Fiesta (Ernest Hemingway)

hemingway-fiesta

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg März 2015
Originaltitel: The Sun Also Rises (1926)
Neuübersetzung von Werner Schmitz
Taschenbuch, 317 Seiten
€ 9,99 [D] | € 10,30 [A] | 15,90 CHF
ISBN: 978-3-499-26912-7

Genre: Belletristik


Inhalt

Paris, 1924 oder 1925. Der Ich-Erzähler Jake Barnes, ein in Paris lebender US-Journalist, ist befreundet mit dem US-Schriftsteller Robert Cohn, einem reichen Juden, der in Princeton studiert hat, insbesondere aufgrund des allgegenwärtigen Antisemitismus’ ein geringes Selbstwertgefühl hat, unglücklich verheiratet ist. Beide sind Rivalen und spielen gemeinsam Tennis. Robert ist verlobt mit Frances Clyne, die ihn nach Paris begleitet hat, wo er an einem Roman arbeitet.

In einem Club trifft Jake eine Freundin wieder, die Brett genannte Engländerin Lady Ashley. Sie hat während des Ersten Weltkrieges in einem Militärkrankenhaus gearbeitet. Brett lebt in Scheidung und ist zusammen mit dem Schotten Mike Campbell, einem Weltkriegsveteranen und Alkoholiker, der sie heiraten will. Zwischendurch hat Brett Sex mit Robert, der sich in sie verliebt, und verbringt Zeit mit dem Grafen Mippipopoulos, einem wohlhabenden älteren Griechen.

Zum Freundes- und Bekanntenkreis Jakes gehören ferner die Schriftsteller Harvey Stone und Bill Gorton, der mit der jungen Amerikanerin Edna kurzzeitig liiert ist, die Pariser Prostituierte Georgette und der Engländer Harris. Man redet viel, verbringt die Nächte mit noch mehr Alkohol als die Tage. Irgendwann entwickelt sich eine Aufbruchstimmung. Jake, Robert und Bill fahren in das spanische Pamplona, wo eine große Fiesta bevorsteht. Später stoßen Brett und Mike dazu. Brett fühlt sich von dem jungen Matador Pedro Romero angezogen. Der neunzehnjährige Pedro will die vierunddreißigjährige Brett heiraten, sie aber will nur Sex mit ihm haben.


Rezension

Das Festival von San Fermin in der spanischen Stadt Pamplona wird jährlich abgehalten vom 6.-14. Juli, ist bei uns vermutlich insbesondere durch den "encierro" bekannt geworden, das Eintreiben der Stiere in die Arena, entlang eines Wegstücks, auf dem Passanten, oft genug Touristen, mit den Stieren laufen, wobei es häufiger zu Verletzungen kommt. Hemingway wollte sein schriftstellerisches Debüt ursprünglich nach diesem Festival, dem Fluchtpunkt im Handlungsverlauf, betiteln.

Fiesta ist (auto-)biographisch geprägt. Den Ersten Weltkrieg und seine Schrecken nicht nur im Nacken, sondern in den Eingeweiden und im Kopf, bezeichnet als "Verlorene Generation" (Gertrude Stein), orientierungslos im Angesicht der Erosion von Werten und Systemvertrauen, zogen amerikanische Intellektuelle nach Europa. Gertrude Stein, Ernest Hemingway, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald und Sherwood Anderson, bildeten in den 1920er Jahren in Paris einen Kreis mit europäischen Künstlern, darunter Pablo Picasso, diskutierten über die Modernisierung der Künste und brachten eine Neudefinition von Malerei und Literatur zuwege. Zwei der literarischen Meilensteine auf diesem Pfad waren Fitzgeralds Der große Gatsby und Hemingways Fiesta.

Fiesta setzt sich mit dem Lebensgefühl der Nachkriegsgeneration auseinander, auch den Konflikten, die durch Vorstellungen von Männlichkeit entstehen und eng zusammenhängen mit der Wahrnehmung und den Folgen des Ersten Weltkrieges, eines bis dahin unvorstellbaren Grauens.

Die Exposition des Romans liefert uns einen Ich-Erzähler und die Einführung einer Figur, die, wie wir schnell erfahren, eine Nebenfigur ist. Robert Cohn ist nicht der Held, von dem Jake Barnes im Folgenden erzählen wird. Hemingway bietet uns auf bald vier Seiten die Kurzbiographie eines Mannes, der Nebenfigur ist, während der Erzähler als eine der beiden Hauptfiguren über sich so gut wie nichts äußert. Im Weiteren führt er seine wichtigen und weniger wichtigen Charaktere einzeln ein, stellt sie uns vor. Sie sind nicht sehr sympathisch, aber auch keine Figuren, die wir ablehnen. Sie bleiben so alltäglich, dass wir sie aufgrund der Kurzcharakterisierungen im Verlauf der Erzählung wie alte Bekannte sehen.

Jakes angedeutete Impotenz ist ein Bild für die posttraumatische Störung einer Generation von Männern, die sich oft genug in Gewalt äußert und im sexuell konnotierten Stierkampf gespiegelt wird. Liebe und Krieg bestimmen die Geschichte. Es gibt verschiedene Pfade der Liebe, aber keine Liebe als wechselseitige Beziehung, vielleicht nicht einmal jenseits der Konstruktion eines Desiderates. Die Gewalt hingegen ist allgegenwärtig. Beides vereint sich in den Beziehungen, die Hemingway konstruiert. Brett trennt sich von Männern, die sie heiraten wollen, weil sie sie dann nicht mehr verlassen kann. Jake ist ihr bester Freund, für sie da, wenn sie jemanden zum Ausweinen braucht. Hemingway erzählt auch von der Liebe zwischen zwei Menschen, die in letzter Konsequenz nicht zueinander finden können.


Fazit

Mit Fiesta hat Hemingway ein Romandebüt geschrieben, in dem die Schrecken des Ersten Weltkrieges, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte, und die Dekadenz der Nachkriegsjahre zu dramatischen Widersprüchen und Entfremdung führten. Auf die Schlachtfelder mit ihrem Grauen folgte die perverse Erotik gewalttätiger Aufführungen in der Stierkampfarena. Auf die Dekadenz in Frankreich folgt eine Zeit in Spanien, die bestimmt ist durch das wenigstens kurzzeitige Zusammenfinden und Gemeinsamkeitsgefühle der Gruppe. Hemingway wählt als Form für seine Erzählung einen reportagehaften Stil, bestimmt durch knappe Hauptsätze, und schreibt glänzende Dialoge, die Lesefreude bereiten.


Pro und Kontra

+ ausgezeichnetes Debüt über die Entwurzelung einer Generation

o manche Leser und Leserinnen mögen durch die Stierkampfszenen abgeschreckt werden

Wertungsterne4

Inhalt: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5