Papierverzierer (Oktober 2014)
Cover: Timo Kümmel
Klappenbroschur, 472 Seiten, 14,95 EUR
ISBN: 9783944544519
Genre: Teslapunk / Dystopie
Klappentext
In Paris haben sich die Seelenlosen zu einem Untergrund formiert, der das aus den Fugen geratenen Weltsystem bekämpft. Nur wo hört das Verteidigen auf und wo beginnt ein Krieg auf Grund von Diskriminierung und Rassenhass?
Außerdem treibt ein Mörder sein Unwesen und meuchelt die Seelenlosen selbst dort, wo sie sich als Gemeinschaft versteckt halten. Niemand scheint mehr sicher zu sein. Befindet sich der Feind etwa in den eigenen Reihen? Und wenn ja, kann man ihn dann trotz seiner übernatürlichen Kräfte aufhalten?
Rezension
Nach einem fatalen Experiment im Jahr 1913 und Kriegen gegen Amerika liegt Europa in Trümmern. Im 21. Jahrhundert regiert ein totalitäres Regime aus geisterhaften Wesen, Saiwalo genannt, den inzwischen deutschen Kontinent und macht Jagd auf die Seelenlosen – phantastische Kreaturen, die in einem früheren Leben Menschen gewesen und in der Stunde ihres Todes aufgrund starker Emotionen wiederauferstanden sind. Tavi fühlte Zorn und Rachsucht damals und ist daher ein Phoenix, ein Wesen, das das Feuer beherrscht und schon zahlreiche Tode durchlebt hat.
Nach den tragischen Ereignissen im Hamburg, wo Tavi eine Verwahrstelle der Kontinentalarmee in Schutt und Asche gelegt und dabei Saiwalo ausgelöscht hat, ist sie mit Leon auf der Flucht. Letzterer starb bei Tavis Wutausbruch und ist aufgrund seiner Liebe als Cupido (ein Geschöpf wie der römische Gott Armor) wiederauferstanden. Es fällt ihm schwer, sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden, denn er spürt jetzt die Gefühle anderer Lebewesen – auch die von Tavi, die die Trauer um ihren Ziehsohn Nathan in sich begräbt. Während Leon in „Tochter der Asche“ noch als mürrischer und egoistischer Ermittler auftrat, kommt er in „Erbe des Feuers“ weicher und – seiner neuen Art entsprechend – emotionaler daher. Er liebt Tavi über alles und scheint einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in seinem Bauch zu haben. Tavi reagiert darauf eher verhalten, immerhin wurde sie in ihrem langen Leben schon oft verlassen. Zudem werden die beiden in einen drohenden Krieg verwickelt, sodass die Liebesgeschichte eher in den Hintergrund rückt.
Als Leon endlich das Fliegen lernt, zieht es Tavi nach Paris. Sie hat früher einmal dort gelebt, doch was sie dort vorfindet, erkennt sie nicht wieder. In der großflächig zerstörten Stadt tobt ein erbitterter Kampf zwischen Seelenlosen und Kontinentalarmee. Tavi und Leon erfahren, dass es in Paris erstaunlich viele Seelenlose verschiedenster Art gibt, die sich im Untergrund organisiert haben. Allerdings nehmen sie keinerlei Rücksicht auf die Menschen, was Tavi erschreckt. Sie will nicht gegen die Menschen kämpfen, sondern endlich Frieden schließen und die Saiwalo loswerden. Doch auch ihren eigenen Leuten gegenüber verhalten sich die Seelenlosen kaltherzig: Als einige von ihnen ermordet werden, unternehmen sie nichts. Stattdessen üben sich die meisten in Geheimniskrämerei. Tavi beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln, und erfährt aus dem Nachlass einer Hexe, dass Paris eine große Katastrophe bevorsteht.
