Gretel and the Dark (Eliza Granville)

Granville E-Gretel and the Dark

Verlag: Hamish Hamilton, 1. Auflage, Februar 2014
Gebundene Ausgabe, 368 Seiten,
15,98 Euro [D] *
ISBN-13: 978-0-241-14645-3
Nur auf Englisch erhältlich

Genre: Belletristik


Klappentext

Vienna, 1899. Josef Breuer—celebrated psychoanalyst—is about to encounter his strangest case yet. Found by the lunatic asylum, thin, head shaved, she claims to have no name, no feelings—to be, in fact, not even human. Intrigued, Breuer determines to fathom the roots of her disturbance.

Years later, in Germany, we meet Krysta. Krysta’s Papa is busy working in the infirmary with the ‘animal people,’ so little Krysta plays alone, lost in the stories of Hansel and Gretel, the Pied Piper, and more. And when everything changes and the world around her becomes as frightening as any fairy tale, Krysta finds her imagination holds powers beyond what she could have ever guessed.


Die Autorin

Eliza Granville has had a life-long fascination with the enduring quality of fairytales and their symbolism, and the idea for Gretel and the Dark was sparked when she became interested in the emphasis placed on these stories during the Third Reich. Granville was born in Worcestershire and currently lives in the Welsh Marches.


Rezension

Der Roman Gretel and the Dark erzählt parallel zwei Geschichten. Ein Teil spielt im Jahr 1899: Der Wiener Psychoanalytiker Josef Breuer bekommt eine neue, sehr schwierige Patientin. Im Wald wird eine nackte Frau gefunden, bewusstlos und schwer verletzt. In der Obhut von Breuer soll sie sich erholen, während der Arzt versucht, hinter das Geheimnis der jungen Frau zu kommen. Diese gibt an, eine Maschine zu sein, die zu einem bestimmten Zweck erschaffen und nach Wien geschickt wurde. Sie soll das Monster töten, bevor es zu seiner wahren Stärke heranwachsen kann. Der Analytiker ist fasziniert von der gebrechlichen Gestalt und verfällt ihr zusehends. Sein ursprüngliches Vorhaben, hinter ihr Geheimnis zu kommen, tritt zunehmend in den Hintergrund, während er versucht, sie für sich zu gewinnen. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs lebt die junge Krysta in Wien. Nach dem Tod der Mutter lebt sie allein bei ihrem Vater, der als Arzt tätig ist. In seiner Abwesenheit wird Krysta von diversen Hausmädchen erzogen, wobei Greet, ein Kindermädchen voller düsterer Märchen, den größten Eindruck bei dem Kind hinterlässt. Die Märchen, teils blutig, teils bedrohlich haben den Zweck, dem Kind Manieren beizubringen. Während der Vater arbeitet, zeigt Krysta Zuhause dem Personal ihren verzogenen, egoistischen Charakter – nichtsahnend auf was für ein Schicksal sie zusteuert

Eliza Granville gelingt mit Gretel and the Dark etwas geradezu Unmögliche - für mich persönlich eine Premiere. Denn mit dem Ende des Buches wurde meine Meinung und somit die gesamte Rezension, die ich im Kopf hatte, auf ebendiesen gestellt, so verblüffend und atemberaubend zugleich führt sie die beiden Geschichten – Krysta und die Namenlose - zu einer Auflösung. Dies ist bemerkenswert, aber macht es auch sehr schwierig diese Rezension zu schreiben, ohne in die Irrezuleiten oder zu viel zu verraten.

