Robert Corvus (25.02.2015)

Interview mit Robert Corvus

Literatopia: Hallo, Robert! In Deinem kürzlich erschienenen Roman „Grauwacht“ dauert ein Tag-Nacht-Zyklus so lange wie ein Menschenleben – wie wirkt sich das auf Deine Welt Bisola, auf Flora und Fauna aus?

Robert CorvusRobert Corvus: So lange Perioden von Dunkelheit und Sonnenschein führen zu Extremen in Hitze und Kälte. Tag und Nacht sind dort weniger Zeiträume als Gebiete, Länder, die sich sehr langsam verschieben. Im Zentrum des Tags kocht das Meer.

Auch der Wind wird durch diesen Umstand geprägt: Nahe am Boden weht er von der Nacht in den Tag. Dort erwärmt sich die Luft, steigt auf und strömt zurück in die Nacht, wobei sie Feuchtigkeit mitbringt. Diese regnet – oder besser: schneit – nahe der Dämmerungszonen ab, was zu Bergen aus Eis und Schnee führt. Weiter im Innern der Nacht sind diese meist abgeschliffen.

In der Eiswüste der Nacht sammelt sich das Leben um Wärmequellen. Das kann eine Meeresströmung sein, aber auch ein Ort vulkanischer Aktivität. Wegen des fehlenden Sonnenlichts gedeihen kaum grüne Pflanzen, Flechten und Pilze dominieren.

Im Tag hat die Flora ein anderes Problem: Alle dreißig Jahre bricht eine Eiszeit an, die dann wiederum dreißig Jahre andauert, bevor es wieder taut. Die Pflanzen müssen diese Perioden als Samen im Boden überdauern und die Jahrzehnte des Tags möglichst effizient nutzen. Es gibt also keine hundertjährigen Bäume, wohl aber welche, die im Kampf um das begehrte Sonnenlicht sehr schnell wachsen.

Die Tiere, die im Tag leben und die Hitze oder zumindest Wärme gewohnt sind, müssen vor dem Eis der Nacht zurückweichen. Irgendwann finden sie sich an einem Strand wieder, werden also früher oder später ins Meer ›gedrängt‹. Deswegen gibt es im Tag keine landlebenden Säugetiere – sie könnten die Wanderung nicht mitmachen, die alles Leben auf Bisola prägt. Auch Reptilien haben es schwer, aber Amphibien, Insekten und Vögel gibt es in Massen.
In der Nacht dagegen können Säugetiere überleben, die sich an die Kälte und das karge Nahrungsangebot angepasst haben. Auf dem gefrorenen Meer wandern sie immer weiter nach Westen.

Literatopia: Wie überleben die Menschen in dieser unvorstellbar langen Nacht? Und wo gehen sie hin, wenn in der Tagphase die amphibischen Sasseks auftreten?

Robert Corvus: Auch die Menschen wandern mit der Nacht. Sie sehen also niemals die Sonne aufgehen. Wenn die Morgendämmerung naht, ziehen sie weiter.

In der Regel suchen sie sich warme Orte und errichten dort Siedlungen, in denen sie dann einige Zeit leben können. In GRAUWACHT wird ein Dorf vorgestellt, das an einem Magmastrom errichtet ist. Oft stößt man an solchen Stellen auf Überreste früherer Siedlungen, die man nutzen kann.

Es gibt auch so genannte ›Refugios‹. Sie werden von einem geheimnisvollen Geflecht intakt gehalten. Es handelt sich um Höhlen, in denen Licht aus den Strängen des Geflechts scheint, sodass man sogar Pflanzen anbauen kann, die eigentlich nur im Tag gedeihen – beispielsweise Roggen. Zudem sind die Refugios warm, ständig mit Frischluft versorgt und bieten weitere Annehmlichkeiten. Auch sie müssen aber geräumt werden, wenn die Morgendämmerung kommt.
Dann ziehen die betroffenen Menschen weiter in die Nacht, was sie zumindest vorübergehend zu Nomaden auf dem Eis macht. Ein hartes Leben, das viele Opfer fordert.

Zudem gibt es auf Bisole elf geheimnisvolle Städte, die Metropolen. Sie bieten höchsten Komfort, weil dienstbare Geister (im Wortsinne) die Wünsche ihrer Besitzer erfüllen. Auch solcher Besitz ist aber durch den Wechsel von Tag und Nacht zeitlich begrenzt.

