M - Eine Stadt sucht einen Mörder (John J. Muth)

Cross Cult; Auflage: 1 (Juni 2009)
208 Seiten, Gebundene Ausgabe ,16 x24 cm, 25€
ISBN-13: 978-3941248205

Genre: Krimi / Thriller / Drama


Klappentext

„Eine der grandiosen Wirkungen von Jon J. Muths M ist die Auflösung der Grenzen zwischen den Medien. Ist es Film? Ist es Fotografie? Ist es Zeichnung? Ist es Malerei? Ist es Montage? Ist es Komposition? Ist es Comic? Ist es Roman? Es ist ein Dialog zwischen allen diesen Kunstformen. Und daher auch etwas ganz Neues.“ - Georg Seeßlen (Publizist und Filmkritiker)

„Kein anderes Werk hat das Potential des Mediums Comic und der Graphic Novel so deutlich vor Augen geführt wie M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Muth hat den Comic auf Jahrzehnte hin neu definiert.“ - Alex Ross (Zeichner von Kingdom Come und Marvels)


Rezension

Es gibt immer wieder mal Graphic Novels und Bücher, bei denen eine Rezension besonders schwer fällt. Nicht weil sie schlecht wären, sondern weil sie so gut sind, dass man eigentlich nur „Super!“ sagen möchte. In diesen Fällen kommt alles zusammen und einzelne Gründe herauszugreifen, ist fast unmöglich. Man weiß, man hält etwas Besonderes in Händen, aber man kann das Außergewöhnliche einfach nicht in Worte fassen. „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ gehört mit Sicherheit dazu.
Trotzdem soll natürlich der Versuch einer Besprechung, die der Graphic Novel gerecht wird, gemacht werden.

Comicumsetzungen von Filmen sind immer ein zweischneidiges Schwert, einerseits können sie in den Zeichnungen sehr in Details gehen und neue Blickwinkel schaffen, andererseits muss die Geschichte meist stark komprimiert werden und die wenigsten graphischen Umsetzungen von Charakteren und Hintergründen sind auch nur annähernd überzeugend. Meistens werden die Comics nicht wirklich sauber gezeichnet und teilweise erinnern die Charaktere nicht an ihre filmischen Vorbilder, auch wenn sie als Vorlage gedient haben.
Wenn es sich dann auch noch um einen echten Klassiker wie Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ handelt, darf man durchaus misstrauisch sein, ob die Umsetzung überhaupt irgendwie als gelungen bezeichnet werden kann. 

Auch wenn man häufig den Comic unabhängig vom Film betrachten kann, ist es im Fall von Fritz Langs Meisterwerk unabdingbar, sich auch diesem zu widmen.
„M“ war der erste Tonfilm des Regisseurs, der im Jahr 1931 erschien, mit einem überaus überzeugendem Peter Lorre in der Hauptrolle. Lorres Darstellung wurde praktisch zum Prototyp aller folgenden Serienkiller bis hin zu Hannibal Lecter.
Zusammen mit Langs Regie und seinem dezenten Einsatz des Tones, im Gegensatz zu anderen Regisseuren der damaligen Zeit, die praktisch alles in einem Tonsumpf erstickten, kam ein Film heraus, der auch heute noch eine bedrückende Atmosphäre aufweist und mit einfachsten Mitteln unheimliche Spannung generiert. Lesarten von „M“ gibt es viele, unter anderem wird der Film als eine Allegorie zu den Ereignissen, die Nazis standen kurz vor der Machtergreifung, der Zeit verstanden.
Dieser Ansatz wäre aber für eine Neuinterpretation des Stoffes durch einen Comickünstler der heutigen Zeit nicht geeignet gewesen.
Deswegen ging John J. Muth nicht diesen Weg, sondern beschäftigt sich mit den anderen Fragen, die im Film und auch in der Grapic Novel, aufgeworfen werden.
Staat und Verbrecher, was unterscheidet sie?
Wie weit darf ein Staat gehen? Unterscheiden sich die Motive von Polizei und Syndikat in einem solchen Fall wirklich so sehr? Was ist ihre Motivation?
Beiden geht es im Fall nicht direkt um die Opfer und das Geschehen an sich. Nein, beide wollen nur Ruhe haben. Die Polizei vor der Bevölkerung, die Verbrecher ihrerseits vor der Polizei.
Zu diesem Zweck dämonisieren beide den Täter.
Gut dargestellt wird diese Nähe, sowohl bei Muth als auch bei Lang, indem es immer wieder Ortswechsel gibt zwischen den Parteien, in denen sie jeweils den angefangenen Satz der anderen beenden. 
Der Täter selbst, schon bei Lang nicht einfach nur ein Monster, das man hassen muss, bekommt bei Muth durch zwei kleine Erweiterungen im Unterschied zum Film noch ein menschlicheres Gesicht. Dadurch, dass er gejagt wird, hegt man fast schon Sympathie für ihn. Seine Taten veruteilt man natürlich weiterhin, aber die übliche Schwarz-Weiß-Malerei bei Serienmördern wird durchbrochen. Der Mörder ist nicht einfach böse, sondern ein kranker Mensch. Besonders in seinem Schlussplädoyer vor den versammelten Kriminellen der Stadt, die ihn gefangen haben und verurteilen wollen, wird das deutlich. Und hier sieht man auch einen Unterschied zwischen den beiden großen Institutionen. Der Staat besteht auf eine Gerichtsverhandlung nach dem Gesetz, das Verbrechersyndikat will reine Lynchjustiz.

Visuell ist M ein Erlebnis. Da die Bilder des Films praktisch nicht zu verbessern waren und jede sklavische Orientierung an ihnen und dem dort gezeigten Aussehen der Charaktere von vorne herein scheitern musste, ging John J. Muth einen anderen Weg.
Mit Freunden, Bekannten und auch Fremden stellte er den Film in Fotos nach. Diese nahm er als Grundlage für seine Skizzen, die er mit einem Silberstift ausführte, Graphit hinzufügte, dann Kohlestaub mit einem Pinsel auftrug und zuletzt mit Pastellfarben ausfüllte. Das letzte Kapitel wurde dann sogar von ihm mit Ölfarben gemalt. Heraus kam ein visuelles Glanzstück, dass so noch nicht zu sehen war. 
Gestochen scharf, aber auch teilweise verwischt sind die Bilder und suggerieren so eine Dynamik, die aufgrund des Mediums eigentlich nicht möglich ist. Die Grenze zwischen Comic und Film verschwimmt dabei und „M“ bietet ein neues Leseerlebnis für Comics. Besser hätte man diese Vorlage zeichnerisch nicht umsetzen können.

Die Ausgabe von Cross Cult steht der Graphic Novel dabei in nichts nach. Zwei umfangreiche Texte gibt es zu lesen, die sich analytisch mit Film und Comic auseinandersetzen und hochinteressant sind. Beide Autoren, Georg Seeßlen und Jochen Ecke, erreichen mit ihren Artikeln, dass man sich noch weiter mit Film und Graphic Novel beschäftigt. Nur das Tüpfelchen auf dem „I“ stellen dann noch Vor- und Nachwort von John J. Muth dar.


Fazit

Auch als Graphic Novel überzeugt „M“ auf ganzer Linie und weiß sowohl visuell als auch inhaltlich zu überzeugen. Der Leser wird am Ende nachdenklich und mit aufgeworfenen Fragen zurückgelassen. Unbedingt lesen!



Bewertung:

Charaktere: 4,5/5
Handlung: 5/5
Zeichnungen: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5

Tags: Serienkillerthriller