Letzten Endes (Ronald F. Currie)

Goldmann (September 2009)
Originaltitel: Everything Matters!
Originalverlag: Viking
Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 34,90
ISBN: 978-3-442-31214-6

Genre: Drama


Klappentext

Stell dir vor, die Welt geht in 36 Jahren, 168 Tagen, 14 Stunden und 23 Sekunden unter – und du bist der Einzige, der davon weiß …

Junior Thibodeau ist das Glück oder der Fluch beschert, mehr zu wissen als seine Mitmenschen, und das schon im Mutterleib. Denn da sind Stimmen in seinem Kopf, die er nicht abschalten kann. Stimmen, die ihm nicht nur die Welt erklären, sondern ihm auch deren sicheren Untergang am 15. Juni 2010 um 15:44 Uhr Ostküstenzeit verkünden. Ein Dilemma, denn wie geht man damit um, wenn man schon bei seiner Geburt weiß, dass in nicht allzu ferner Zukunft alles ausgelöscht sein wird? Und was zählt überhaupt, wenn das Ende naht? Lohnt es sich, sich einzulassen – auf Dinge, Menschen und Zukunftspläne? Mit diesen Fragen wird Junior allein gelassen und eine mögliche Antwort findet er erst, als Amy in sein Leben tritt und er sich Hals über Kopf in sie verliebt.


Rezension

Ein Roman über die Apokalypse und dabei kein Science-Fiction-Roman – es gibt zwar wissenschaftliche Bezüge, aber eigentlich ist „Letzen Endes“ eine Geschichte über das Leben an und für sich. Über die Frage, was wirklich wichtig ist – was zählt.

Junior sieht sich schon im Mutterleib mit Stimmen konfrontiert, die ihm das Ende der Welt in erschreckenden Details verkünden. Sie erklären ihm aber auch, wie die Menschen in seiner Umgebung funktionieren. Dass sein größerer Bruder Rodney – der immerhin zu dem Zeitpunkt nicht einmal 10 Jahre alt ist – Kokain konsumiert. Dass sein Vater sich in Arbeit flüchtet, während seine Mutter zu einem alkoholsüchtigen Wrack wird. Dass Rodney später durch den langen Kokainkonsum und einen Anfall in der Entzugsklinik geistige Schäden davonträgt. Sein Gedächtnis ist ruiniert, sein Denken stark beeinträchtigt. Das Einzige, das Rodney noch kann, ist Baseball spielen – und das kann er besser als die meisten anderen Menschen. Rodney wird ein Star, während Junior seiner kaputten Familie mit einer eigentümlichen Gleichmütigkeit begegnet. Denn was zählt, dass seine Mutter Alkoholikerin ist? Dass sein Bruder sein Gehirn geschrottet hat? Was zählt überhaupt, wenn sowieso die Welt untergeht? …

Es gibt einen Hoffnungsschimmer in Juniors Leben – Amy, eine neue Mitschülerin, die es rein von der Intelligenz her locker mit ihm aufnehmen kann. Die aber nicht derart lebensmüde ist wie er. Junior erlebt seine erste große Liebe. Doch auf die Frage, was zählt, wenn die Welt untergeht, erhält er trotz Ankündigung im Klappentext noch keine richtige Antwort. Denn dummerweise erzählt er Amy von den Stimmen. Ihre Wege trennen sich vorerst, dennoch bleiben sie in Kontakt. Junior ruft sie während ihres Studiums regelmäßig an, nur leider ist er dabei entweder total betrunken oder zugedröhnt. Das Leben verliert endgültig jedweden Sinn und Juniors Verzweiflung gipfelt darin, dass er einem behinderten Saufkumpanen hilft, seinen Rollstuhl mit C4 vollzupacken, um ein öffentliches Gebäude in die Luft zu sprengen …

Es gibt einige Szenen im Roman, die leicht übertrieben daherkommen. Denn insgesamt ist die Geschichte trotz dem nahenden Ende der Welt relativ realistisch geschrieben. Mancher Leser wird sich daher wohl an manchen Übertreibungen stören. Bei genauerer Betrachtung wird man jedoch merken, dass gerade das Absurde Mittel zum Zweck ist, um dem Leser Wahrheiten über das Leben zu vermitteln. Über Extreme, in die das Leben ausufern kann – und unterschwellig über die Dinge, die wirklich wichtig sind. Die zählen. Über das Glück, das übrig bleibt, zwischen Kummer, Versagen, Unverständnis, Misshandlungen, Krankheiten, dem Tod und dem Ende der Welt. Und letztlich sogar über die Frage nach Gott - ohne religiös zu werden.