Ein uralter Pakt sieht nämlich vor, dass den Menschen die Nacht und den Sasseks der Tag gehört. Die titelgebende Grauwacht stellt die Einhaltung dieses Abkommens sicher. Ihre Kämpfer sind jedem anderen Bewohner Bisolas weit überlegen, was Reflexe, Sinneswahrnehmungen und Bewaffnung angeht.

Literatopia: Wie dürfen wir uns die Sasseks vorstellen? Welche amphibischen Attribute hat diese Rasse? Und sehen sie trotzdem humanoid aus?

Robert Corvus: Sasseks gehen aufrecht auf zwei Beinen und sind etwas kleiner als Menschen. An den Handgelenken können sie Sporne ausklappen, zwischen Zehen und Fingern befinden sich Schwimmhäute. Sie können ihre Nasenlöcher verschließen und sehr lange unter Wasser bleiben. Manche gehen eine Symbiose mit einem bestimmten Moos ein, das dann zwischen zwei Hautschichten wächst und ein Sonnenbad zu einer leckeren Angelegenheit macht. Die wechselwarmen Sasseks mögen die Hitze und werden in der Kälte träge.

Der vielleicht bedeutsamste Unterschied zu Menschen besteht darin, dass Sasseks mehrfach das Geschlecht wechseln. Zunächst sind sie geschlechtslos, verfügen über Kiemen und leben, sich selbst überlassen, im Meer. Wenn sie an Land kommen, schließen sie sich einem Stamm an und werden nach der ersten Häutung weiblich. Darauf folgen zwei männliche und abschließend im hohen Alter eine geschlechtslose Phase. Alle diese Entwicklungsstufen werden von einer etwas anderen körperlichen Erscheinung begleitet.

Die Stämme der Sasseks sammeln sich um Memores, weise Individuen, die die Tradition durch mündlich überlieferte Geschichten bewahren. Eine solche Tradition ist die Furcht vor allem, was blau ist (mit Ausnahme des Himmels und des Wassers). Die Sasseks kennen eine Organisation von Sittenwächtern, die nicht in die Stämme eingebunden ist. Diese bestehen darauf, alle blauen Dinge zu verbrennen.

Literatopia: Als ein seltsames blaues Licht die Nacht erhellt, wird der Frieden zwischen den Völkern auf die Probe gestellt – warum? Was bewirkt dieses blaue Licht?

Robert Corvus: Zunächst entdeckt man das blaue Licht auf den beiden Monden, die über Bisolas Himmel ziehen. Diese Veränderung ist den Menschen unheimlich, aber zum Problem wird die Erscheinung im Bereich der Abenddämmerung. Dort warten Menschen darauf, dass die Nacht voranschreitet, damit sie das neue Gebiet in Besitz nehmen können. Aber dieses Voranschreiten verzögert sich – vor der Dunkelheit breitet sich jetzt ebenfalls blaues Licht aus. Während die Nacht in der Morgendämmerung wie gehabt Territorium verliert, fehlt nun der Ausgleich an der anderen Seite.

Auch bei den Sasseks löst das Phänomen des blauen Lichts gewaltige Unruhe aus, aber aus einem anderen Grund. Da diese Farbe bei ihnen seit jeher verflucht ist, gilt die Erscheinung vielen als Mahnung, zur Sittsamkeit zurückzukehren – oder fürchterlichen Strafen entgegenzusehen. Ihre Sittenwächter verzweifeln daran, dass ihre Aufgabe im Verbrennen des Blaus besteht – aber wie kann man einen Mond in Brand stecken?

Einige stellen sich auch die Frage, weshalb das Blau eigentlich so gefürchtet wird. Das ist eines der Rätsel, denen der Leser in GRAUWACHT auf der Spur ist.

Literatopia: Wie ist die Idee mit diesem außergewöhnlichen Tag-Nacht-Zyklus entstanden? Und war es schwierig, diese Idee im Roman umzusetzen?

Robert Corvus: Der Keim von GRAUWACHT war der Gedanke, eine neutrale Truppe in einer Fantasygeschichte zu etablieren. Sie sollte zwischen den Fronten stehen und ihre Angehörigen zwingen, auch einmal gegen diejenigen vorzugehen, die ihnen eigentlich verbunden sind.

