Rezensionen im Juni (2015)

Liebe LeserInnen,

ein halbes Jahr ist vergangen, seit wir an Silvester Raketen in die Luft gejagt haben. Ein halbes Jahr, in dem die Literatopia-Redaktion fleißig für euch gelesen und rezensiert hat. Ein halbes Jahr, in dem unser Rezensions-Archiv stetig gewachsen ist. Und natürlich haben wir auch im Juni immer wieder in unser Bücherregal gegriffen, um euch regelmäßig neue, fundierte Besprechungen zu aktuellen und auch älteren Titeln zu liefern. Die wichtigsten Bücher haben wir wie immer im Rückblick griffbereit – viel Spaß beim Lesen!



Belletristik

Durch seinen großen Erfolg in Amerika war "Love Letters to the Dead" bereits vor seinem deutschen Veröffentlichungstermin bei vielen Lesern ein echter Geheimtipp. Und tatsächlich kann Ava Dellaira mit ihrer Geschichte über ein trauerndes Mädchen, das seinen Verlust und seine Schuld in Briefen an verstorbene Berühmtheiten zu verarbeiten versucht, das Leserherz an so mancher Stelle erwärmen. Leider zieht sich diese Stärke nicht durch das komplette Buch, sodass es zwischendurch immer wieder zu zähen Phasen kommt, die das Lesevergnügen extrem schmälern. Trotzdem bietet der Jugendroman auch zahlreiche schöne Momente, für die sich das Durchhalten lohnt, und gerade das letzte Viertel schafft einen ganz besonderen Nachhall. Ein Buch, das zumindest in Teilen zum Innehalten und Nachdenken einlädt.

Wie schon mit ihrem Vorgänger-Roman schafft Franziska Moll es auch mit "Egal wohin", eine ganz besondere Saite in ihrem überwiegend jugendlichen Publikum anzuschlagen. Ihr zweiter Roman handelt von Schicksalsschlägen, die einen aus der Bahn werfen können, aber auch von Träumen und Zielen, die das Leben lebenswert machen und die zu verfolgen sich immer und unter allen Umständen lohnt. Ein sehr zartes und behutsames Buch, das sicherlich so manchen Anklang, wahrscheinlich aber auch genauso viele Kritik finden wird.

Dark Fantasy

In "Venetian Vampires – Kinder der Dunkelheit" wartet Gabriele Ketterl mit wahnsinnig attraktiven und charmanten Vampiren auf, die als echte Gentlemen die weibliche Leserschaft zum Träumen einladen. Unter ihrer perfekten Fassade lauern jedoch düstere Geheimnisse, mit denen Protagonistin Sabine früher als ihr lieb ist Bekanntschaft machen muss – denn ein uralter Kampf droht ihr Glück zu zerstören. Ein schwer romantischer und dicht geschriebener Roman, der meistens gut unterhält.

Fantasy

"A Court of Thrones and Roses" von Sarah J. Maas übertrifft alle Erwartungen. Die Autorin schafft es wieder einmal, den Leser voll und ganz in eine phantastische und überragend gut ausgearbeitete Welt zu entführen, aus der man sich weder befreien kann, noch will. Wieder wird den Figuren alles abverlangt, wieder einmal trägt der wunderschöne Schreibstil der Autorin dazu bei, dass man diese Welt, die man betreten hat, nie wieder verlassen möchte. Ein grandioses Setting, die Liebe zum Detail und viele Überraschungen sind nur wenige positive Aspekte, die einen erwarten. Kommt, tretet ein in eine Welt voller Magie und wunderbarer Figuren, einer Welt voller Mut und Hoffnung, voller Spannung und Gefühl - denn es wird sich lohnen. Jedes einzelne Wort wird sich lohnen. Denn hier findet sich eine außergewöhnliche und überragende Geschichte hinter einer Ausnahmeautorin wider, die es locker mit bekannten Größen der Fantasy ausnehmen kann. Sarah J. Maas kommt meine Lieben, und es gibt nichts, was ihr dagegen tun könnt. Grandios!

"Elias & Laia – Die Herrschaft der Masken" von Sabaa Tahir vereint den Charme der römischen Antike mit dem Zauber des Orients zu einer Fantasygeschichte, die sich aufgrund der vielen Grausamkeiten eher für (junge) Erwachsene eignet. Beide Protagonisten müssen Folter und sinnlose Gewalt ertragen. Die Hoffnung ist meist nur eine kleine Flamme, doch manchmal erblüht sie zu einem strahlenden Stern, der den Leser durch die dunklen Zeiten in diesem Buch trägt. Nach einem dramatischen und extrem spannenden Finale bricht die Geschichte quasi mittendrin ab – Hochspannung für den zweiten Band garantiert.

