Falling in Love (Donna Leon)

leon falling

William Heinemann, London, 2015
PB 264 S., 13,99 ₤
ISBN 978-1-78-515000-5
Rezension der englischen Originalausgabe

Genre: Kriminalroman


Rezension

In ihrem ersten Roman über Commissario Guido Brunetti, Venezianisches Finale (1992, dt. 1995), hat Donna Leon den Leser in die glamouröse und mörderische Welt der Oper eingeführt. Brunetti hatte den Giftmord an einem berühmten deutschen Dirigenten aufzuklären, ins Visier geriet damals auch die Sopranistin Flavia Petrelli. Brunetti konnte ihre Unschuld beweisen und ihre damalige Geliebte retten. Nun ist Flavia zurück in Venedig, singt am La Fenice die Tosca und wohnt in der Zeit bei ihrem mittlerweile glücklich verheirateten Ex-Freund, dem Marchese Federico d’Istria, kurz Freddy, einem alten Schulfreund von Brunetti und seiner Frau Paolo. Brunetti mag die Oper nicht, sie hat für ihn mit Mozart geendet, aber Paolas Eltern haben ihnen ihre Dauerkarten zur Verfügung gestellt.

Die Diva kennt sich mit bewundernden Fans aus, gibt nach der Vorstellung lächelnd Autogramme, aber seit einiger Zeit fühlt sie sich mehr als belästigt. Es begann in London, ging weiter in St. Petersburg und hört auch in Venedig nicht auf. Jemand überhäuft sie mit hunderten gelber Rosen, auf der Bühne, in ihrer Garderobe und sogar vor ihrer Wohnungstür legt der Unbekannte einen Strauß ab. Unerklärlich ist, wie der Fan in Freddys verschlossenen Palazzo gelangen konnte. Gegenstände wurden aus ihrer Garderobe gestohlen, unter anderem ihr Adressbuch. Eine Freundin erhielt einen seltsamen Anruf von einer Person, die sich nach Flavia erkundigte.

Flavia fühlt sich bedroht und vertraut sich Brunetti an, der zunächst denkt, dass die zum Melodrama neigende Diva übertreibt. Bis der Pathologe Dr. Rizzardi ihn um einen Gefallen bittet. Im Krankenhaus liegt die junge Francesca Santello mit gebrochenem Arm und Kopfverletzung, sie wurde nachts bewusstlos am Fuß der Ponte de Scuola gefunden. Sie behauptet, dass sie gestoßen wurde. Den Unbekannten kann sie nicht beschreiben, aber sie erinnert sich an seine Worte, Sei mia. Der Arzt hat ihr nicht geglaubt, aber die Schwester, eine gute Bekannte Rizzardis. Und der bittet Brunetti nun, inoffiziell zu ermitteln. Francesca studiert Gesang in Paris und ist auf Besuch bei ihrem Vater Ricardo, einem ripetitore am La Fenice. Sie ist eine Bewunderin Flavias, die ihr wiederum eine große Zukunft als Altistin voraussagt. Brunetti glaubt an einen Zusammenhang zwischen den Fällen. Er muss den Stalker finden, bevor es den ersten Toten gibt.

In Donna Leons 24. Roman geht es ausnahmsweise nicht um Verstrickungen von Politikern, Wirtschaftsbossen und Mafiosi, Korruption und Bestechung. Vielmehr muss sich Brunetti diesmal mit einem Stalker beschäftigen, eine knifflige Angelegenheit für den Commissario, der sich mit Verbrechen aus Geldgier oder Leidenschaft bestens auskennt, alles gut nachvollziehbaren Motive. Sein erster Verdacht richtet sich gegen den Ex-Mann und die letzten Liebhaber der Diva, bis er Francesca trifft und ihre Geschichte glaubt. Zumindest die Statistik unterstützt seine These, außerdem verhält sich die Zunahme von Gewalt gegen Frauen reziprok zum Zerfall der Wirtschaft, wie Brunetti mit Schrecken feststellt und sich fragt, seit wann Säureattacken so beliebt sind.

Brunetti mutmaßt, dass es sich bei dem Stalker um einen Fan handeln muss, vermutlich eine Frau. Flavia kann sich jedoch an keinen Fan erinnern, den sie zurückgewiesen hat oder haben könnte. Die Details weisen auf eine Person hin, die nicht logischen Prinzipien folgt, sondern einer Wahnidee verfallen ist, ein Psychopath, der von Flavia besessen ist. Als Freddy in die Sache hineingerät, bekommt der Fall eine sehr persönliche Note für Brunetti, der bei seinen Ermittlungen viel über Fans und deren Psyche, Bedürfnisse, Wünsche, Verhalten und Erwartungen erfährt.

Das Thema wird verdichtet durch Brunettis Privatleben. Brunetti hat nie die Erfahrung unerwiderter Liebe gemacht und weiß daher nicht, wie erschreckend manche Menschen auf Abweisung reagieren. Eine leichte Ahnung davon bekommt er, als seine Frau und die Kinder mit sich selbst beschäftigt sind, Musikhören, Lesen, Sonnen, oder ihr Leben davon abhängt, auf keinen Fall auch nur eine Sekunde von „Downton Abbey“ (trotz künstlich klingender Synchronsprecher) zu versäumen: er fühlt sich „unsichtbar“.

Wie stets erweist sich Brunetti als ein Beobachter, der auch kleinste Details wahrnimmt und memoriert. Auch sein Interesse an der Linguistik hilft ihm bei der Enträtselung des Problems. Über die Probleme der Stadt, die von Touristen, Kreuzfahrtschiffen und chinesischer Billigware überschwemmt wird, mag er schon nicht mehr nachdenken, ebenso wie über seinen Vorgesetzten Patta, den er als eitel, faul, egoistisch, bisweilen dumm einschätzt, aber immerhin nicht als böse und gemein, und der nur korrupt ist, wenn es um die eigene Familie geht. Allerdings fragt sich Brunetti, welche Beziehung genau zwischen Patta und Leutnant Scarpa besteht, Pattas engstem Vertrauten und Spion, der Alvises Suspendierung betreibt und damit den Zorn Signorina Elettras auf sich zieht.


Fazit

Mit erzähltechnischer Brillanz verwebt Donna Leon in Falling in Love, ihrem 24. Roman über Commissario Brunetti, inhaltlich und formal die reale Welt der Erzählung mit der Oper Tosca, in der es ebenfalls um obsessive Liebe, Hass und Mord geht und der mieseste Polizist den Namen Scarpia trägt.


Pro und Kontra

+ spannender und unheimlicher Mystery-Krimi, der zum Miträtseln einlädt
+ nachvollziehbare Psychologisierung der Figuren
+ tiefgründige und intelligente Geschichte mit ausgefeilten Dialogen
+ ein Commissario, nachdenklich, umsichtig und mitunter ungewohnt grob
+ der Leser erhält einen Blick hinter die Opernkulissen

Wertung: sterne5

Handlung 5/5
Charaktere 5/5
Lesespaß 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: italienischer Kriminalroman, Donna Leon