Bei der Überlegung, wo diese Front verlaufen könnte, kommt man im Genre recht schnell auf das Gegensatzpaar Licht und Finsternis. Ich wollte von der Vorstellung abweichen, dass sich die Menschen von einem bösen Imperium bedroht sehen. Trotzdem gefiel mir das Bild mit Helligkeit und Dunkelheit. So kam ich auf Tag und Nacht, und um der Sache einen ungewöhnlichen Dreh zu geben, habe ich die Menschen in der Nacht angesiedelt. Diese muss lange andauern, damit man überhaupt langfristig angelegte Aktivitäten angehen kann. Um Häuser zu bauen, Sozialstrukturen zu etablieren und ähnliche Dinge in Angriff zu nehmen, braucht man eine gewisse Zeit. So kam der lange Tag-Nacht-Zyklus zustande, aus dem dann vieles folgte.

Die Umsetzung war durchaus herausfordernd, auch weil man sprachlich einige gewohnte Formulierungen überdenkt. Wenn ein Tag-Nacht-Zyklus ein Menschenleben lang dauert, verlieren Begriffe wie ›gestern‹, ›heute‹ und ›morgen‹ ihre Bedeutung. Davon abgesehen ist dieser Faktor eine Gegebenheit, die die Geschichte prägt. Das ist in anderen Geschichten auch der Fall. Immer kann man als Autor zunächst das Setting festlegen, muss dann aber auch die Konsequenzen tragen, sprich: die Auswirkungen der einmal getroffenen Setzungen berücksichtigen. Wenn ich beispielsweise eine Welt ohne Schießpulver beschreibe, dann kann es auf meinen Piratenschiffen keine Kanonendecks geben.

Literatopia: Im Juli 2015 erscheint bereits der nächste Roman von Dir: „Drachenmahr“. Kannst Du uns schon einen kleinen Ausblick geben?

Robert Corvus: Zarria, die Hauptfigur in DRACHENMAHR, hat kürzlich bei der Befreiung einer Entführten ein Auge verloren und wurde als Belohnung zum Leutnant der Stadtwache ernannt. Sie fremdelt noch etwas mit ihrer neuen Position, als Unruhe in die gewohnte Ordnung der Stadt kommt. Diese Stadt ist seit beinahe einhundert Jahren von der Außenwelt abgeschnitten, das Zerrissene Land, in dem Geister ihr Unwesen treiben, schließt sie ein. Die Geister haben jedoch Angst vor den Jungen des gewaltigen Drachen, der in der Kathedrale angekettet liegt. Diese Jungen schwärmen jede Nacht aus und plagen die Bürger mit Albträumen. Der Drache frisst sie und gebiert aus seinen Träumen Nahrung und andere Güter, die die Stadt am Leben halten. Dafür sorgt die uralte und boshafte Drachenmeisterin Josefa.

Aber die Geister scheinen ihre Furcht zu verlieren, und in der Stadt kommt es zu Morden an Patriziern. Zarria versucht, diese Vorgänge zu verstehen und die Zusammenhänge aufzudecken, wird jedoch schnell selbst zu einer entscheidenden Figur im Kampf um die Macht in der Stadt.

Literatopia: Wie schaffst Du es, so schnell neue Romane abzuliefern?

Robert Corvus: Ich war etwa fünfundzwanzig Jahre lang nebenberuflich Autor. Im Hauptberuf war ich Unternehmensberater und später Projektleiter. Dabei lernt man, seine Arbeit effizient zu organisieren und Leerzeiten zu vermeiden. Disziplin gehört natürlich dazu. Zudem lernt man, einen arbeitspsychologischen Effekt zu nutzen, den ›Flow‹. Das ist eine mentale Einstellung, in die man sich versetzen kann. Im ›Flow‹ fließt die Arbeit, man kombiniert Schnelligkeit und Qualität, indem man sich ganz in die Aufgabe hineinbegibt.

Wenn das immer perfekt funktionieren würde, könnte man fünf Seiten pro Stunde schreiben. Nach einem Arbeitstag von acht Stunden wären das vierzig Seiten, ein Roman bräuchte in der 400-Seiten-Rohfassung zehn Tage. Nimmt man sich die Wochenenden frei, ist die Sache also nach zwei Wochen auf der Festplatte.
Diese Ideallinie habe ich noch nie realisiert, aber es gibt einzelne Tage, an denen ich die dreißig Seiten überschreite, und fünfzehn Seiten sind in der Regel drin.

Literatopia: Wie viel änderst Du noch an der Rohfassung? Schleifst Du den entstandenen Roman nur noch zurecht oder werden ganze Kapitel umgeschrieben / rausgenommen / neu eingefügt?