Nach der letzten Seite von „Tochter der Asche“ blieben die Leser mit vielen offenen Fragen zurück, die nun in „Erbe des Feuers“ zumindest teilweise beantwortet werden. Beispielsweise erfährt man mehr über das schreckliche Experiment, das den Großteil der europäischen Bevölkerung dahingerafft hat, und die neuen Erkenntnisse lassen den Leser schaudern, vor allem, da nun eine ähnliche Bedrohung aufkommt. Gleichzeitig werden viele neue Fragen aufgeworfen, insbesondere bei Eleazar, einem Phoenix aus Paris. Er ist ein zwielichtiger Nebencharakter, der sein eigenes Spiel spielt und sich nicht in die Karten schauen lässt. Allerdings braucht Tavi seine Hilfe, ebenso wie die von Hexe Katharina, die schlimmer als je zuvor von ihren Visionen geplagt wird. Sie versucht immer noch, Tavi in eine bestimmte Richtung zu drängen und behauptet, ihr und Leon nur Gutes zu wollen, auch wenn dafür Opfer nötig sind.
Katharinas kryptische Andeutungen und Eleazars Halbwahrheiten führen zu Verwirrung beim Leser, der nicht weiß, wem er glauben und vertrauen soll. Einerseits zieht die Handlung viel Spannung aus dieser schwierigen Konstellation, andererseits bleibt man am Ende wieder einmal auf einem Berg ungeklärter Fragen sitzen. Überhaupt gewinnt man auf den letzten Seiten den Eindruck, als würde etwas Wichtiges fehlen. Nebenhandlungen werden vernachlässigt und in den Schlussszenen geht der Überblick verloren. Das Ende ist nicht nur offen – der Roman hört beinahe mittendrin auf, um im dritten und finalen Band der Trilogie hoffentlich nahtlos fortgesetzt zu werden. „Erbe des Feuers“ allein kann den Leser nicht zufriedenstellen und macht nur als Zwischenband einen Sinn.
In der zweiten Hälfte hält Ann-Kathrin Karschnick einige Überraschungen parat, die der zwischenzeitlich stagnierenden Handlung eine neue Richtung geben. Durch das neue Setting in Paris, welches stimmungsvoll inszeniert wurde, und diverse neue Nebencharaktere braucht die Geschichte viel Zeit, um die Verhältnisse zu ordnen und die neue Bedrohung zu lokalisieren. Weiß man als Leser endlich, wo es hingeht, nimmt der Roman wieder an Fahrt auf. Zur Spannung tragen auch Tavis hochemotionale Reaktionen bei. Sie ist eben ein hitziger Phoenix und das durch und durch. Inzwischen hat man als Leser ihr oftmals kopfloses Verhalten akzeptiert, auch wenn man es nicht immer versteht.
Der besondere Reiz von „Phoenix“ liegt nach wie vor in der Mischung von Dystopie- und Teslapunk-Elementen. Nach dem fehlgeschlagenen Experiment hat sich eine alternative Zeitlinie entwickelt, deren Technologie auf Elektrizität und Magnetismus baut. Hinzu kommt eine esoterische Ebene, in der Technik Einfluss auf Seelen und Hirnfunktionen nehmen kann. Die Autorin zieht dieses Konzept sehr konsequent durch, worauf die dichte Atmosphäre ihres düsteren Weltentwurfs gründet. Die Gestaltung des Buches entspricht der des ersten Bandes und das Klappbroschur macht beinahe rundum einen guten Eindruck – leider bilden sich immer noch viel zu schnell Risse im Buchrücken.
Fazit
Der zweite Band der „Phoenix“-Trilogie begeistert mit neuem Setting im heruntergekommenen Paris, in dem ein Krieg zwischen den Vertretern der Saiwalo und den Seelenlosen tobt. Viele Fragen werden endlich beantwortet, während gleichzeitig viele neue aufgeworfen werden. „Erbe des Feuers“ funktioniert dabei nur als Zwischenband, der die Ereignisse des ersten Bandes verarbeitet und gleichzeitig den dritten vorbereitet. Ein teilweise chaotisches Intermezzo, das jede Menge Spannung für das Finale schürt.
Pro & Contra
+ neues Setting in einem düsteren Paris
+ stimmungsvoll inszenierte Teslapunk-Welt
+ Leon entdeckt sich selbst neu als Cupido
+ neue phantastische Wesen
+ zwielichtige Nebencharaktere
o mehr offene Fragen als im ersten Band
- manche Nebenhandlung kommt zu kurz
- wenig Raum für die Liebesgeschichte
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5
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