Einem Märchen ähnlich beginnt Granville ihre Geschichte mit einem mysteriösen Prolog, in dem zwei Kinder vor einer unbekannten Gewalt/Person fliehen. Sie sind verletzt und ausgehungert. Mit sich schleppen sie einen nicht näher beschriebenen Schatten “Schatten”, während sie sich mit Geschichten die Zeit vertreiben. Von diesem Prolog geht es weiter nach Wien zu Josef Breuer, der über die Namenlose nachgrübelt, die vor einigen Tagen zu ihm gebracht wurde. Lilie nennt er sie – nur der erste Schritt auf seinem Weg der jungen Frau verfallen. Von nun an wird der Leser zwischen den beiden Geschichten, zwischen Lilie und Krysta, wie ein PingPong-Ball hin und her geschlagen. Während man die Seiten umblättert, den Geschehnissen in Josefs Haus folgt und liest, wie Krysta die Angestellten ihres Vaters zur gleichen Zeit ärgert und seltsame Märchen zusammenphantasiert, fragt man sich zunehmend, wie diese beiden Geschichten noch zusammengebracht werden sollen. Denn abgesehen von der gleichen düsteren, leicht verstörenden Atmosphäre scheinen die beiden Geschichten wenig gemeinsam zu haben. Letztendlich war es mehr diese Irritation als die Geschichten selbst, die mich dazu brachte, immer weiterzublättern. Am Ende wird man mit dann auch mit dieser großartigen Auflösung belohnt, die einem das Buch noch einmal lesen lassen möchte, um die versteckten Hinweise und die Symbolik neu zu entdecken.

Trotz zweier Erzählstränge, schafft es keiner der Charaktere wirklich die Sympathie des Lesers zu gewinnen. Breuer ist zwar grundsätzlich gut, aber auf der anderen Seite zu egozentrisch, seine Absichten und die Dinge, die er tut, um sie zu erreichen zunehmend abstoßend. Wechselnde Perspektiven sorgen dafür, dass auch Josefs Schützling Lilia wenig Farbe bekommt, während Krystas penetrante und ungezogene Art einem bald auf die Nerven geht – wie es Kinder eben tun.
Trotz fehlender Helden schafft es Gretel and the Dark den Leser in seinen Bann zu ziehen. Dieses leichte Kratzen an den Charakteren sowie der ausschweifende Stil Granvilles geben einem das Gefühl, ein modernes Märchen vor sich zu haben. Ein erwachsenes Märchen, am Rande des Nationalsozialismus mit seinen menschlichen Abgründen – mal offen gezeigt, doch meistens nur angedeutet. Es sind diese dezenten Andeutungen und die wachsende Erwartung, wie sich die beiden Geschichten letztendlich auflösen, die den Reiz des Buches ausmachen. Ebenso faszinierend sind die Märchen in dem Buch, die sich Krysta erzählt, sei es um die Welt um sich herum verarbeiten oder ihr zu entkommen. Sie sind brutal und fern jeglicher weichgespülten Verfilmung, einzigartig und immer auf die Situation zugeschnitten.So wird Gretel and the Dark zu einer Sammlung von Märchen ähnlich einer oskuren Version von Tausend und einer Nacht. Passend dazu ist der Einband nicht nur in schwarz und silber gehalten. Der Verlag hat für das Hardcover einen rauen Karton verwendet, der das Buch ein den Eindruck würdigen Alters gibt.


Fazit

Gretel and the Dark ist so dunkel wie es der Titel prophezeit. Eliza Granville erzählt parallel zwei Geschichten, die auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam haben, sich aber um die Abgründe des Holocaust, Menschlichkeit und die Kraft der Fantasy drehen. Die Geschichte ist ebenso komplex wie ihre Charaktere und schafft gegen Ende eine Auflösung, die nicht nur überrascht und aufwühlt, sondern die Geschichte auf ein erinnerungswürdiges Level hebt.


Pro/Contra

+ eine neue sehr dezent erzählte Holocaust-Geschichte ähnlich Zusaks Bücherdiebin.
+ phantastische Auflösung der beiden Erzählstränge
+ ein Märchen für Erwachsene mit vielen versteckten Andeutungen

o ambivalente Charaktere

- zwei getrennte Geschichten
- Krysta strapaziert die Geduld des Lesers

Bewertung: sterne4

Charaktere: 3,5/5
Handlung: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5