Das Simpsons-Syndrom (Dr. Bettina Balbutis)

Bastei Lübbe (Juni 2014)
Taschenbuch, 317 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-404-60788-4

Genre: humorvolles, medizinisches Sachbuch


Klappentext

Stellen Sie sich vor, Sie sind hackedicht, obwohl Sie keinen Tropfen Alkohol getrunken haben. Stellen Sie sich vor, Sie halten sich für mausetot, obwohl Sie quicklebendig sind. Stellen Sie sich vor, Sie werden vor Scham plötzlich nicht mehr rot, sondern gelb - wie Homer Simpson. Das gibt es nicht? Doch, das gibt es! Dr. Bettina Balbutis hat diese und andere kuriose Krankheiten erlebt. Sie erzählt von 33 medizinischen Phänomenen, die so bizarr und seltsam sind, dass jeder Hausarzt mit den Schultern zuckt, bevor er laut zu lachen anfängt. Lustig, absurd, informativ: ein Gesundheitsbuch der ganz besonderen Art!


Rezension

„Es ist Samstagabend, 23:30 Uhr, als ich Homer Simpson stationär aufnehme. Er kommt mit Verdacht auf Herzinfarkt und leuchtet still und gelb vor sich hin wie ein Wahlplakat der FDP. Er sieht genauso aus, wie Matt Groening ihn geschaffen hat: sehr dick, sehr gelb und ein ganz kleines bisschen doof. Ich schmelze dahin.“ (Seite 116)

Dr. Bettina Balbutis staunt nicht schlecht, als ihr Homer Simpsons leibhaftig begegnet – auf den zweiten Blick erkennt sie jedoch, dass es sich nicht um die reale Version der Zeichentrickfigur handelt, sondern um Morbus Gilbert-Meulengracht. Eine laut Balbutis recht freundliche „Krankheit“, die weder tödlich noch ansteckend ist. Im Gegenteil, mancher behauptet, sie würde das Leben verlängern. Allerdings werden die Patienten von Zeit zu Zeit ein bisschen bis extrem gelb. Ursache ist der Farbstoff Bilirubin, ein Abfallprodukt aus dem Blutkreislauf, das im Falle von Morbus Gilbert-Meulengracht ansammelt und erst später weiterverstoffwechselt wird. Da der medizinische Ausdruck wie meistens etwas kompliziert ist, spricht die Autorin vom Simpsons-Syndrom. Es ist eines von 33 kuriosen Krankheiten und Syndromen, die Bettina Balbutis ihren Lesern vorstellt.

Die Autorin betet dabei keine sachlichen Beschreibungen herunter, sondern ist mitten drin. Im Klinikalltag finden sich allerhand Patienten mit seltsamen Krankheiten und immer wieder trifft es auch „Bettis“ Freunde, die kurz vor der Hochzeit eine Haarzunge bekommen oder als Mann gar scheinschwanger werden. Man kann nur hoffen, dass sich Bettis Freunde beim Lesen nicht wiedererkennen oder ihre Geschichten zumindest mit Humor nehmen. Der Leser tut das jedenfalls. Die persönliche Note und die Kombination aus amüsanten Umschreibungen und leichtem Sarkasmus machen „Das Simpsons-Syndrom“ zu einem wahren Lesespaß. Galgenhumor ist hier das Mittel der Wahl, um kuriose Leiden unterhaltsam und informativ zu verpacken.  Dabei kommt es einem niemals vor, als würde sich die Autorin über die Betroffenen lustig machen, auch wenn mancher Patient auf seine Diagnose mitunter feindselig reagiert. Beispielsweise auf die Stinknase, die er selbst nicht bemerkt, weil sein Riechorgan längst den Dienst versagt hat.

„Kaum stehe ich im Raum, haut mich der Gestank schon aus den Latschen. Herr Geier sieht aus, als durfte er nach Irish Moos und Frisiercreme. Aber das tut er nicht. Er stinkt. Bestialisch. Nach süßlichem, vergammelten Fleisch. Schlimmer noch: nach Aas. Nach totem Tier, das von Käfern und Maden genüsslich zerlegt wird. Meine Instinkte schreien: „Lauf weg!“ Das ärztliche Pflichtbewusstsein hält erbarmungslos dagegen: „Er ist dein Patient. Und du bist verantwortlich.““ (Seite 158)

