Christian Damerow (02.09.2014)

Interview mit Christian Damerow

chris dam2014Literatopia: Hallo, Christian! Schön, wieder mit Dir zu sprechen. Kürzlich ist Dein Roman „Des Schrecklichen Anfang“ erschienen. Kannst Du für uns grob umreißen, worum es geht?

Christian Damerow: Hallo Judith, es freut auch mich auf Literatopia wieder vertreten zu sein. Mein neuer Roman "Des Schrecklichen Anfang" stellt die drastische Frage: Was passiert, wenn Gott stirbt? Die Engel sehen sich mit dem nahenden Tod des Schöpfers konfrontiert. Was wird aus ihnen und der Schöpfung? Ein Erbschaftsstreit auf kosmischer Ebene entbrennt, Allianzen und Fronten bilden sich und der Angriff eines übermächtigen Feindes droht Gottes größtes Geheimnis zu enthüllen.

Literatopia: „Des Schrecklichen Anfang“ verwendet verschiedenste religiöse Motive. Stammen diese hauptsächlich aus der christlichen Mythologie oder auch aus der jüdischen / arabischen?  

Christian Damerow: Die Grundzüge der von mir entwickelten Mythologie sind teilweise der gnostischen Lehre entnommen. Es handelt sich hierbei um frühchristliche Texte aus dem 1. und 2. Jahrhundert.

Zum Beispiel beschäftigte ich mich insbesondere mit den 1945 in Ägypten wiederentdeckten frühchristlichen Texten, die man nach ihrem Fundort "Nag-Hammadi Texte" nennt. Zudem verwendete ich kabbalistische und hermetische Lehren. Das "Corpus Hermeticum" ist nur eines darunter. Ich legte großen Wert darauf, authentische Namen und Motive heranzuziehen und diese angemessen zu verwenden. Zudem übten viele religionskritische Denker Einfluss auf die Entstehung des Buches: Nietzsche, Camus und  Dostojewski sind drei davon.

Literatopia: Woher stammen die Namen der Engel, die in Deinem Roman die Söhne „Gottes“ sind?

Christian Damerow: Abgesehen von den Protagonisten Ara und Abba, basieren die Namen auf verschiedenen Engels- und Gottesnamen aus gnostischen Texten. Tatsächlich wählte ich bis hin zu den Nebenfiguren jeden Namen mit einem klaren Bezug zur Mythologie und Religion.

Literatopia: Wie sieht es im Himmel, in deinem Buch Elysea genannt, aus? Wie ist diese Welt aufgebaut?

Christian Damerow: Elysea besteht aus sieben Himmeln, die von den Engeln und Gott beherrscht werden. Im Buch steht der siebte Himmel im Mittelpunkt, da dieser der Herrschaftssitz Gottes ist. Die Himmel sind durch Tunnel verbunden, Transportkanäle der Engel, welche diese für ihre Reisen zwischen den Sphären verwenden. Durch die Tunnel erreichen sie die Welt der Menschen oder, wie man im Buch sehen kann, die Hölle.

Literatopia: Der Roman gliedert sich in fünf Teile, die Du nach Trauerphasen benannt hast. Welche sind das und inwiefern spiegeln sie den Inhalt wieder?

Christian Damerow: Es handelt sich bei besagten Trauerphasen um das Kübler-Ross Modell, benannt nach den Studien der US-Psychaterin Elisabeth Kübler-Ross. Das Modell beschreibt die emotionalen Phasen, die Menschen durchleiden, wenn sie sich dem eigenen oder dem Tod eines nahestehenden Menschen gegenüber sehen. Es handelt sich um die Stufen der Verneinung, der Wut, des Verhandelns, der Depression und der Akzeptanz. Ich versuchte die entsprechenden Teile des Romans an die Phasen der Trauer anzupassen, welche die Engel durchleiden und diese im Inhalt widerzuspiegeln.

Literatopia: Bei so einem Buch wie „Des Schrecklichen Anfang“ müssen wir diese Frage stellen: Glaubst Du an Gott?

Christian Damerow: Im Grunde ist das Buch geschrieben, um gegen die klare Struktur einer Frage wie "Glaubst du an Gott?" anzukämpfen. In meinen Augen genügt ein simples "Ja" oder "Nein" nicht. Wer "Nein" sagt, grenzt oftmals einen großen Teil der Menschheit von sich aus. Wer "Ja" sagt ebenso. Die Frage setzt eine Antwort voraus, die eine Religion bereits gegeben hat, daher suche ich lieber nach meiner eigenen Antwort.

des schrecklichen anfangIch glaube mehr an die Zen Parabel von den vier Blinden, die in den Zoo gehen, um einen Elefanten zu berühren. Für den Ersten ist der Elefant rüsselförmig, für den Zweiten ist er beinförmig, für den Dritten ist er schwanzförmig und für den Vierten ist er ohrenförmig. In dieser Weise sehe ich den Versuch der Religionen die Wahrheit zu definieren. Zusammen können sie eine Ahnung von der wahren Gestalt des Elefanten bekommen, allein jedoch bleibt ihre Wahrnehmung fragmentarisch.