Ungewöhnlich an „Letzten Endes“ ist dabei die Erzählperspektive. Etwa ein Viertel bis Drittel des Romans ist aus Sicht der Stimmen und somit in Du-Form geschrieben, was sich zunächst seltsam liest. Doch dadurch fühlt man sich als Leser direkt angesprochen und kommt Junior sehr nahe. Alle anderen Abschnitte sind in der Ich-Perspektive geschrieben, wobei der Ich-Erzähler wechselt. Oft ist es Junior, oft aber auch Amy, seine Eltern oder Rodney. Da Ronald F. Currie zudem Juniors komplettes Leben abhandelt, ist der Roman recht fragmentarisch geschrieben – und dennoch gelingt es dem Autor trotz unterschiedlichster Puzzleteile und Perspektivenwechsel ein sehr deutliches Bild von seinem Protagonisten und vom Leben zu zeichnen. Junior ist durch und durch authentisch und auch die Nebencharaktere handeln nachvollziehbar. Allesamt stellen realistische Lebensgeschichten dar und der Autor beweist eine große Sensibilität für die Gestaltung seiner Charaktere und ihrer Emotionen. Doch Vorsicht: Der Autor kann auch ganz schön brutal schreiben! Manche Tatsachen werden derart ungeschönt dargestellt, dass sie den Leser mit voller Wucht treffen.

Insgesamt bietet der Roman viele unvorhersehbare Wendungen – manches erwartet man aber doch. Es geht einfach so verdammt viel schief, dass die Momente des Glücks nicht von Dauer sein können. Depressive Leser werden sich auf den ersten 300 Seiten mehr oder weniger in ihrer negativen Weltsicht bestätigt sehen, doch das Ende stellt nochmals alles auf den Kopf und ist vor allem eins: Keine der Varianten, die man sich ausgemalt hat! Dennoch kommt es plausibel daher und auch wenn nicht alles aufgeklärt wird, so hat man am Ende des Romans etwas verstanden. Nach knapp über 400 Seiten wird man begreifen, was im Leben zählt – auch wenn die Welt bald untergeht. Da wird das Herz ganz eng, denn wie der englische Titel „Everything matters!“ schon sagt: es zählt einfach alles. Und der Satz „alles zählt“ fühlt sich nach der Lektüre dieses Romans nochmals ganz anders an. Überwältigender.

Das Hardcover von Goldmann kommt in schlichtem Schwarz daher, der Schutzumschlag ist aus hochwertigem, dickem Papier – und das Cover will zunächst nicht wirklich passen. Es ist auf jeden Fall ein Eyecatcher und macht das Buch interessant. Nach den ersten Seiten wird man es wohl eher unpassend finden, aber im Hinblick auf den ganzen Roman passt es dann doch. Der Preis liegt dabei an der Schmerzgrenze – doch für dieses Buch lohnen sich die 19,95 EUR auf jeden Fall. Wer es nicht verschmerzen kann, kann auf eine Taschenbuchausgabe hoffen – zum Vorgänger „Gott ist tot“ gibt es nämlich auch eine.


Fazit

„Letzten Endes“ ist ein Roman über das Leben in all seinen Facetten. Ronald F. Currie erzählt auf verstörende und einfühlsame Weise die Geschichte eines Menschen, der mehr weiß, als seine Mitmenschen – der daran zerbricht, daran wächst und letztlich versteht, dass alles zählt. „Letzten Endes“ ist wie die Welt - grausam und wunderschön!


Pro & Contra

+ authentischer Protagonist
+ gelungene Nebencharaktere
+ verrückt, verstörend und hoffnungsvoll
+ extrem emotional
+ unerwartetes Ende

o keine leichte Kost

- Handlung manchmal überzogen

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5