Der Untertitel „33 Krankheiten, mit denen Sie sich nicht zum Arzt trauen“ passt nicht so ganz, den viele Betroffene in diesem Buch gehen zum Arzt und mancher lässt sich sogar äußerst freiwillig anal untersuchen – auch wenn der Darm schon ein gutes Stück raushängt. Auch sind nicht alle Syndrome und Krankheiten peinlich genug, um sich nicht zum Arzt zu trauen. Die meisten sind einfach nur skurril. Daneben gibt es natürlich auch ein paar eklige Fälle, beispielweise der Penisfisch, der im Amazonas lebt und arglosen Wildpinklern in die Harnröhre springt. Oder auch das Kapitel zu den „allerdicksten Eiern“. Autsch. Oder Spulwürmer, die nachts die Speiseröhre runterwandern. Horror. Von vielen der hier aufgeführten Krankheiten hat man in Wissenschaftsmagazinen, in Zeitungen mit Wissensteil oder in TV-Dokus schon mal etwas gelesen oder gesehen, insofern bietet „Das Simpsons-Syndrom“ nicht wirklich viel Neues. Zumindest nicht für grundsätzlich wissenschaftlich interessierte Menschen. Aber der hohe Unterhaltungswert macht das wett, zudem werden die Syndrome nebenbei hervorragend erklärt, sodass man als Leser das Gefühl hat, etwas gelernt zu haben. Ganz ohne Anstrengung.

Interessant sind vor allem die psychischen Leiden, wie das Cotard-Syndrom, bei dem Betroffene glauben, sie seien tot und sich entsprechend verhalten. Oder auch die Body Integrity Identity Disorder (BIID), bei der Betroffene einen Körperteil hassen und am liebsten amputieren würden. Spannend sind auch Touristen-Krankheiten wie das Stendhal-Syndrom, eine Art Reisepsychose, und das Jerusalem-Syndrom, quasi die religiöse Variante des Stendhal-Syndroms. Für Abwechslung ist also gesorgt. Egal ob Darmprobleme, Würmer, schöne runde Männerbrüste oder ein psychischer Knacks, Bettina Balbutis widmet sich jedem Fall mit Hingabe und beobachtet ihren Bekanntenkreis ganz genau. Teilweise ist sie sogar selbst von skurrilen Krankheiten betroffen und zeigt, dass Mediziner die schlimmsten Patienten sind. Ebenso zeigt sie, dass es nicht immer leicht ist, mit Patienten umzugehen, siehe die Stinknase. Ärzte müssen einiges einstecken und ertragen und wenn man vor Gestank fast aus den Latschen kippt und dabei freundlich bleibt, hat man einfach Respekt verdient.  

„Das Stendhal-Syndrom befällt bevorzugt kulturbeflissene Touristen, die sich schon vor der Abfahrt gründlich auf die historische Wallfahrt vorbereitet haben … Auf diesen fruchtbaren Boden der bürgerlichen Bildung fällt nun die Saat der Renaissance. Oft reicht schon ein Detail an einem berühmten Gemälde oder einer Skulptur, und die Leute knallen völlig durch.“ (Seite 251)

Begleitet werden die Kapitel von passenden Zitaten, die laut Autorin von ihrem Mann – einem wandelnden Zitatelexikon und Klammerkuschler – ausgesucht wurden. Zu jeder Krankheit wurde ein passender Spruch gefunden, sei es aus Songtexten, Filmen oder der Bibel. Schön ist auch, dass Freunde und Kollegen von Bettina Balbutis immer wieder auftauchen, denn so hat man das Gefühl, tatsächlich einer sehr ereignisreichen Episode aus ihrem Leben beizuwohnen (auch wenn es unrealistisch ist, dass einem all diese seltenen und bizarren Krankheiten in der Assistenzarztzeit begegnen). Zu dieser gehört auch Dr. Johann Bastlhuber, der Krankenschwestern und Studentinnen den Kopf verdreht und den Professoren in den Arsch kriecht - und zu dem Bettina Balbutis eine ausgeprägte Hassliebe pflegt. Ebenso wie zu einem ihrer Mitbewohner, der eine besondere Beziehung zu Staubsaugern pflegt und sich einen Penisbruch zuzieht. Diagnose: Unsachgemäße Selbstbefriedigung. Autsch.


Fazit

„Das Simpsons-Syndrom“ ist ein medizinischen Sachbuch der besonderen Art: Mit einer großen Portion (Galgen-)Humor erzählt Bettina Balbutis von skurrilen Krankheiten, die sie hervorragend erklärt und in persönliche und höchst amüsante Geschichten aus dem täglichen Klinikwahnsinn verpackt. Da werden nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in der Verwandt- und Bekanntschaft Diagnosen gestellt. Und auch die Autorin selbst ist nicht vor bizarren Syndromen gefeit. Zwar kennt man die eine oder andere Kuriosität, doch selten wurde man damit so gut unterhalten wie hier.


Pro & Contra

+ abwechslungsreiche Sammlung kurioser Krankheiten
+ persönliche Geschichten rund um die einzelnen Fälle
+ humorvoller und sympathischer Erzählstil
+ einige Charaktere tauchen immer wieder auf
+ kreative Überschriften / Zitate zu Beginn der Kapitel

o vieles ist schon aus Presse und Fernsehen bekannt

Wertung: sterne4

„Handlung“: 4/5
Informationsgehalt: 4/5
Verständlichkeit: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Interview mit Bettina Balbutis