Robert Corvus: Ich denke eher in Szenen als in Kapiteln. Eine Szene ist das, was im fertigen Roman zwischen zwei Trennzeichen steht – gern genommen werden die drei Sternchen ***. Meine Szenen sind meist etwa zehn Normseiten lang.
Oft kommen das Lektorat und ich zu dem Schluss, dass manche Aspekte der Geschichte intensiver herausgearbeitet werden sollten. Dann ist eine zusätzliche Szene, die eine weitere Sicht vorstellt, ein gern genommenes Mittel. In GRAUWACHT sind auf diese Weise die Interludien entstanden, diese waren also in der ersten Manuskriptfassung nicht enthalten.

Ansonsten ist die Überarbeitung eines Manuskripts bei mir eine großflächige Angelegenheit. Bevor ich den Text ins Lektorat gebe, überarbeite ich ihn wenigstens drei Mal komplett. Bei der ersten Durchsicht finde ich auf jeder Seite mehrere Sachen, die ich ändere. Das können Fehler in Rechtschreibung und Grammatik sein, aber auch Formulierungen, die ich treffender gestalten möchte. Die Anzahl der Korrekturen nimmt mit jedem Durchgang ab. Wenn wir mit dem Lektorat durch sind, mache ich noch einen abschließenden Durchgang, und auch die Umbruchfahne sehe ich noch einmal vollständig durch. In der Fahne gibt es dann aber nur noch etwa einen Änderungswunsch pro 10 Druckseiten, und da sich diese Korrekturen an manchen Stellen ballen, kann es schon einmal 50 und mehr Seiten ohne Änderungswünsche geben.

Während der Arbeit an der Rohfassung gibt es allerdings durchaus fundamentale Änderungen gegenüber dem Szenenplan, den ich bei der Erstellung des Exposees gemacht habe. Da verwerfe ich manchmal ganze Handlungsstränge oder flechte neue ein. Wenn die Änderungen sehr groß sind, halte ich Rücksprache mit dem Lektorat.

Literatopia: Was inspiriert / unterstützt Dich beim Schreiben? Atmosphärische Orte, Ruhe, Musik? Eine bestimmte Tageszeit, zum Beispiel spät abends?

Robert Corvus: Grundsätzlich kann ich immer und überall schreiben. Meistens tue ich es zu Hause in meinem Arbeitszimmer und höre dabei mit dem Kopfhörer laute Musik für Leute mit langen Haaren. Je besser der Schreibfluss ist, desto höher schiebe ich den Lautstärkeregler. Oft höre ich pro Roman nur wenige Lieder in Endlosschleife. Das hat auch den Vorteil, dass ich immer wieder in die gleiche Stimmung komme, die dann letztlich die Geschichte trägt. Bei GRAUWACHT habe ich zum Beispiel ›Love is strong‹ von den Rolling Stones gehört, ein für meine Verhältnisse sehr ruhiges Lied.

Ich beginne typischerweise unmittelbar nach dem Aufstehen mit dem Schreiben und bleibe bis zum Mittagessen am Ball. Danach folgt eine Pause bis 16:00 Uhr, in der wenig am Manuskript passiert. Ich mache Mittagsschlaf oder bastele an meiner Homepage. Dann schreibe ich wieder bis 20:00, wenn es gut läuft auch länger, aber selten über 23:00 Uhr hinaus.

Literatopia: Ist es in Zeiten des Internets für einen Autor eher leichter (man erreicht viel mehr Leute auf einmal) oder schwerer (man geht in der Masse unter), seinem Buch Aufmerksamkeit zu verschaffen? Und hat sich der Buchmarkt in den letzten zehn Jahren stark verändert?

stardust corvusRobert Corvus: Obwohl ich bereits Mitte der 1990er meine erste Homepage online hatte und als Diplom-Wirtschaftsinformatiker durchaus vom Fach bin, fällt es mir schwer, einzuschätzen, welchen Effekt das Internet konkret hat. Das gilt für die Politik, wo im WWW die Radikalen und Extremisten die Lufthoheit haben, ohne dass sich das in Wahlergebnissen widerspiegeln würde. Auch bei den Büchern ist der Effekt nicht eindeutig erkennbar. Was im WWW hochgelobt, mit unzähligen Likes versehen und von allen Buchbloggern gefeiert wird, muss in der ›echten Welt‹ der Verkaufszahlen noch lange kein Erfolg sein, und auch die Umkehrung gilt. Ich kenne einen Kollegen, der ausschließlich Kurzgeschichten bei Amazon als eBook veröffentlicht. Selbst er stellt keinerlei Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Bewertung in den Kundenrezensionen und dem Verkaufserfolg seiner jeweiligen Titel fest. Da frage ich mich, wem dieser ganze Zinnober überhaupt dient.