Literatopia: In Deinem Roman ist ein verheerender Krieg im Nahen Osten entbrannt. Auch in unserer Wirklichkeit ist die Situation wieder einmal eskaliert.  Verfolgst Du die Nachrichten zum Nah-Ost-Konflikt?

Christian Damerow: Ja, ich bin ein aufmerksamer Beobachter des Weltgeschehens, doch wie mit den Blinden, fällt es schwer zu sagen, wieviel Wahrheit in den Nachrichten steckt. Dass die Veröffentlichung des Buches parallel zur erneuten Eskalation im Gaza-Konflikt verlief, bedrückt mich, führt uns jedoch vor Augen wie viel Gewicht die Frage nach dem "wahren" Glauben noch immer hat.

Literatopia: Aufgrund der Story muss Jerusalem natürlich Schauplatz sein. Hattest Du aufgrund der aktuellen, schwierigen Situation dort Bedenken, eine solch dramatische Geschichte dort anzusiedeln?  

Christian Damerow: Bedenken hatte ich im Allgemeinen, da ich wußte, wie sensibel das Thema der Religion sein kann. Insbesondere wenn unter anderem Jerusalem Schauplatz der Handlung ist. Dennoch scheint mir insbesondere Jersusalem wie ein Spiegelbild für den Kampf um den Glauben und den Wertekonflikt, in welchem sich unsere Gesellschaft befindet.

Literatopia: Wie bereits in „All eye Cats“ wechselst Du in „Des Schrecklichen Anfang“ häufig die Perspektive. War die Entstehung ähnlich chaotisch wie bei „All eye cats“? Oder liegt Dir dieser sprunghafte Stil einfach?

Christian Damerow: Da es sich bei dem Roman in erster Linie um eine Familiengeschichte handelt, insbesondere um die subjektive Trauerbewältigung im Falle eines bevorstehenden Todes, entschied ich mich, die Geschichte durch möglichst viele Figuren zu veranschaulichen. Die verschiedenen Perspektiven auf Gott sollten dadurch deutlicher werden. Eine Ähnlichkeit zu "All Eye Cats" besteht in der Tat, insbesondere zwei Kapitel in "All Eye Cats", werden sich bei neuerlichem Lesen, als frühe Versionen von "Des Schrecklichen Anfang" erkennen lassen, was mir jedoch erst im Nachhinein bewußt wurde.

Literatopia: Also könnte man sagen, Deine literarischen Werke sind untereinander verbunden? Gibt es noch mehr Verbindungen zu nicht-veröffentlichten Texten von Dir?

Christian Damerow: Das kann man sicher sagen. Es gibt auf jeden Fall viele Motive, die in meinen Büchern und Geschichten wiederkehren. Es geht nicht soweit, dass ich sagen würde, Figuren aus der einen Geschichten tauchen in späteren wieder auf, doch ich mag den Gedanken in verschiedenen Erzählungen Figuren gleiche Handlungen vollziehen zu sehen, diesen aber eine vollkommen neue Bedeutung zu geben bzw. eine andere Wirkung.

Literatopia: Was hältst Du von eBooks? Und was denkst Du, tragen eBooks dazu bei, junge Autoren bekannter zu machen oder erstickt man eher in der Masse?

Christian Damerow: Erst vor kurzem stolperte ich in ein Antiquariat, in welchem ich eine 1907 Ausgabe von "Alice im Wunderland" entdeckte. In rotes Leder gebunden, mit Illustrationen von Arthur Rackham. Der ursprüngliche Besitzer hatte "Christmas, 1909" auf das Deckblatt geschrieben. Es roch nach Zimt und Holz und die Seiten des Buches hatten einen sonnengelben Teint. Bedenkt man wie schnell Technologien in unserer Zeit altern, bezweifle ich, dass ich mich über ein 100 Jahre altes Ebook so sehr freuen werde, wie über diese Version von "Alice im Wunderland". Eine zukünftige Generation mag vielleicht einen Ebook Reader aus der Wüste graben, doch sie werden nicht wissen, was darin enthalten war.

