Aphrodite. Ein antikes Sittenbild (Pierre Louys)

louys-aphrodite

[Pierre Louys=Louÿs, d.i. Pierre Louis]
Hamburg, Tredition Classics 2013
Originaltitel: Aphrodite. A mœurs antiques (1896)
Übersetzung: N.N.
Taschenbuch, 208 Seiten
€ 12,90 [D] | € 13,30 [A] | CHF 18,90
ISBN: 978-3-8495-3118-8

Genre: Belletristik


Inhalt

Die Kurtisane Chrysis („die Goldene“), auch Aphrodite genannt, wurde am Ufer des Sees Genezareth geboren. Ihre Mutter war unverheiratet, ihr Vater ein Reisender oder Kaufmann, die Schwangerschaft ein Skandal. Ein Wahrsager hatte prophezeit, das Mädchen werde dereinst rund um den Hals Reichtum und Glaube eines Volkes tragen. Die Mutter erzählt der Tochter nichts von der Weissagung. Mit zwölf Jahren schließt sich Chrysis einer Schar junger Elfenbeinhändler an, mit denen sie nach Alexandria gelangt. Sie lässt sich bei den Gärten im Osten der Stadt nieder und beginnt das Leben einer Kurtisane. Ihre Kunden sind Kaufleute und Reisende. Sie lebt nur für die Liebe, die sie zu einer Kunst erhebt, weshalb sie auch schnell zu Ruhm und Reichtum gelangt.

Mit fast zwanzig Jahren hat sie alles erreicht und alles erlebt – bis auf die Liebe. Nun packt sie der Ehrgeiz und sie sehnt sich nach einem außergewöhnlichen Abenteuer. Beim Spaziergang an der Mole geht sie eines Tages an dem Bildhauer Demetrios vorbei, den Liebhaber der Königin Berenike, die ihm Modell stand für die Statue der Aphrodite. Alle Frauen, auch Berenike, begehren ihn, denn er ist schön wie Apoll. Frauen haben seinetwegen Selbstmord begangen. Aber er begehrt keine, auch Berenike nicht, die in ständiger Furcht lebt, dass er sie verlassen und in seine Heimat Rhodos zurückkehren könne. Er liebt nur seine Statue der Aphrodite, die auf ihn wie eine lebendige Frau wirkt und um den Hals ein Kollier aus sieben angeblich heiligen Perlenreihen trägt. Doch von Chrysis ist er fasziniert. Er möchte, dass sie ihm Modell für die Statue der Charites steht.


Rezension

Neben André Gide, Paul Valéry, Maurice Maeterlinck oder Henri Verlaine gehört Pierre Louÿs, der bereits mit achtzehn Jahren seine ersten Verse veröffentlichte, zu den bedeutendsten Dichtern des Fin de Siècle. Maßgeblich wurde er vom Symbolismus und Ästhetizismus beeinflusst. Ende 1891 freundete er sich mit dem in Paris weilenden Oscar Wilde an, der ihm das Lektorat der symbolistischen Tragödie Salomé anvertraute und ihm das Stück widmete. Aber er schrieb nicht nur Gedichte. 1895 veröffentlichte er seinen ersten Roman, Chansons de Bilitis. Im März 1896 erschien sein zweiter Roman, L’Esclavage (Die Hörigkeit) in sechs Folgen im Mercure de France. Er hatte ihn Ende 1895 geschrieben, um sich von seinem Liebeskummer abzulenken, denn im Oktober 1895 hatte seine große Liebe, die Dichterin Marie de Heredia, in einer arrangierten Ehe den reichen Adligen Henri de Régnier geheiratet.

Der Roman, den er auf Rat seines Halbbruders Georges in Aphrodite umbenannte und dem Maler und Illustrator Albert Besnard widmete, der den Umschlag seines ersten Gedichtbandes entworfen hatte, wurde zum Skandalon und Erfolg des Jahres und machte Louÿs zum meistgelesenen Autor seiner Zeit. Im November 1896 erschien die 60. Auflage, insgesamt waren 60.000 Exemplare verkauft. Dazu kamen Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Spanische, Ungarische und Tschechische. Die Editionsgeschichte ist nicht unproblematisch. Louÿs nahm in fast jeder Ausgabe Ergänzungen, Streichungen oder Korrekturen vor. 1913 erschien eine um ein unveröffentlichtes Fragment aus dem Manuskript ergänzte Neuausgabe, die Louÿs als definitive Fassung betrachtete.

Der Autor zeichnet in dem hochartifiziellen Roman der Décadence, der voll schwülstiger Blasphemie und laszivem Zynismus ist, ein auf Tabubruch, Provokation und grelle szenische Effekte abgestelltes Sittengemälde des Hellenismus. Zentrale Figur ist eine überzeugte Kurtisane, zentrales Thema das Geschlechterverhältnis, das geprägt ist von erotischen Obsessionen, sexueller Hörigkeit und einem tödlichen Begehren. Möglich war diese offene Abhandlung eines drastischen Themas, die Hebung der Kurtisane und das Propagieren der sexuellen Freiheit, nur durch den historischen Kontext, denn die Antike war bekannt für ihre andere Moral, für eine offenere Einstellung gegenüber Prostitution und Homosexualität beispielsweise. Homosexualität wird in dem Roman auch angesprochen, allerdings hält sich der Autor zurück, denn es gibt lediglich ein lesbisches Liebespärchen. Liebe zwischen zwei Frauen, so lässt der Autor eine der Frauen (als sein Sprachrohr?) sagen, sei natürlich, Liebe zwischen zwei Männern jedoch nicht hinnehmbar. Auf Anraten von Maries Vater, dem Dichter José-Marie de Heredia, der trotz der Historisierung ein Eingreifen der Zensur befürchtete, schrieb Louÿs ein Vorwort, in dem er auf die kulturellen Unterschiede in der Sexualmoral zwischen der Antike und der Gegenwart hinweist. 

Nicht nur thematisch und stilistisch weist Aphrodite Parallelen zu Salomé auf, einer alttestamentarischen Tragödie im symbolistisch-ästhetischem Stil, es war auch wie Salomé als Stück für Sarah Bernhardt geschrieben. Wie in Salomé scheitert das Ideal an der Realität, stirbt die Kunst durch die Kunst. Die Kurtisane Chrysis sieht ihre Tätigkeit und sich als Kunstwerk. Das funktioniert solange, wie sie nicht lieben will, sondern emotional kalt wie eine Statue ist. Mit ihrem überhöhten, mystifizierten Liebesideal treibt sie den Bildhauer Demetrios zu den schlimmsten Verbrechen. Doch Demetrios, von den Menschen wegen seiner statuesken Schönheit verehrt, imaginiert ein Idealbild der Kurtisane. Er liebt es mehr als die Kurtisane, auf die er deshalb verzichtet. Ebenso liebt er auch die Marmorstatue der Aphrodite mehr als das Modell, die Königin, mit der er eine Affäre hat.


Fazit

Pierre Louÿs hat mit Aphrodite einen Softcore-Roman aus amoralischer Perspektive geschrieben, der auch heute noch einen verführerischen Reiz hat.


Pro und Kontra
+ von provokativer Dekadenz
+ gute Charakterisierungen

- in Teilen chauvinistisch und sexistisch

Wertung: sterne3.5

Inhalt: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5