Was die Veröffentlichungsmöglichkeiten angeht, so ist es bestimmt einfacher für Selbstverleger und auch Kleinverlage geworden, die Werke an die Öffentlichkeit zu bekommen. Man muss sich dafür nicht mehr verschulden. Das ist vor allem für diejenigen schön, die mit viel Herzblut eine Nische bedienen, für die kein tragfähiger Markt existiert, oder die in solchen Nischen nach Lesestoff suchen. Insgesamt wird die Literaturlandschaft dadurch vielfältiger, was für alle ein Gewinn ist.
Wenn also die Frage ist: Kann man leichter einen Titel der Öffentlichkeit vorstellen? Dann ist die Antwort: Ja, das ist eine völlig andere Welt als vor zehn Jahren. Falls es aber darum geht, ob man mit dem Schreiben Geld verdient, sodass man es neben- oder hauptberuflich betreiben kann, dann scheint mir kaum eine Veränderung eingetreten zu sein.

Das eBook als Publikationsmöglichkeit ist inzwischen nicht mehr wegzudenken. Die Tantiemen aus diesem Bereich sind ein erheblicher Teil meines Einkommens, und gerade im niedrigpreisigen Segment kann dieses Format überzeugen. In gewisser Weise ist das eBook die Wiedergeburt des Heftromans, auch wegen der unbegrenzten Lieferbarkeit, sodass man Lücken in einer Sammlung jederzeit problemlos schließen kann. Ob sich dieser Effekt allerdings auch für Newcomer positiv auswirkt, ist eher fraglich – auch hier ist die Konkurrenz riesig.

Literatopia: Früher zählte „Perry Rhodan“ zu Deinen engen Freunden und inzwischen hast Du selbst Beiträge für die erfolgreiche Science-Fiction-Reihe verfasst. Was macht den Charme von „Perry Rhodan“ aus?

Robert Corvus: ›Perry Rhodan‹ transportiert eine positive Zukunftsvision, was zwischen den in der Science-Fiction üblichen Geschichten um machtbesessene Megakonzerne und gewaltige Weltraumschlachten hervorsticht. Bei ›Perry Rhodan‹ bricht die Menschheit zu den Sternen auf, um ihrer Neugier, vielleicht auch ihrer Bestimmung, zu folgen. Es gibt immer neue Rätsel, die oft Facetten des ›woher kommen wir?‹ und ›wohin gehen wir?‹, des ›warum gibt es uns?‹ sind. Seit 1961 hat sich dadurch ein einzigartiger kosmologisch-philosophischer Überbau mit Superintelligenzen, Kosmokraten und natürlich einer Vielzahl interstellarer Zivilisationen herausgebildet. Selbstverständlich herrscht kein Mangel an Konflikten, aber auffällig häufig werden sie durch Verständigung und Kooperation gelöst.

Zudem hat ›Perry Rhodan‹ eine Größe erreicht, bei der die Quantität zu einer eigenen Qualität wird. Seit 54 Jahren erscheint wöchentlich ein Heftroman (übrigens noch niemals mit auch nur einem Tag Verzögerung), dazu kommen mehrere Hundert Taschenbücher, Ablegerserien wie ›Atlan‹, die selbst über 800 Episoden geschafft hat, und vieles mehr. Dadurch ist ›Perry Rhodan‹ die längste zusammenhängende Erzählung seit Erfindung der Schrift – nirgendwo gab oder gibt es Vergleichbares.

Literatopia: Wie war es für Dich, selbst etwas über den Helden Deiner Jugend schreiben zu dürfen?

Robert Corvus: Ich habe einige Beiträge zu ›Perry Rhodan NEO‹ beigesteuert. Dazu muss man wissen, dass ›NEO‹ in einem Paralleluniversum ohne Berührung zur Hauptserie spielt und inzwischen munter auf die Jubiläumsnummer 100 zusteuert. Die ›Perry-Rhodan‹-Geschichte wird modernisiert neu erzählt, wobei man Elemente aus der Originalserie als Steinbruch nutzt.

Mir hat das riesigen Spaß gemacht, es war so etwas wie eine Rückkehr zu den Sternen, zu denen ich mich als Teenager geträumt habe. Zudem kann man in der gegenwartsnahen SF von ›Perry Rhodan NEO‹ schön Themen aufgreifen, die uns aktuell beschäftigen – etwa ein Russland, das wieder zu einem Zarenreich wird.

