Der Brenner und der liebe Gott (Wolf Haas)


Hoffmann und Campe 2009
224 Seiten, gebunden
ISBN 979-3-455-40189-9
Preis: € 18,99 (D)

Genre: Krimi

Rezension

"Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen" – so meldet sich Wolf Haas' Erzähler mit einem neuen Roman über den Brenner zurück. Der heißt inzwischen Herr Simon, nimmt seine Tabletten, raucht und trinkt nicht mehr und ist eigentlich sehr zufrieden mit seinem neuen Job: Als Chauffeur des Bauunternehmers Kressdorf mit dem zweijährigen Kressdorfkind zwischen Kitzbühel, München und Wien herumfahren und sich und dem Mädchen ab und zu ein paar aufdringliche Rosenkranzrowdys vor der Wiener Abtreibungsklinik der jungen Frau Doktor Kressdorf vom Leibe halten.

Aber wenn jemand so brav seine Tabletten nimmt wie der Brenner, kann es schon einmal passieren, dass er am Vorabend vergisst, für die nächste Autobahnfahrt zu tanken. Und wenn jemand auch noch so lange wie der Brenner braucht, sich im Tankstellenshop für die richtige Sorte verbotener Schokolade für das kleine Mädchen im Auto zu entscheiden, kann es schon passieren, dass das Auto leer ist, wenn er zurückkommt.

Haben die Abtreibungsgegner Helena mitgenommen? Oder doch die Gegner von Kressdorfs neuem Großprojekt im Wiener Prater? Oder war es am Ende gar der liebe Gott, der das Kind der Abtreibungsärztin verschwinden hat lassen – ausgleichende Gerechtigkeit? Zwischen den Schuldgefühlen und der Angst um Helena kommt doch wieder der Detektiv beim Brenner durch und er macht sich abseits der offiziellen Ermittlungen auf eigene Faust auf die Suche nach seinem Schützling. Der Weg führt durch Schrebergärten, Diskos, Jagdhütten, Kofferräume und noch viel dunklere Orte – kann es dem Brenner mit seiner etwas unbeholfenen, aber sturen Art gelingen, das Kind wieder zu finden?

Wolf Haas' neuer (alter) Brennerkrimi (lag schon vor "Das Wetter vor 15 Jahren" fertig, aber verleumdet in der Lade), kann mit den vorangegangenen locker mithalten. Auch bei diesem Roman sind es Hauptperson und besonders Erzähler, die die Geschichte von üblichen Krimis abheben: Dieses Buch kommt ganz ohne spektakuläre Handlungsstränge und "special effects" aus und verlässt sich ganz auf den Erzähler.

Und auf den lässt man sich sofort ein – ganz so, als würde sich da jemand hinsetzen und eine Geschichte erzählen, und zwar so gekonnt, dass man sofort in seinen Bann gezogen wird. Dabei gibt der Brennerkrimierzähler nie zu viel preis, aber immer genug, merkt mit Kennerblick an, führt Regie über das Geschehen und nimmt das Leben auseinander, um es für den Leser wieder zusammenzusetzen. Trotz des deutlichen Abstandes zwischen Protagonisten und Erzähler wird so geschickt vermittelt, dass der Leser doch mitfühlen kann.

Auch in diesem Buch trifft man auf die den Brennerkrimis typische Sprache und die, nennen wir es Gedankenschleifen oder "conceits", die eigentümliche Belegung unverwandter Dinge mit einer verbindenden Bedeutung, und wieder liefert Haas bissig-scharfsinnige Gesellschafts- und Menschenportraits mit viel trockenem Witz und schwarzem Humor und stellt einmal mehr seine Beobachtungsgabe unter Beweis.

Fazit

Flott ausgelesen – Wolf Haas brilliert auch diesmal: Ohne jede Schwäche erzählt, ein wunderbar unterhaltsamer, unkonventioneller Krimi, der trotz sieben Leichen ohne grausame Details und Effekthascherei auskommt, dafür einen sehr menschlichen, beinah tragikomisch-alltäglichen "Helden" präsentiert und einen unwiderstehlichen, trockenen Erzähler, der aufs Trefflichste überspitzt und den Nagel auf den Kopf trifft – und dabei trotzdem Platz für das fast Behutsame, Leise hinter der Handlung lässt. Sehr gut geschrieben, sehr gern gelesen.

Bewertung

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5