Therese. Chronik eines Frauenlebens (Arthur Schnitzler)

schnitzler-therese

Fischer 2007, 2. Auflage
Taschenbuch, 304 Seiten
€ 9,95 [D] | € 10,30 [A] | CHF 15,90
ISBN: 978-3-596-15917-8

Genre: Belletristik


Inhalt

Therese ist gerade sechzehn Jahre alt, als ihr Vater, Oberstleutnant Hubert Fabiani, pensioniert wird und mit der Familie von Wien nach Salzburg zieht. Tagtäglich zerfällt die Familie mehr. Jeder geht seinen eigenen Weg. Der Vater verliert nach einiger Zeit den Verstand und kommt in eine Anstalt. Um die prekäre finanzielle Situation zu verbessern, beginnt Thereses aus adligem Hause stammende Mutter Julia mit dem Schreiben von trivialen Zeitungsromanen. Zudem gibt sie zwielichtige Gesellschaften und versucht, Therese mit dem wohlhabenden älteren Graf Benkheim zu verkuppeln. Doch Therese verweigert sich. Sie freundet sich mit Alfred Nüllheim an, einem Klassenkameraden und Freund ihres drei Jahre älteren Bruders Karl. Der aus bestem Hause stammende Alfred verliebt sich in sie. Aus Langeweile und Einsamkeit trifft sie sich mit ihm, lässt sich aber auf keine Liebesbeziehung ein. Nach der Matura gehen Alfred und Karl zum Medizinstudium nach Wien.

Therese verliebt sich in den Leutnant Max und beginnt eine Liebesbeziehung. Abend für Abend besucht sie ihn heimlich in seiner Wohnung, bisweilen in Anwesenheit eines anderen Liebespaares. Sie schämt sich wegen ihrer Affäre und möchte Max heiraten. Doch der hat keine ernsthaften Absichten. Langsam verlischt ihre Liebe. Als sie entdeckt, dass er sie mit einer Schauspielerin betrügt, verlässt sie ihn, nachdem sie sich zu einer letzten gemeinsamen Nacht hat überreden lassen. Schon lange hat sie die Absicht, nach Wien zu gehen, um eine Stellung als Kindermädchen oder Erzieherin anzunehmen. Nun verlässt sie Salzburg fluchtartig und findet nach längerer Suche Arbeit, muss aber schon bald mehrmals die Stellung wechseln. Auf Drängen ihrer Mutter stattet sie Karl einen Besuch ab, der sich über die Protektion in der Universität beschwert und sich den Deutschnationalen angeschlossen hat.  Therese hat Karl nichts zu sagen. Wenig später stirbt der Vater in der Anstalt, ohne dass sie sich verabschieden konnte.


Rezension

Eine Vorstudie zur Therese verfasste Schnitzler bereits 1889 mit der Prosaskizze "Der Sohn - Aus den Papieren eines Arztes" (erschienen 1892), worin er über eine Mutter schreibt, die von ihrem eigenen Sohn ermordet wird und im Sterben sich die Schuld für sein Verhalten gibt. Der Stoff beschäftigte ihn auch in den nächsten Jahren. Erst 1924 begann er damit, ihn zu einem Roman zu verarbeiten. Nach einem halben Jahr hatte er bereits 600 Seiten geschrieben. Am 12. März 1927 beendete er das Manuskript und 1928 erschien Therese. Chronik eines Frauenlebens erstmals.

Therese greift die Muster des Trivialromans auf, verweist insbesondere auf das epische Subgenre „Frauenleben“, allerdings um die Klischees zu brechen und damit das Genre zu konterkarieren. Schnitzler schreibt nicht die Chronik einer strahlenden Heldin, deren Leben nach einigen amourösen Herausforderungen und Verwicklungen in ein Happy End mündet, sondern die einer schwachen Anti-Heldin, deren tristes und auswegloses Leben in einer Abwärtsspirale verläuft. Der Heiratsantrag Wohlscheins und die Aussicht auf eine gesicherte bürgerliche Existenz sind ein Hoffnungsschimmer in Thereses Leben, aber diese Aussicht auf ein kleines Happy End zerplatzt.

Als die Handlung einsetzt, ist Therese sechzehn Jahre, als sie endet, ist sie ungefähr vierzig. Im steten und monotonen Rhythmus wechselt sie in diesen Jahren die Arbeitgeber, die sie notwendig dulden, meist aber verachten und immer leicht abschieben, und Liebhaber, die sie nicht lieben oder die sie nicht liebt: sie hat mehr als 27 Stellungen als Gouvernante, Dutzende von Privatschülern, zehn sexuelle Beziehungen, bekommt sechs Heiratsanträge und ein Kind, lässt ein Kind abtreiben, versucht eines zu töten – und dies in einem Zeitraum von ungefähr 25 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, in dem sie sich nicht weiterentwickelt.

Immer wieder kreuzt sie ihren eigenen Weg in einem endlosen Reigen, finden sich subtile Wiederholungen, Déjà-vu-Erlebnisse, motivische Kontinuitäten. Die zumeist vagen Zeitangaben lassen ihre Biografie noch monotoner und auswegloser erscheinen, betonen das langsame, aber stetige Vergehen der Zeit. Die Affären überlagern sich, eine wird zum Echo einer anderen. Ein Rendezvous weckt Erinnerungen an ein anderes, doch oft ist dies Therese nicht einmal bewusst, sind ihre Erinnerungen verschwommen und vage, und nur die Leser wissen sie einzuordnen, wie das Pfeifen einer Lokomotive oder die Erinnerung an einen Mord, von dem sie aus der Zeitung erfährt.

Therese gelingt es nicht, (sexuelle) Selbstbestimmung und materielle Unabhängigkeit zu erlangen. Das Ziel, eine eigene Familie zu haben, erfüllt sich nicht. Als sie sich doch für eine Ehe mit Wohlschein entscheidet, wirkt das Schicksal gegen sie. Therese hat kein Glück und ist nicht skrupellos genug, wie ihre Freundinnen nur des Geldes wegen zu heiraten. Sie flüchtet sich, wie ihr Vater und ihre Mutter, in eine Welt des (Wohl-)Scheins, des Traums, der Halbwahrheiten, vagen Erinnerungen und Lügen. Im Lauf der Jahre verdämmert ihr Leben, ihre Vitalität stirbt ab, sie erstarrt in Einsamkeit. Sie entfremdet sich zunehmend ihren Mitmenschen und sich selbst, entwickelt stärkere Nähe zu den Toten als den Lebenden. Erst am Ende und zu spät erkennt sie die Illusionen und Lügen ihres Lebens und die Falschheit der Welt.

Schon in seinen Frühwerken hatte Schnitzler das „dissoziierte Ich“ thematisiert und als Symptom des Wertverlusts, einer mittelpunktlosen Lebenshaltung, analysiert. Nur über das Erinnern, beispielsweise durch Gerüche, Geräusche, Blicke oder Berührungen, kann Therese ansatzweise ihr vergessenes Leben rekonstruieren und zur Wahrheit finden.


Fazit

Arthur Schnitzlers Therese. Chronik eines Frauenlebens verbindet die Biographie des sozialen Abstiegs einer jungen Frau mit einem Zeitbild, in dem Österreich vor dem Ersten Weltkrieg skizziert wird.


Pro und Kontra

+ Chronik eines Frauenlebens und Chronik der untergehenden Monarchie
+ Lesenswerte Abbildung einer Gesellschaft, in der die Möglichkeiten für Männer und Frauen extrem ungleich verteilt sind

Wertung: sterne4

Inhalt: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5