Mitte 2014 durfte ich auch zwei Heftromane zur Miniserie ›Stardust‹ beisteuern, die im Universum der Originalserie spielt. Auch das war eine interessante Aufgabe, wenn auch vom Feeling ganz anders, weil die Handlung mehrere Jahrtausende in der Zukunft stattfindet. Dadurch sind sehr abgedrehte Sachen möglich.

Literatopia: Religion spielt in Deinem Leben eine große Rolle – und Du bringst sie gerne in Deine Romane ein, wie beispielsweise in „Schattenkult“. Welcher finstere Glaube bestimmt dort das Leben Deiner Protagonisten?  

Robert Corvus: SCHATTENKULT spielt in einer einzigen Nacht in einem einzigen Palast, was eine sehr dichte Erzählweise ergibt. Neun Gesandtschaften treffen sich, um die Gunst eines unfehlbaren Orakels zu erringen. Acht dieser Gesandtschaften halten den Göttern die Treue, wobei diese Gottheiten bestimmte Aspekte der Natur oder des menschlichen Lebens abdecken. Dominant ist Terron, der Stiergott, dessen höchste Tugend die Stärke ist. Sein Sohn, ein Halbgott, führt die Göttergetreuen an.

Dem gegenüber steht die neunte Gesandtschaft, der Kult. Im Unterschied zu allen anderen lehnen seine Anhänger die Götter ab. Sie dienen den Schattenherren, Magiern, die sich mit ihrer Kunst die Unsterblichkeit erzwungen und ein despotisches Imperium errichtet haben. Der Kult verehrt sie und verschafft ihnen den Stoff, den sie sowohl zum Leben als auch zum Wirken ihrer Magie benötigen: fremde Lebenskraft.

Hinter den Schattenherren steht mit der Finsternis eine für den Menschen kaum zu erfassende Kraft. Durch die Protagonisten in SCHATTENKULT gewinnt der Leser vielfältige, teils widersprüchliche Sichtweisen auf diese Macht von Chaos, Möglichkeit und Verneinung. Welche davon richtig ist, hängt zu einem gewissen Grad auch von den Vorstellungen ab, die der Leser selbst mitbringt.

schattenkultLiteratopia: Schon in der „Schattenherren“-Trilogie taucht dieser Kult auf. Welche Rolle spielt er dort?

Robert Corvus: SCHATTENKULT und DIE SCHATTENHERREN teilen sich die gleiche Welt, sind aber in Bezug auf Figuren und die Handlung unabhängig. In der Trilogie liegt der Fokus auf dem Imperium der Schattenherren, das durch den Kult zu einem Gutteil stabilisiert wird. Die Schattenherren beherrschen dieses Imperium. Durch ihre Magie und gegen den Willen der Götter sind sie unsterblich geworden. Der Preis dafür ist menschliche Lebenskraft. Ihre Opfer altern schneller oder sterben sogar.

Soll eine solche Gesellschaft dauerhaft bestehen, darf die Zahl der Schattenherren nicht überhand nehmen. Es gibt also sehr viel mehr Menschen als Schattenherren im Imperium. Der Kult tritt an die Stelle der Religionen und sorgt dafür, dass die Untertanen gefügig bleiben, im Sinne der Schattenherren handeln und ihre Lebenskraft spenden. Extrem selten wird sogar ein treuer Diener selbst zu einem Schattenherrn erhoben, also unsterblich gemacht. Der Kult fördert auch negative Gefühle und vieles, das die Menschen voneinander fernhält, damit sie sich nicht gegen ihre Herrscher zusammentun.

Wer einen kleinen Eindruck von den Methoden des Kults bekommen möchte, kann sich das kostenlose eBook GIFTSCHATTEN anschauen. In der dort enthaltenen Kurzgeschichte begleitet der Leser eine Klerikerin des Kults auf ihrer ersten Mission.

Literatopia: Dein erster Roman war ein apokalyptischer Vampirthriller mit dem Titel „Sanguis B. Vampire erobern Köln“ – wie dürfen wir uns die Vampire in diesem Buch vorstellen? Beißen sie noch richtig zu?

Robert Corvus: In SANGUIS B. ist der Vampirismus eine Seuche, die sich explosionsartig ausbreitet. Das ist auch das Hauptproblem der Protagonisten: Jeder Vampir braucht jede Nacht frisches Blut. Die Opfer werden entweder selbst zu Vampiren oder sterben. Rasch wird deutlich, dass die Weltbevölkerung diese Entwicklung nur ein paar Monate durchhalten kann.

