Gefährliche Liebschaften (Choderlos de Laclos)

laclos-liebschaften

Insel, 25.01.2010
Originaltitel: Les Liaisons dangereuses (1782)
Übersetzt von Heinrich Mann
Taschenbuch, 534 Seiten
€ 11,00 [D] | € 11,40 [A] | CHF 17,90
ISBN: 978-3-458-35233-4

Genre: Belletristik


Inhalt

Die Marquise de Merteuil, Angehörige des französischen Hochadels im ausgehenden Ancien Régime, genießt den Ruf einer ehrbaren, tugendhaften Frau. Hinter dieser Fassade der Wohlanständigkeit verbirgt sich jedoch eine sinnenfreudige Intrigantin, die von dem unbedingten Willen nach Macht angetrieben wird, nach Macht über die Männer. Die Liebe dient ihr dabei als Mittel. Damit sich die Liebhaber nicht öffentlich mit ihr brüsten und sie dadurch diskreditieren, wendet sie einige Kunstgriffe an. Sie weiß, dass jeder Mensch ein Geheimnis hat, welches er unbedingt wahren will. Außerdem verschickt sie keine Liebesbriefe, auch lässt sie sich mit einem Liebhaber nicht öffentlich sehen. Jeder, der sie beleidigt, schmäht oder bloßstellen will, wird von ihr öffentlich diskreditiert oder vernichtet.

Um sich am Grafen de Gercourt zu rächen, der sie schmählich verlassen hat, bedient sich die Merteuil des Vicomte de Valmont (ebenfalls ein Liebhaber, der sie verlassen hat), dem der Graf vor einiger Zeit seine Geliebte ausgespannt hat. Valmont soll die jungfräuliche Braut Gercourts, Cécile Volanges verführen. Doch ihm ist die Aufgabe, ein naives fünfzehnjähriges, gerade aus dem Kloster entlassenes Mädchen sittlich zu verderben, zu einfach. Um seinem Ruf als Frauenverführer und -verderber noch ein Ruhmesblatt hinzuzufügen, konzentriert er seine Energie auf eine reizvollere Beute, auf die verheiratete Präsidentin de Tourvel, die bei seiner Tante, der Madame de Rosemonde, zu Besuch ist.


Rezension

Der Autor Pierre Ambroise Francois Choderlos de Laclos, ein französischer Offizier, sorgte mit seinem aus 175 Briefen bestehenden Roman bei der Erstveröffentlichung 1782 für einen Skandalerfolg, obwohl man durch die galant-höfischen, frivolen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts, Voisson, Nerciat oder Crébillon einiges gewohnt war. Das Buch wurde noch bis in unser Jahrhundert hinein als schwüles Machwerk und Brevier für die Unmoral fehlinterpretiert, in dem der Autor sich in seiner männlichen Hauptfigur, dem durchtriebenen Wüstling Valmont, heldenhaft verewigt habe. Doch hier wurde für affirmativ erklärt, was in Wirklichkeit subversiv war. Um seinem Roman einen Hinweis auf die gewünschte Rezeptionsrichtung zu geben, hat Laclos ein Motto aus Rousseaus Julie oder Die neue Heloise. Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen vorangestellt, der sich gegen die aristokratisch-affektierte Lebensform und für die bürgerliche Sittsamkeit ausspricht: "Ich habe die Sitten meiner Zeit gesehen und diese Briefe veröffentlicht".

Laclos wagte die Gratwanderung, Unmoral und Verderbtheit detailliert, direkt (durch die Form des Briefromans) und ungebrochen von moralischen Erbauungssätzen zu schildern, um für ihr Gegenteil, Liebe und Tugend, zu werben. Er stellt distanziert zur Schau, wie eine machtbesessene Merteuil und ein dandyesker Valmont mit kalter Bedenkenlosigkeit und bar jeder Skrupel junge naive oder idealistische Menschen sowie eine tugendhafte Ehefrau ins Verderben treiben. Dabei erfahren die Leser hautnah die Lust der Täter an ihrem teuflischen Spiel. Genauso intensiv empfinden sie aber auch die Leiden der Opfer. Die komplexen psychologischen Vorgänge werden mit minutiöser Genauigkeit erfasst und überzeugend dargestellt.

Dass die uneingeschränkt positive Figur Tourvel als Lebenshilfe zu Samuel Richardsons Roman Clarissa greift, der bürgerliche Ehrbarkeit verherrlicht und aristokratische Ausschweifungen verdammt, dass die beiden Intriganten Merteuil und Valmont den Preis für ihr Handeln zahlen müssen, und dass zwei ältere, moralisch doch recht integre Damen das letze Wort haben, betont zusätzlich Laclos’ pädagogische Absicht, mit einer wirklichkeitsnahen Beschreibung von Sitten und Charakteren des ausgehenden Ancién Regime zur Belehrung und Abschreckung sowie zur Veranschaulichung der gesellschaftskritischen Theorien Rousseaus beizutragen.

In den Figuren Merteuil und Valmont bündelt Laclos die Dekadenz und Verworfenheit der bonne compagnie, einer kleinen hocharistokratischen Schicht, die am Hof von Versailles, in den Salons von Paris und einigen Provinzstädten ein luxuriöses aber durch den Absolutismus einflussloses Leben führte. Das Leben dieser elitären Rokokogesellschaft war bequem, aber langweilig und ohne Herausforderung. Siege ließen sich nur auf erotischem Gebiet erringen. Die Liebe wurde zu einem kunstvollen Gesellschaftsspiel verfeinert, in dem Stolz und Eitelkeit befriedigt werden konnten. Die Kehrseite der eitlen Verspieltheit aber waren Gefühllosigkeit, Zynismus, Leichtfertigkeit und Verachtung.

Laclos zeigt auch, dass in dieser patriarchalischen Gesellschaft ein Mann mit vielen Affären ein gefürchteter und gefeierter Held (ein sogenannter roué wie Valmont) war, die Frau aber eine Hure. Merteuil ist eine überaus intelligente Frau, die das ungerechte System durchschaut. Ihr Hass auf die privilegierten Männer und ihr Untergraben dieser Privilegien, indem sie mit Hilfe von Intrigen und Erpressungen lieben kann, ohne ihren Ruf zu beflecken, sind durch das System erzwungen. Für sie ist die Liebe kein Spielfeld sondern ein Kriegsschauplatz der Geschlechter.


Fazit

Laclos’ Briefroman und Sittengemälde Gefährliche Liebschaften ist ein Klassiker der Weltliteratur, der nicht nur immer wieder neu übersetzt, sondern auch für das Theater und den Film bearbeitet wird. Am bekanntesten dürfte er heute durch die Verfilmungen von Stephen Frears ("Gefährliche Liebschaften", 1988), Miloš Forman ("Valmont", 1989) und Roger Kumble ("Eiskalte Engel", 1999) sein.


Pro und Kontra

+ anspruchsvolle und sinnliche Sprache
+ einer der schönsten und besten Briefromane der Literaturgeschichte

Wertung: sterne5

Inhalt: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5