Campus 2014
Originaltitel: Love 2.0. How Our Supreme Emotion Affects Everything We Feel, Think, Do, and Become (2013)
Übersetzt von Nicole Hölsken
Gebunden, 302 Seiten
€ 22,99 [D] | € 23,70 [A] | CHF 32,90
ISBN: 978-3-593-50002-7
Genre: Sachbuch
Autorin
Barbara L. Fredrickson ist Professorin für Psychologie und Direktorin des Labors für Positive Emotionen und Psychophysiologie an der University of North Carolina in Chapel Hill. Sie ist eine der in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannteren Vertreterinnen der Positiven Psychologie und forscht über positive Gefühle. Ihr erstes populärwissenschaftliches Buch Die Macht der guten Gefühle (2011) beschäftigt sich mit der Frage, wie eine positive Grundeinstellung auf unser Leben wirkt. In diesem Zusammenhang hat sie die "Broaden-and-Build Theorie positiver Emotionen" entwickelt. Die Macht der Liebe. Ein neuer Blick auf das größte Gefühl ist ihr zweites populärwissenschaftliches Buch.
Rezension
Während sich die traditionelle Psychologie mit psychischen Problemen beschäftigt, ist die Positive Psychologie befasst mit positiven Emotionen, mit Eigenschaften, die solche Emotionen bewirken und der Frage, welche Strukturen in ihrer Wirkung auf den Menschen dessen positive Eigenschaften hervorbringen. Untersucht wird, kurz, was den Menschen erfolgreich und sein Leben lebenswert macht, wie er dieses Ziel schließlich erreichen kann. Der Ansatz ist empirisch ausgerichtet und nicht zu verwechseln mit der Vorstellung vom Positiven Denken, die Probleme positiv ummünzt.
Die meisten Menschen dürften den Begriff "Liebe" mit einem romantischen Gefühl verbinden, das sich einstellt, wenn man die Person gefunden hat (oder glaubt gefunden zu haben), mit der man – zumindest längere Zeit – gemeinsam durch das Leben gehen möchte. Man kann dabei auch an die Familie, Freunde oder sein Haustier denken. Barbara Fredrickson wählt in Die Macht der Liebe einen anderen Zugang, verbindet die Positive Psychologie mit der Biopsychologie. Ihr Ausgangsobjekt ist das menschliche Herz, nicht als romantische oder mythische Größe, sondern als Organ, erweitert um den Blutkreislauf und das Immunsystem. Liebe 2.0 – so die Übersetzung des Originaltitels - steht für die körperliche Definition von Liebe, nicht für die Liebe im Zeitalter des Internet. Aus dieser Perspektive ist Liebe eine Emotion (als psychophysiologisches Phänomen), die jedes Mal den Körper und Geist durchläuft, wenn wir über ein positives Gefühl eine Verbindung zu einem anderen Lebewesen aufnehmen. Dieses Gefühl stellt sich in Mikromomenten ein und erzeugt eine "Synchronizität" zweier fühlender Organismen.
Fredrickson beschreibt Liebe als ein erneuerbares Gefühl, das nichts mit Romantik, umso mehr aber mit Biochemie und Design zu tun hat. Wir können Liebe sogar steuern. Symbiotische Mikromomente erzeugen "Positivitätsresonanz", mit Blickkontakten, körperlicher Annäherung, Äußerungen, lassen sich synchrone Situationen zwischen zwei Menschen schaffen. Der Ansatz wirkt radikal, zumal er einen Absolutheitsanspruch erhebt, der die Leser ausdrücklich alle anderen Vorstellungen von Liebe vergessen lassen soll.
Manche Ausführungen der Autorin sind unscharf und erklärungsbedürftig. So charakterisiert Fredrickson die Liebe durch vier Signale, von denen eins als "Gesten" bezeichnet wird. Wenig später bezeichnet sie alle vier Signale als Gesten. Wie ist mit der wissenschaftlichen Herangehensweise vereinbar, dass Liebe nichts sein soll, was in unseren Gedanken abläuft, sondern in unserem Körper, der sich gleichwohl, so Fredrickson, nach Liebe sehnt? Biochemie trifft in solchen Momenten auf symbolisch aufgeladene Begriffe.
Gemäß Fredrickson ist Liebe nicht dauerhaft, sondern flüchtig, kann aber stets erneuert werden. Möglich ist jedoch, dass durch die stete Erneuerung ein Kontinuum flüchtiger Momente entsteht, durch eben diese Kontinuität eine Dauerhaftigkeit sich einstellt, die aber definitorisch ausgeschlossen ist. Wenn Liebe etwas sehr Flüchtiges ist, wie die Autorin schreibt, wie kann sie dann dauerhafte Ressourcen aufbauen? Ab welcher Anzahl von Erneuerungszyklen ist der Aufbau von Dauerhaftem überhaupt möglich?
Die von Fredrickson postulierten Momente der "Positivitätsresonanz" können unabhängig davon erlebt werden, ob sie zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Freunden, einem Liebespaar (Vorsicht bei der Begriffswahl!?), Lehrer und Schüler, Kunde und Kassiererin, oder einander völlig Fremden auftreten. Ob sich zwei Personen beim Austausch von Zärtlichkeiten in die Augen sehen, oder ob sie Stunden später mit dem Klempner oder der Verkäuferin Blicke austauschen, um sich freundlich über eine Transaktion zu verständigen, ist im Prinzip gleich. "Synchronizität" bringt uns in die Lage, unser Gegenüber zu verstehen. Dies funktioniert aber nur bei direktem Blickkontakt beider Personen. Wer also meint, per SMS oder Videobotschaft erfolgreich liebesaktiv werden zu können, sieht sich selbstgetäuscht.
Fredrickson verlässt sich in ihren eigenen Arbeiten sehr auf subjektive Darstellungen von Menschen, über die man so gut wie nichts erfährt, was wissenschaftlich relevant wäre, die aber äußern, nach einer Übung fühlten sie sich mit anderen Menschen verbundener als vorher.
Eine interessante Alternative zu Fredricksons Buch ist der Reader The New Psychology of Love, 2008 herausgegeben von Robert J. Sternberg und Karin Weis. Darin werden verschiedene Theorien der Liebe, darunter biologische und kulturelle, lesenswert behandelt. Auch wird in vier Beiträgen eine Taxonomie der Liebe diskutiert, die den Diskurs auf eine breitere Basis stellt.
Fazit
Fredrickson zeigt in Die Macht der Liebe, dass Liebe uns nicht irgendwie befällt, sondern etwas ist, das wir gestalten können. Während der theoretische erste Teil ("Liebe neu denken") einige Schwächen aufweist, ist der anwendungsorientierte zweite Teil ("Ihr Leitfaden zur Liebe"), in dem sie Übungen für Meditationen und Mikromomente vorstellt, der interessantere und bessere.
Pro und Kontra
+ Meditationen im Anwendungsteil
+ grundsätzlich interessanter Ansatz
- Verkürzung von Liebe auf eine (vielleicht) operationalisierbare Größe zur Verwendung in Nutzenkalkülen
- enthält einige, meist begriffliche, Unschärfen
- argumentiert für einen (populär-)wissenschaftlichen Text gelegentlich seltsam: „der Schlüssel, der die Weisheit Ihrer Intuition öffnet“
Wertung:
Inhalt: 2,5/5
Themen: 2,5/5
Leseertrag: 2,5/5
Preis/Leistung: 3/5