Damit hebt SANGUIS B. eine in Vampirgeschichten übliche Prämisse auf: Bei mir gibt es nicht nur ein paar wenige Vampire, es gibt keinen Mechanismus, der die Ausbreitung begrenzt oder das Phänomen im Verborgenen hält. Auch alte Lehrmeister fehlen, die Betroffenen müssen sich selbst zurechtfinden.

Die Hauptfiguren stammen aus dem studentischen Milieu Kölns, was dazu führt, dass sie die Geschehnisse aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten – je nach ihrem Fachgebiet. Sie gehen auch auf verschiedene Weise mit ihrem Schicksal um. Manche nehmen es an und sehen sich als Raubtiere am Ende der Nahrungskette, andere haben so große Bedenken, dass sie einen Selbstmord erwägen.

Literatopia: Und was hältst Du von vegetarischen Glitzervampiren?

Robert Corvus: Es mag überraschen, aber sie gefallen mir gut. Als Stephenie Meyer auf dem Literaturschiff im Rahmen der lit.cologne las, war ich einer von zwei Männern im Publikum. Das hat mir bei der anschließenden Signierstunde einen überraschten Blick der Autorin eingetragen.

Literatopia: Was genau gefällt Dir am Vampirbild von Stephenie Meyer?

Robert Corvus: Ich mag stimmige Weltentwürfe. Einen solchen liefert Meyer ab. Sie macht alles richtig, was das klassische Bild einer im Verborgenen lebenden Vampirgesellschaft mit kleinen Gruppen und alten Meistern, die über die Geheimhaltung wachen, angeht. Zudem bringt sie Modifikationen ein, die in der Logik ihrer Welt bleiben und dennoch überraschen, weil man automatisch in den bekannten Bahnen denkt. Beispielsweise gefällt mir gut, dass neu geschaffene Vampire bei Meyer besonders stark sind – sie haben noch viel von dem menschlichen Blut in sich, das ihnen Kraft gibt.

Auch unter dem Aspekt der Stimmung sind Meyers Geschichten konsistent. Sie sind romantisch mit einem Hauch sanften Grusels, und das wird nie gebrochen. Dennoch findet sich auch hier eine mutige und geglückte Variation. Die typische Liebesgeschichte endet mit der Hochzeit, aber Meyer zeigt im vierten Band ihrer Reihe, dass das nicht so sein muss, sondern man nach dem Ja-Wort noch einen kompletten Roman erzählen kann, ohne die Stimmung zu opfern.

Literatopia: Was reizt Dich persönlich an der Phantastik in all ihren Ausprägungen?

Robert Corvus: Man kann sich die literarische Welt so bauen, dass sie wie ein Vergrößerungsglas für diejenigen Aspekte der Geschichte wirkt, die einem wichtig sind. Auch in der realen Welt gibt es rücksichtslose Menschen, aber im Vergleich zur Skrupellosigkeit eines Schattenherrn, der Tausende tötet, um sein eigenes Leben zu verlängern, ist deren Verhalten beinahe harmlos. In der Realität tun viele Menschen jeden Tag viele gute Dinge, aber in der Fantasy retten die Protagonisten die Welt.

Man kann in sehr plastischer Form den Bildern begegnen, die die menschliche Seele prägen. Nicht umsonst ähnelt das Personal von Fantasygeschichten psychologischen Archetypen. Der Zauberer, das Monster, die Hohepriesterin ... Das sind starke Motive, weil diese Muster und Vorstellungen tief in unserer Vorstellungswelt verankert sind. Sie verleihen Fantasygeschichten eine besondere Wucht.

In der Science-Fiction kann man Aspekte unserer Welt weiterdenken. In GIER beschreibe ich eine Plutokratie, in ZORN einen von einem Kastenwesen geprägten Maoismus. Das ermuntert mich als Autor, mich in ein System fremder Prämissen hineinzudenken. Gerade wenn ich eine Gesellschaftsform beschriebe, die ich persönlich ablehne, ist es spannend, zu entdecken, was für diese Art zu leben spricht. In meinem Maoismus gibt es beispielsweise deutlich weniger Verkehrstote, weil es viel mehr öffentlichen Verkehr gibt, in dem Profis die Fahrzeuge lenken.

