Heyne Verlag (Mai 2014)
gebunden mit Schutzumschlag und Leseband
768 Seiten, EUR 24,99
ISBN: 978-3-453-26896-8
Genre: Historik
Klappentext
Wir schreiben das Jahr 1924. Auf der Nordostseite des Mount Everest machen sich die beiden englischen Bergsteiger George Mallory und Andrew Irvine auf den Weg zum Gipfel – und verschwinden für immer. Bis heute weiß man nicht, was ihnen geschehen ist. Waren es die Wetterbedingungen? Oder war etwas dort oben bei ihnen auf dem Berg, etwas Tödliches? Mit »Der Berg« erzählt Bestsellerautor Dan Simmons die packende Geschichte von der Erstbesteigung des Mount Everest.
Rezension
„The Abominable“ (dt. etwa „Der Schreckliche“) heißt Simmons neuester Roman im Original - ein treffender Titel. Denn gemeint ist - wie auch im Deutschen - der Mount Everest; jene ultimative Herausforderung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Wer hier nun zu viele Parallelen zu „Terror“ wittert - in demSimmons eine weitere Entdeckungsgeschichte der Menschheit thematisiert - kann beruhigt sein: „Der Berg“ ist anders. Dennoch spielt jene Geschichte um die Entdeckung der sogenannten Nordwestpassage auch in "Der Berg" eine nicht unwichtige Rolle. Im Vorwort nämlich erklärt Simmons wie er auf die Idee zu diesem Werk gekommen ist. Bei der Recherche zu „Terror“ nämlich. Schon hier zieht Simmons sämtliche erzähltechnischen Register; denn dieses Vorwort ist eigentlich schon der Beginn der Geschichte um „Der Berg“.
Alles beginnt, als Simmons sich zu Recherchezwecken über Expeditionen in der Antarktis mit Jake Perry trifft. Dessen Erfahrungen sollen ihm bei seinem geplanten Roman „Terror“ helfen. Bis Simmons jedoch merkt, dass Perry eine ganz andere Geschichte zu erzählen hatte, ist „Terror“ längst erschienen. Diese andere Geschichte ist nun aber „Der Berg“; ihr Protagonist Jake Perry. Und sie ist so phantastisch, dass, sollte sie wahr sein, die Historiker die Geschichtsbücher wohl an einigen Stellen umschreiben müssten. Hat Simmons sich also diesmal die ultimative künstlerische Freiheit herausgenommen, das gesamte Buch einschließlich Vor- und Nachwort als Geschichte zu kreieren - nicht zuletzt mit sich selbst als Charakter seiner eigenen fiktiven Erzählung?
Zu Beginn der „eigentlichen“ Geschichte lernt der Leser also den jungen Jake Perry kennen - jenen Abenteurer, den Dan Simmons so viele Jahrzehnte nach dieser Geschichte für Recherchen zu einer ganz eigenen Geschichte aufsuchen wird. Als vielversprechender Bergsteiger verkehrt er in jenen Kreisen, für die die Erstbesteigung des Everest so etwas wie den Heiligen Gral darstellt.
Wer sich für das Bergsteigen und dessen geschichtliche Hintergründe begeistern kann, der erlebt nun auf den folgenden Seiten eine wahre Offenbarung: Ein überraschend großer Teil des mit gut 750 Seiten nicht eben dünnen Werkes widmet sich nämlich den umfangreichen Vorbereitungen für dieses gewaltige Abenteuer. Und so kann der Leser das Trio um Jake Perry dabei beobachten, wie - natürlich ausführlich erläuterte - Ausrüstung angeschafft wird, wie an malerischen und wunderschön beschriebenen "Übungs"Bergen in Europa trainiert wird und nicht zuletzt sogar neue Techniken erdacht werden. All dies wird authentisch und in fast schon verschwenderischer Ausführlichkeit beschrieben, sodass man, wenn es endlich in Richtung Everest geht, sich fast so gut gerüstet fühlt wie die Protagonisten - zumindest, was das Fachwissen betrifft.
Und dort geht es dann auch richtig los. Mit der ihm eigenen schlichten Opulenz holt Simmons den Leser direkt ins Basislager des Everest. Fast vermeint man, die Höhenkrankheit, die den bedauernswerten Jake Perry schon auf gut 5000 Metern befällt, am eigenen Leib zu spüren. Diese ist jedoch nicht die einzige Widrigkeit, welche die Protagonisten zu erdulden haben: Denn weitaus schlimmer sind die bösen Haudrauf-Nazis, die sich offenbar direkt aus Indiana Jones an den Everest verirrt haben, um dort hochbrisante Dokumente zu bergen, die im Besitz eines verunglückten Bergesteigers waren.
Was zu einer eindringlichen "Mensch gegen Natur" Pioniergeschichte hätte werden können, entwickelt sich so zu einer Art Abenteurgeschichte, bei der Simmons leider mehr wollte, als für das Werk gut ist. So wird aus der akribisch aufgebauten und täuschend echten Kulisse eine ziemlich weit hergeholte Räuberpistole mit dem x-ten Aufguss von „Nazis haben finsteres Geheimnis, dass - wäre es früher herausgekommen - den Lauf der Geschichte verändert hätte“. Diese Diskrepanz zwischen der anfänglich nahezu perfekten Illusion einer auf wahren Gegebenheiten beruhenden Geschichte auf der einen Seite und sehr offensichtlicher Fiktion auf der anderen will sich nicht so recht zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen, sodass der Leser am Ende ratlos zurückbleibt.
Fazit
Mit "Der Berg" lässt Dan Simmons eines der großen Menschheitsabenteuer des zwanzigsten Jahrhunderts aufleben. Wie stets schafft er es, den Leser durch seine elegante und bildhafte Sprache direkt ins Zentrum des Geschehens zu holen. Leider will Simmons diesmal mehr als gut für die Geschichte ist und überfrachtet das schlichte und dennoch spannende Grundthema mit einer arg weit hergeholten Abenteuerkomponente.
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5