Sequana (Léo Henry, Stéphane Perger)

Verlag: Splitter-Verlag (März 2015)
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten; 29,80 €
ISBN-13: 978-3958390454

Genre: Stadtchronik/Drama


Klappentext

Im Januar 1910 tritt die Seine über die Ufer und überflutet die Hauptstadt. Diese Jahrhundertüberschwemmung erschüttert die soziale Ordnung und verändert das Verhalten der Einwohner schlagartig. Ein Zufall? Ein Zeichen des Himmels?

Im unter Wasser stehenden Paris führt das Schicksal drei Personen zusammen, die sich andernfalls niemals begegnet wären: Monsignore Chelles, hochrangiger Kleriker, Jean Faure, Mörder auf der Flucht, und Alice Treignac, Tochter aus gutem Hause, die sich das ehrgeizige Ziel gesteckt hat, die erste Ärztin Frankreichs zu werden.

Eine stimmungsvolle und zugleich spannende Stadtchronik für alle Paris-Fans und jene, die es werden wollen!


Rezension

1910 brach über Paris eine Naturkatastrophe herein, die dafür sorgte, dass die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Die Seine stieg über die Ufer und setzte so gut wie alle Straßen unter Wasser. Einen Weg nach draußen gab es praktisch nicht mehr. Inmitten des entstehenden Chaos lässt Autor Léo Henry drei verschiedene Persönlichkeiten aufeinanderprallen, die ohne die Flut vielleicht nie miteinander zu tun gehabt hätten. Da spielt die alte keltische Göttin Sequana, die die Seine verkörpert eine entscheidende Rolle, sowohl als Fluss als auch als übergeordnetes, strafendes Wesen in den Vorstellungen eines Mannes.
Jean Faure wird mehr oder weniger irrtümlich verdächtigt einen Mord begangen zu haben. Er tötete ihn zwar, allerdings dies aus Versehen und aus Notwehr. Als einfacher Angestellter hat man dann schlechte Karten, wenn es einen der gehobenen Gesellschaft trifft und so befindet er sich auf der Flucht. Ebenso Alice Treignac, die vor dem typischen Leben einer Frau aus gutem Hause fliehen möchte. Sie will Ärztin werden, koste es was, was es wolle. Wenn sie dabei ihren Verehrer, der Sohn eines Polizisten ist, vor den Kopf stoßen muss, ist das halt so. Faure und Alice treffen sich zufällig, als Faure in einem Kampf zwischen zwei politischen Lagern verletzt wird und damit beginnen aufregende Stunden in der überfluteten Stadt, die sie auch nach Notre Dame und Monsignore Chelles führen. Dieser hat seine ganz eigenen Sichtweise auf die Flut.

Léo Henry erzählt im überfluteten Paris eine spannende Geschichte über Schuld und Sühne, Träume und Realität. Dabei greift er auf reale gesellschaftliche und politische Hintergründe zurück und bildet sie gekonnt ab. Im Lauf der Handlung bekommt der Leser einen guten Einblick von dem Leid der Bevölkerung und dem Verhalten der oberen Zehntausend in Zeiten der Not. Während die Armen und einfachen Menschen ums Überleben kämpfen, fliehen die Reichen aus der Stadt und der Zorn der Bevölkerung trifft durchaus auch Unschuldige. Die Stimmung ist extrem aufgeheizt und darin müssen sich Henrys Charaktere zurechtfinden. Jean Faure ist die tragische Figur, die die Handlung ins Rollen bringt. Er wird immer wieder hin- und hergeworfen von den Ereignissen. Viel anderes als sich auf sein Überleben zu konzentrieren, kann er eigentlich nicht tun. Alice Treignac ist da anders, sie nimmt ihr Leben in die Hand und versucht alles zum Besseren zu wenden, sofern es möglich ist. Obwohl sie so unterschiedlich sind und Faure Alice anfangs bedroht, finden sie doch Zugang zueinander und öffnen sich dem anderen.
Monsignore Chelles wirkt zunächst als wäre er relativ losgelöst von der Geschichte, hat später aber entscheidenden Einfluss auf die beiden anderen Hauptcharaktere. Er hat Visionen von Sequana der Göttin, die zu ihm spricht und erklärt, die Menschen hätten sie erzürnt. Die Flut sei die Strafe für ihr Handeln. Chelles steigert sich immer weiter hinein in seine Visionen, bis zur letzten Konsequenz. Damit übertritt er eine Grenze, die er als Priester nicht überschreiten darf.
Henrys Geschichte ist auf allen Ebenen wirklich spannend und er spart an den richtigen Stellen auch nicht mit der notwendigen Prise Politik und Intrigen. Seine Geschichte ist in allen Bereichen ausbalanciert, somit wird Sequana allein dadurch lesenswert.

Allerdings sind die Zeichnungen eines Stéphane Perger ein bei weitem größeres Argument mehr als einen Blick in Sequana zu werfen. Wie er den Comic gestaltet ist einfach fabelhaft. Wie die Seine über die Ufer trat und alles wegschwemmte, interessiert er sich nicht für Konventionen. Die Panels ordnet er auf äußerst kreative Art an. In einem großen befinden sich mitunter mehrere kleine, durch die er einzelne Elemente und Details hervorhebt. Teilweise verzichtet er ganz auf eine klare Abgrenzung. Dinge, die sonst nur nebenbei wahrgenommen werden, wie ein Stuhl oder ein Teller stellt er ins Zentrum und schafft das Kunststück damit mehr Atmosphäre zu schaffen, wie manch ein anderer mit einer ganzseitigen Zeichnung des Hauptcharakters. Die Bilder sind als Aquarelle zu erkennen und unterstützen die Geschichte aufgrund des Stils auf einmalige Art und Weise. Wenn sich Notre Dame im Wasser spiegelt und Stéphane Perger auf einer ganzen Seite die Spiegelung in den Mittelpunkt rückt, illustriert die Verzerrung Notre Dames auch gleichzeitig die Verzerrung der Wahrheit und der Realität innerhalb der Geschichte. Stéphane Perger muss nach dieser Leistung ganz klar zu den ganz großen der Comickunst gezählt werden. Bitte mehr von diesem Künstler veröffentlichen.

Im Anhang befindet sich noch eine Chronik der Flut, ganz im Stil einer damaligen Zeitung mit Werbeanzeigen und eine Übersicht über bekannte Persönlichkeiten.


Fazit

Eine überaus stimmungsvolle, atmosphärisch dichte Erzählung aus einem überfluteten Paris. Illustriert von Stéphane Perger, der unglaubliche Bilder abliefert und sich keiner Konvention unterwirft. Ein wahrer Augenschmaus. Da bleibt die Frage, warum es so lange mit einer deutschen Veröffentlichung gedauert hat.


Pro & Contra

+ unglaublich schöne Bilder
+ spannende Geschichte
+ jedes Bild ist ein Kunstwerk für sich

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Zeichnungen: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Literatopia-Links zu weiteren Titeln von Stéphane Perger:

Rezension zu Scotland Yard