. Nach dem Ersten Weltkrieg bekam er ein Mandat über die Region zugesprochen und verwaltete die Besiedelung der Gebiete. Im Zuge dessen begann gegen Ende der 1930er-Jahre eine Beschränkung der Zuwanderung der Juden, die bereit waren, sich dauerhaft im Gelobten Land niederzulassen. In diesem Kontext steht die Geburtsstunde der Lechi, einer terroristischen Untergrundorganisation, die auch unter dem Namen Stern Gang (auf Deutsch: Stern-Bande) bekannt wurde.

In ihrer herausragenden Graphic Novel über eine der am stärksten gebeutelten Konfliktzonen der Erde, bringen Luca Enoch und Claudio Stassi Licht in eine dunkle Episode der jüngeren Geschichte, die wohl nicht ohne Grund in Vergessenheit geraten ist


Rezension

Das Heilige Land hat eine Vergangenheit voller Gewalt und Tod. Seit Jahrhunderten steht es im Zentrum bewaffneter Konflikte. Egal ob mit Schwertern oder Gewehren, zur Ruhe ist es nie gekommen. Römer, Kreuzritter, Araber, sie alle haben versucht Jerusalem und Israel für sich einzunehmen und zu beherrschen. In Folge dessen wurde seine Bevölkerung vertrieben. Mitte des 20. Jahrhunderts, Palästina, war längst aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit verschwunden und stand unter dem Mandat der Briten, erreichte die zionistische Bewegung ihren Höhepunkt und der Staat Israel wurde gegründet. Allerdings verlief auch dies nicht ohne bewaffnete Konflikte. Mehrere Untergrundorganisationen hatten sich im heutigen Israel schon in den 30er Jahren gebildet und diese gingen durchaus mit Waffengewalt vor, um ihren Traum eines israelischen Staates zu verwirklichen. Dabei wurde auch nicht vor Attentaten auf die Zivilbevölkerung zurückgeschreckt. Eine dieser Gruppen war die Lechi, auch Stern-Bande genannt. Unter ihrem charismatischen Anführer Avraham Stern, dessen Deckname Yair auf die Sikarier verweist, richteten sie sich in den Anfangsjahren gegen Briten und alle anderen Feinde, die sie für sich ausmachen konnte. Auch Juden wurden getötet, wenn sie als Feinde des Volkes Israel galten, z.B. wenn sie mit den Briten zusammenarbeiteten. Yair wurde dann zwar gefasst und getötet, aber die Lechi überlebte und begann noch verhärteter in ihrem Denken weitere Attentate zu verüben. Zwei Ereignisse stechen dabei hervor. Einmal das auf den UN-Vermittler Bernadotte und einmal die nahezu komplette Auslöschung des arabischen Dorfes Deir Yassin. Beides vollkommen sinnlose und grausame Aktionen. Die Lechi konnte zwar nie wirklich politischen Einfluss ausüben, aber den Terror, den sie verbreitete, war einer der Schlimmsten.

Bücher über die Zeit der Gründung Israels und den damit zusammenhängenden Ereignissen gibt es nicht viele. Zumindest sind nicht viele im Bewusstsein der Menschen verankert. Wie Luca Enoch in seinem Nachwort schreibt, gibt es „Lücken“ in der Geschichte, an die man nicht gerne erinnert wird. Die Geschichte der Lechi gehört mit Sicherheit dazu.
Was diese kleine Gruppe von Terroristen getan hat, widerspricht eigentlich allem, was unter Menschlichkeit verstanden werden kann. Ihr Vorgehen war gnadenlos und beim Lesen der Graphic Novel erwischt sich der Leser mehr als einmal kopfschüttelnd, ob der Naivität der Protagonisten. Das Avraham Stern, ein Jude, mit den Nazis ein Bündnis gegen die Briten schließen wollte, erscheint unglaublich, ergibt aber in dem verqueren Denken dieser Menschen Sinn. Und auch die weiteren Ereignisse sprechen nicht gerade für die Lechi. Umso verwunderlicher ist es, dass aus ihren Reihen ein israelischer Ministerpräsident hervorging. Man stelle sich das einmal vor: Ein ehemaliger RAF-Terrorist wird in Deutschland Bundeskanzler.
Luca Enoch beschreibt in Die Stern-Bande die Ereignisse im Zusammenhang mit der Lechi, wertet aber nicht. Dabei stützt er sich auf vorhandene Quellen, wie die Autobiographie eines der Mitglieder. Gespräche und Taten sind somit größtenteils verbürgt, was diese Graphic Novel nur umso erschreckender macht. Er folgt dabei Yehoshua Cohen aus dessen Sicht das Geschehen beschrieben wird und der sehr aktiv in der Lechi war. An ihm kann der Leser erkennen, wie sehr ein Mensch in den falschen Denkstrukturen verhaftet sein kann, so dass er selbst gegen sein eigenes Gewissen handelt.
Wichtig ist zu erwähnen, dass hier weder die Rolle der Täter noch der Opfer in der Graphic Novel verteilt wird, es geht einfach nur um eine Gruppe von Menschen, die in den engen Grenzen ihres beschränkten Gedankengutes handelt und dabei nahezu jede Menschlichkeit vermissen lässt. Sie handeln nicht nach der Vernunft, sondern geben ihren Rachegefühlen und ihrer Großmannssucht nach. Ein Fehler der schon zu häufig gemacht wurde. Dies stellt Luca Enoch unmissverständlich dar und damit wird die Graphic Novel zu einem wichtigen Buch, zur Aufarbeitung der Geschehnisse.

Claudio Stassi illustriert die Ereignisse mit groben Strich und passt sich so dem Inhalt an. Feingeistig ist hier nichts, keine besondere Verzierungen, keine großartigen Gemälde, aber gerade dadurch wird das Lesen von Die Stern-Bande nur intensiver. Man fühlt sich direkt in der Zeit zurückversetzt und kann den Dreck, den Staub und die Gewalt nahezu spüren.

Am Anfang der Graphic Novel befindet sich ein Überblick über die Führungsriege der Lechi und des Kommandos, das Bernadotte ermordete. Dazu gibt es noch ein interessantes Nachwort des Autors und eine Übersicht über weitere Geschehnisse, unter anderem wird erwähnt, dass die Mörder Bernadottes sich später in einem TV-Interview präsentieren durften und haargenau über ihr Vorgehen berichteten.
Einzig das Cover ist zu bemängeln, denn es suggerierte eine tumbe Actionorgie, die diese Graphic Novel garantiert nicht ist.


Fazit

Die Stern-Bande ist ein erschreckendes, wichtiges Buch über eine chaotische Zeit, das aufzeigt, dass nicht immer alles schwarz-weiß ist. Wer sich nur ein bisschen für den Konflikt in Israel interessiert, sollte diese Graphic Novel unbedingt lesen. Der Leser erhält einen spannenden Einblick in eine der „Lücken“ der Geschichte.


Pro & Contra

+ wichtiger Blick zurück
+ Darstellung vergessener Ereignisse

- schlecht gewähltes Cover

Bewertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 4/5
Zeichnungen: 4,5/5
Preis/Leistung: 5/5