Horror / Mystery

Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden – John Boyne hingegen wandelt auf gänzlich ausgetretenen Pfaden, sodass "Haus der Geister" nicht auf ganzer Linie überzeugen kann. Denn auch wenn Boyne sich keine handwerklichen Fehler erlaubt, fehlt dieser Geistergeschichte doch das gewisse Etwas.

"Atalanta - Die Geheimnisse des Sklavensees" ist eine Kolportagegeschichte, die auf unterhaltsame Weise Kriminalroman, Abenteuer- und Liebesgeschichte erzählt und mit Versatzstücken der Schauerromantik anreichert. Robert Kraft gibt einen interessanten Einblick in den seriellen deutschsprachigen Roman seiner Zeit.

Science Fiction

Packend, atemberaubend und bewegend – mit dem zweiten Band "Furchtlose Liebe" entwickelt sich die Trilogie Die Überlebenden immer mehr zum absoluten Muss für Fans der spannungsgeladenen, modernen Fantasy. Alexandra Bracken gelingt das Kunststück ihr spannendes Abenteuer um die psi-begabte Ruby mit viel Action und Gefühl in neue dramatische Höhen zu führen. Ein wunderbares Leseerlebnis.

"Anomaly" von Tonya Kuper ist eine sehr spannende und actionreiche Young Adult und Science Fiction Story, die mit ambivalenten und sympathischen Figuren sowie einer tollen Grundidee aufwarten kann. Alt und Neu werden hier harmonisch gemixt und schaffen so eine Geschichte, die man kaum aus der Hand zu legen vermag. Fernab von Klischees und Kitsch kann man sich hier einem grandiosen Abenteuer hingeben, das zwar doch eine sehr vorhersehbare Handlung inne hat, jedoch vom Potenzial der Grundstory bis zum Schreibstil der Autorin stark von sich überzeugen kann. Fans des Genres sollten also definitiv nicht zögern und den Roman am besten sofort in die Hand nehmen - es lohnt sich!

Thriller

Ein poetisch anmutendes Drama, das sich behutsam mit vielen schweren Themen auseinander setzt – erste Liebe, enge Freundschaft, Verlust, Selbstmord, Schuld, Magersucht. Aus zwei Perspektiven erzählt Saskia Sarginson zum Teil in Rückblicken, zum Teil in der Gegenwart die Geschichte eines Zwillingspaares, das sich auf Grund von schlimmen Erfahrungen in verschiedene Richtungen entwickelt und trotzdem füreinander da sein will. "Zertrennlich" ist sicher keine leichte Lektüre, aber eine, die nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich noch lange im Leser nachhallen wird.

Die Thematik von "Scherbenmädchen" benötigt eigentlich viel mehr als die gegebenen 320 Seiten, die dieser Roman zur Verfügung stellt. Dadurch verlieren die Wichtigkeit der einzelnen Themen und die Aufklärung darüber leider an Intensität. Zwar versteht Liz Coley es, die Geschichte von Angie mit all ihren Facetten zu veranschaulichen, allerdings geht sie hierbei teilweise ein wenig zu forsch vor und erweckt so den fehlerhaften Eindruck von Leichtigkeit. Diese ist jedoch im Umgang mit derartigen Erkrankungen und Erfahrungen alles andere als gegeben. Ein Roman, der trotz aller Wichtigkeit, auf diese Themen aufmerksam zu machen, eher mit Vorsicht zu genießen ist.

Krimi

In "Der Tag der Eule" legte Leonardo Sciascia die Strukturen der Mafia bloß, als die Öffentlichkeit ihre Existenz noch leugnete. Die Mafia beschreibt Sciascia mit analytisch kalter Sachlichkeit, ihren systemischen Charakter, ihre Verwurzelung in der sizilianischen Gesellschaft. Die Geschichte entfaltet sich in rasantem Tempo auf knappen hundertdreißig Seiten in diesem Klassiker von einem Meister des sizilianischen Mafiaromans.

Mit erzähltechnischer Brillanz verwebt Donna Leon in "Falling in Love", ihrem 24. Roman über Commissario Brunetti, inhaltlich und formal die reale Welt der Erzählung mit der Oper Tosca, in der es ebenfalls um obsessive Liebe, Hass und Mord geht und der mieseste Polizist den Namen Scarpia trägt.



Das war’s schon wieder für Juni. So langsam beginnt die Urlaubszeit, sodass unsere Redakteure sicherlich auch in den kommenden vier Wochen ausreichend Zeit zum Schönkern finden werden. Falls ihr mit unserem Rückblick noch nicht ganz zufrieden gestellt seid, dürft ihr euch natürlich wie immer ausgiebig in unserer Rezensions-Übersicht umschauen, wo weitere zahlreiche Besprechungen auf euch warten.

Einen hoffentlich sommerlichen Juli wünscht euch
euer Literatopia-Team