Ich schätze auch sehr, dass man in der fantastischen Literatur unerwünschte Konnotationen weglassen kann. Gerade bei Kriegsgeschichten ist das angenehm. Im ISENBORN-Zyklus kämpfen Ritter gegen Goblins. Das ist frei von den Untertönen, die mitschwingen würden, wenn Franzosen gegen Kambodschaner stünden.

Literatopia: Früher hast Du in Hinterzimmern diverser Cafés Deine Werke vorgelesen – handelte es sich um Gedichte und Kurzgeschichten? War es eine Überwindung für Dich, etwas selbst Verfasstes vorzulesen? Und wie waren die Reaktionen auf Deinen ersten Auftritt?

Robert Corvus: Ich schreibe kaum Gedichte, entsprechend selten habe ich welche vorgetragen. Den Hauptanteil machten Kurzgeschichten und Romanfragmente aus.

Ich habe kein Problem damit, auf einer Bühne zu stehen. Ich erwarte nicht, jeden Zuhörer überzeugen zu können. Deswegen bin ich auch nicht übermäßig enttäuscht, wenn nicht alle auf die Tische springen und mir zujubeln. Ich weiß von meinem ersten Auftritt eigentlich nur noch, wo er stattfand: im Blue Shell, einem Kölner Club. Dort wurde ein Billardtisch mit einer Holzplatte abgedeckt, darauf stellte man einen Lesetisch mit Stuhl, Lampe und Mikrofon. Jeder bekam zehn Minuten Zeit.

Die Reaktion auf meine ersten Texte war vermutlich eher nichtssagend. Als ich aus SANGUIS B. vorgelesen habe, erntete ich aber viel Zuspruch.

Im Café Storch ging nach der Mitternachtslesung ein Hut rum und der Wirt verteilte den Erlös an die Vortragenden (ich glaube, das macht er noch immer so). Ich bekam bei meiner ersten Lesung dort zehn D-Mark – wenn ich mich recht entsinne meine ersten Einnahmen als Schriftsteller – und berichtete stolz meiner Mutter. Die war allerdings entsetzt: »Müssen die jetzt schon mit dem Hut für dich sammeln?«

Literatopia: Und zu guter Letzt: Gibt es Autoren, die Du als Vorbilder betrachtest oder die Dich zumindest stark beeinflusst haben? Und hast Du vielleicht ein Lieblingsbuch, von dem Du uns erzählen würdest?

Robert Corvus: Ich lese sehr gern und meistens auch Romane in der Richtung, die ich selbst schreibe. Grundsätzlich macht man wohl auch nichts falsch, wenn man zu den bekannten und erfolgreichen Autoren greift – hinter jedem Erfolg stecken viele Gründe, und die Qualität in einem oder mehreren Bereichen zählt sicher dazu.

Von den weniger bekannten oder aktuellen Autoren empfehle ich vor allem zwei. David Brin kann Sense of Wonder erzeugen wie kein Zweiter. Nirgendwo habe ich fremde Kulturen so plastisch, glaubhaft und zugleich exotisch erlebt wie bei ihm. Die meisten Protagonisten in ›Sternenflut‹ sind genetisch optimierte Delfine, die die Besatzung eines notgewasserten Raumschiffs bilden. Ihr Denken und Fühlen vermittelt tatsächlich den Eindruck: Jawohl, das sind keine Menschen, und solch eine Lebenseinstellung passt zu einem Delfin. Dennoch ist hochplausibel, dass sie sich mit Strategie, Forscherdrang und Raumfahrttechnologie beschäftigen.

Frank Herberts ›Wüstenplanet‹-Zyklus gehört zu den großen Klassikern der Science-Fiction, obwohl Technik kaum eine Rolle spielt. Wer sich für Religion als soziologisches Phänomen interessiert, ist dort richtig. Auch literarisch Interessierte werden fündig. Sind die ersten drei Bände noch recht konventionelle Geschichten, handelt es sich bei ›Der Gottkaiser des Wüstenplaneten‹ um einen Dialogroman – er besteht also beinahe vollständig aus Gesprächen. Faszinierend, sich anzuschauen, wie das funktioniert. Noch abgedrehter sind der fünfte und sechste Band. Im Grunde geht es um philosophische Diskurse, aber auf Basis von Denkschulen, die es in der realen Welt überhaupt nicht gibt.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Robert Corvus: Ich bedanke mich und wünsche allen Euren Lesern, dass sie stets ein interessantes Buch in Reichweite haben.


Autorenfoto: Copyright by Robert Corvus

Autorenhomepage: http://www.robertcorvus.net

Rezension zu "Feind - Die Schattenherren"


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.