Trotzdem haben Ebooks ihre eigenen Stärken. Zum einen kann man 1000seitige Bücher überall mit sich tragen, in den Weltraum, in die Tiefsee, in den Urlaub. Man muss nicht mehr dichter herangehen, wenn die Augen schwächer werden, sondern vergrößert einfach die Schrift. Man verliert nie mehr Lesezeichen und sucht nicht verzweifelt nach der Stelle, bevor man einschlief. Ich sehe einen großen Vorteil in der leichteren Erreichbarkeit von Literatur, auf der anderen Seite ist es gefährlich eine komplette Migration von Büchern in die digitale Welt zu erwarten. Ohne physische Grundlage, ohne einen physischen Speicher wie Bibliotheken und Buchhandlungen sehe ich eine große Angreifbarkeit in digitaler Literatur entstehen.

Die Verkaufszahlen von Ebooks übersteigen vermutlich  6 zu 1 den normalen Buchdruck und hinsichtlich der Selbstpublikation bieten sich jungen Autoren ungeahnte Möglichkeiten, wenn man motiviert genug ist, doch möglicherweise beeinträchtigt dieser vereinfachte Publikationsweg auch die Selbstkritik.

Literatopia: Wie schätzt Du die Situation von jungen / (noch) unbekannten Autoren in Deutschland ein? Hat jeder eine realistische Chance, ein gelungenes Werk zu veröffentlichen?

Christian Damerow: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich denke, die Situation ist nicht besser oder schlechter, als in der Vergangenheit.  Bedenkt man die neuen Wege der Selbstpublikation durch BoD und Amazon Direct Publishing bieten sich jungen Autoren vollkommen neue Plattformen, um ihre Werke zur Verfügung zu stellen und durch Leserrunden und Foren bekannt zu machen. Bedenklich finde ich nur, wenn die Plattform des Direct Publishing  und der Ebook-Markt von einem Unternehmen wie Amazon monopolisiert werden.

Literatopia: Sicher hast auch Du etwas von dem Brandbrief vieler Autoren an Amazon mitbekommen. Wie siehst Du das Ganze? Geht Amazon zu weit? Oder machen die Verlage eBooks wirklich viel zu teuer?  

Christian Damerow: Die Vorgehensweise von Amazon geht in meinen Augen zu weit, da es sich um einen gewissen Grad von Erpressung handelt, der vor allem Autoren schadet. Im Grunde nehmen sich Verlage und Verkaufshäuser wie Amazon nicht viel, insofern es um Marktverzerrung geht.

Wenn man Amazon vorwirft Bücher als nicht verfügbar zu führen oder aus den Verkaufslisten "verschwinden" zu lassen, so kann man ebensogut bei Verlagen sehen wie tendenziell Bücher gepusht werden, wenn sie zu einem Trend passen und wie wenig Chancen Autoren mit geringen Verkaufszahlen haben.

Trotzdem gibt es viele Kleinverlage, sowie renommierte Verlagshäuser, die sich um eine gelungene Buchpublikation bemühen, selbst wenn es keine Aussicht auf hohe Verkaufszahlen gibt. Die hohen E-Book Preise sind in meinen Augen ein zweischneidiges Schwert. Sie sorgen in erster Linie dafür, dass man ernsthaft in Erwägung zieht, sich nicht doch die physische Buchversion zu kaufen, was in meinen Augen positiv ist. Andererseits sind sie nicht gerechtfertigt, was die Herstellungskosten anbelangt. Amazon jedoch erzielt seine größten Gewinne mit Büchern durch E-books und will natürlich die Verkaufszahlen erhöhen. Amazon ist in dieser Hinsicht sehr offen, da jeder die Möglichkeit hat sich zu veröffentlichen. Besorgniserregend ist hierbei jedoch, wie jungen Autoren der Eindruck vermittelt wird, dass man nur gut ist, wenn man möglichst weit oben im Verkaufsranking steht. Ein Standpunkt, der für die Phantasie und Originalität der Tod ist.

Literatopia: Natürlich sind wir neugierig, wie es mit Dir weitergeht. Kannst Du uns schon etwas über Dein nächstes Projekt verraten? Und bleiben Deine Themen philosophisch angehaucht?

Christian Damerow: Es gibt zur Zeit verschiedene neue Projekte, einige bereits fertiggestellt, andere noch im Entstehensprozeß. Mein nächster Roman ist bereits abgeschlossen. Eine sehr direkte und realistische Liebesgeschichte. Japan spielt darin eine zentrale Rolle. Ein weiterer ist in Arbeit. Ebenso bilden sich bereits erste Züge einer Fortsetzung zu "Des Schrecklichen Anfang".

Zudem bin ich im Begriff mit Krzysztof  Z. Olesinski (http://kzolesinski.pl/) einen Comic zu entwickeln, der hoffentlich bald das Licht der Welt erblickt.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Christian Damerow

Rezension zu "Des Schrecklichen Anfang"

Rezension zu "All eye cats"

altes Interview von 2012


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.